Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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morgens zum Befehlsempfang antrat und sich abmeldete bevor er nach Hause ging.

      „Hier hätten es auch heute noch einige gerne so, es hat sich gar nicht so viel geändert", dachte Frey gelegentlich frustriert, "wenn Bekker nicht wäre, würden wir alle morgens ganz schön stramm stehen vor den Messerschwingern." Die alten Zeiten hatten allerdings auch ihre guten Seiten – die Bezahlung war überdurchschnittlich und die Arbeit hielt sich in Grenzen, denn mit Ende des operativen Programms war der Job getan. Ein paar Patientenbesuche, meist nur als Einsammeln von Einverständniserklärungen, in Vorbereitung auf das Operationsprogramm des nächsten Tages. Das war’s. Selten, dass er nach drei Uhr nachmittags nach Hause gekommen wäre.

      Heute war alles anders. Die Republik war flächendeckend mit Intensivstationen überzogen. Das Pendel schlug zurück. Was irgend ging, wurde gemacht.

      Wie in den meisten Kliniken wurde die Intensivstation des Städtischen Klinikums durch Anästhesisten betreut. Damit war Bekker der Leiter der Einrichtung. Als Perfektionist und exzellenter Fachmann hatte er die Station im Lauf der Jahre maximal hochgerüstet. Keine der vielfältigen Möglichkeiten einer modernen Intensivmedizin fehlte. Die Chirurgen behandelten das Grundleiden, wie es in den Verträgen festgelegt war. Alles andere machte Bekker mit seinen Leuten. Sie legten die Beatmung fest, machten Luftröhrenschnitte zur Anlage eines Tracheostomas, filtrierten oder dialysierten, legten Drainagen in den Brustkorb, um die Lungen zu entlasten. Sie konzipierten Ernährungsregime und taten alles, um die vitalen, lebensnotwendigen Funktionen der Patienten zu erhalten oder zu verbessern. Schließlich waren alle Organe irgendwie zu ersetzen, zumindest vorübergehend, bis die Restitution begann und man sich mit den unterstützenden Maßnahmen ausschleichen konnte.

      Bekker, eigentlich ein Protagonist der modernen Entwicklung in der Medizin, war mit der Zeit immer kritischer geworden. „Das Alter“, lachte er dann, aber das war Koketterie. Deutlich wurde er vor allem im Kreise seiner Studenten.

      Seitdem Bekker die Universitätsklinik verlassen und die Leitung der anästhesiologischen Abteilung am Städtischen Klinikum übernommen hatte, kam er seinen Verpflichtungen als Hochschullehrer in der nahe gelegenen Universität nach, für die das Klinikum als akademisches Lehrkrankenhaus fungierte. Er hielt dort die Vorlesung ‚Medizinische und ethische Aspekte der Intensivmedizin‘. Die Veranstaltung, obwohl freiwillig und ohne Schein-Pflicht, war ein Renner und der Hörsaal stets bis auf den letzten Platz besetzt.

      Bekker liebte diesen gelegentlichen Ausflug ins Akademische, zumal er davon überzeugt war, dass nur bei den angehenden Ärzten, den Intensivmedizinern von morgen, noch etwas zu bewegen war. Ansonsten hielt er den ganzen Medizinapparat für hoffnungslos verkrustet, reaktionär und definitiv irreparabel.

      „Hilft nur ’ne Bombe“, sagte er gelegentlich im kleinen Kreis. Wegen seiner Brillanz und seines gelegentlichen Zynismus waren seine Auftritte eine gute Show mit hohem Informations- und Unterhaltungswert. Bekker war’s egal; stets kam er ohne weitschweifige Floskeln zur Sache.

      „Ethik sollte in der Intensivmedizin einen überragenden Stellenwert haben, denn Ethik hat sehr viel mit Menschenwürde, Selbstbestimmung und Barmherzigkeit zu tun. Wohlfeile Begriffe, deren Umsetzung Sie überall suchen sollten, nur nicht auf einer Intensivstation.“

      Das war seine stereotype Eröffnung des Themas.

      „Sie werden fragen, ‘wie kommt der Kerl dazu, so etwas zu behaupten?' Ich will’s Ihnen erklären, subjektiv, versteht sich. Das Wichtigste vorab: Von der Intensivmedizin profitieren fast ausschließlich junge Patienten. Es gibt eine aktuelle Studie an Patienten, älter als 65 Jahre“, er nannte die Quelle, „die wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung intensivmedizinisch behandelt wurden. Nur ein Prozent gab an, anschließend wieder ein lebenswertes Leben geführt zu haben.“ Getuschel im Auditorium.

