Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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style="font-size:15px;">      Bekker redete sich warm, die Studenten hingen an seinen Lippen.

      „Diese alten Patienten, liebe Kolleginnen und Kollegen und Intensivmediziner der Zukunft, bringen durch die Bank die geschilderten Voraussetzungen für eine sinnvolle Anwendung der modernen Intensivtherapie nicht mit. Ausdrücklich Nein! Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber, Angebot schafft Nachfrage. Warum sollte das in der Medizin anders sein?“

      Er nahm einen Schluck aus dem bereitgestellten Glas mit Mineralwasser. Es wurde Zeit für ein plakatives Beispiel. Bekker wollte, dass man ihn wirklich verstand. Er mochte ein Zyniker sein, aber er hatte eine klare Botschaft. Die war ihm bitter ernst.

      „Früher hat man den Pfarrer geholt, wenn die Oma nach vielen Dämmerjahren in der Altenaufbewahrung, Pardon, im Seniorenheim, die letzte Reise antreten wollte und anfing, Blut zu spucken. Heute kommt der Notarzt, und der hat meistens keine Ahnung und will vor allem nichts falsch machen. Also wird das alte Gerippe in die Klinik gekarrt. Hier hat sie eine zweite Chance auf Gnade, nämlich dass sie auf einen vernünftigen Arzt...Sie verstehen...Arzt! trifft, der sie mit Morphium in ein schönes stilles Zimmer legt und die Familie herbei pfeift, damit sie wenigstens einmal noch etwas für die alte Frau tut und ihr beim Sterben hilft.“ Bekkers Blick ließ für einen Moment das Auditorium los.

      „Sterbende unterscheiden nicht die Hand des Barmherzigen und die des Pharisäers“, fügte er leise hinzu, so dass man ihn in den obersten Reihen nicht verstand. Für einen Moment verlor der Vortrag an Fahrt. Gleich darauf aber war er wieder der Alte.

      „Doch auch diese Chance vergeht in der Regel ungenutzt“, Bekker lächelte maliziös, „oder haben sie schon mal einen Kliniker in der Notaufnahme getroffen, der das Messer im Köcher, Tubus und Katheter im Schrank lässt? Wenn ja, bitte ich um die Adresse.“

      Bekker war für die wenig schmeichelhafte Einschätzung der eigenen Zunft bekannt. Sie hatte ihm reichlich Ablehnung und Anfeindung und sogar eine offizielle Ermahnung der zuständigen Ärztekammer eingebracht. Das alles scherte ihn wenig Er hatte große Hochachtung vor der Mehrzahl seiner Kollegen, ganz gleich welcher Fachrichtung , und seine ätzende Kritik machte auch vor sich selbst nicht halt. Mit der Schelte durch Medizinfunktionäre lebte er gut. Er empfand sie als Kompliment. Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztekammern, Berufsverbände und die vielen Gesellschaften für dies und das und jenes waren für ihn Auffangbecken des Mittelmaßes, Einrichtungen für Wichtigtuer und ‚ausgelernte Arbeitslose‘, wie er das nannte, und an Überflüssigkeit nicht zu überbieten.

      