      „Lassen Sie uns mit der Präzisierung von Begriffen beginnen; da besteht in unserem Fach Nachholbedarf. Der Arzt heilt Dieses und Jenes, heißt es. Das ist ein Märchen. Heilung kommt immer nur vom Körper selbst, und in diesen physiologischen Prozess können wir mit unseren bescheidenen Mitteln lediglich unterstützend eingreifen. Wir können Krankheiten aufhalten, etwa Infektionen durch die Gabe von Antibiotika, und so verhindern, dass aus der Erkrankung eines Organs eine Krankheit des gesamten Organismus wird. Wir können schief stehende Knochen reparieren und arthrotische Gelenke ersetzen. Wir transplantieren Herzen, Lebern, Lungen und was nicht alles, aber wir heilen nicht. Haben sie diesen Tatbestand im Hinterkopf, wann immer sie einem Patienten gegenübertreten.“ Er räusperte sich.

      „Die Intensivmedizin vermag vieles, was nach außen sensationell anmutet. Beispiel Nierenversagen nach Unfall oder Verbrennung – kein Problem! Wir dialysieren oder hämofiltrieren das Blut, bis die Niere wieder anspringt, und das tut sie bei akuten Störungen in der Regel auch. Das akute Nierenversagen ist damit ein klassisches Beispiel für das, was ich Ihnen sagen will. Ein Organ wird in seinen Funktionen so lange ersetzt, bis es wieder funktioniert“.

      „Herz und Lunge kann man stützen, medikamentös oder durch differenzierte Beatmung, was auch immer, aber heilen? Nein! Bei Leberzirrhose können sie nur noch transplantieren, also ersetzen. Merken Sie sich als ganz wesentlich, zur Heilung bedarf es eines Restpotentials der betroffenen Organsysteme. Verstehen Sie? Wir geben dem Körper im besten Fall eine begrenzte Zeit, seine Probleme selbst zu lösen, also zu heilen, indem wir bestimmte Aufgaben erkrankter oder gänzlich ausgefallener Organe ersetzen. Für die Intensivmedizin, die es ja überwiegend mit schweren, lebensbedrohlichen Funktionsstörungen zu tun hat, ist dies der wichtigste Aspekt überhaupt.“

      Die Zuhörer, die ihn zum ersten Mal erlebten, begannen zu verstehen, worauf er hinauswollte. Auch, dass er sich nicht vor unbequemen Wahrheiten drückte, womit er zweifellos den Sinn seiner eigenen Arbeit bewusst in Frage stellte.

      „Deshalb ist die Intensivmedizin vorrangig für junge Patienten da, nicht weil wir etwa eine Selektion nach gesellschaftlicher Wertigkeit betreiben.“ Bekker beugte sich provozierend vor und fixierte ein paar Zuhörer in den mittleren Reihen.

      „Hand aufs Herz, die Jungen wären die Alten doch lieber heute als morgen los.“ Er bemerkte die Irritation in einigen Gesichtern und lächelte freundlich. „Es sind nun einmal fast ausschließlich die Jungen, die solche organspezifischen Konditionen mitbringen, das ist Fakt. Ich mache das übrigens weniger an Lebensjahren fest, als vielmehr am vielzitierten biologischen Alter. Fragen Sie mich also bitte nicht nach dem Verfalldatum des Individuums. Der vierzigjährige Kettenraucher hat sicherlich schlechtere Karten als der vitale Sechzigjährige ohne alle Vorerkrankungen. Unsere ganze Mühe, aber auch die Torturen, die wir den Patienten gelegentlich zufügen, und genau das tun wir“, er sagte bewusst nicht ‚zufügen müssen‘, denn das war nicht seine Überzeugung, „hat nur dann einen Sinn, nur dann eine ethische Rechtfertigung, wenn eine realistische Chance besteht, dass die natürlichen Körperfunktionen irgendwann zurückkehren. Dies setzt - hier wiederhole ich mich, weil ich hoffe, dass Sie es sich merken - einigermaßen funktionierende“, er vermied den Begriff ‘gesund‘ – was war schon gesund? „Organe vor dem Eintritt der Erkrankung voraus. Was aber ist die Realität? Wir haben die Intensivstationen zu gemüllt mit Insassen von Altersheimen.“

      Bekker war kein Vergleich zu drastisch; wenn es wehtat, um so besser.

      „Hier liegen sie nun in sündteuren Hightech-Betten, verkabelt, tracheotomiert, beatmet und künstlich ernährt. Katheter und Sonden, wo immer sich eine Körperöffnung gefunden hat. Wir lagern sie auf speziellen Matten, drehen sie alle 6 Stunden, um aus der Lungenfunktion das letzte heraus zu kitzeln und Druckgeschwüre zu vermeiden. Mehrmals täglich halten wir zusammen mit den Kollegen der zuständigen Fachgebiete schlaue Visiten ab, stehen murmelnd am Patientenbett, vertiefen uns in Kurven, Röntgenbilder und Messwerte aus dem Labor, hören auf Lungen und drücken auf Bäuche, registrieren die Mengen von Urin und Stuhlgang. Kurzum, wir erwarten von diesen halben

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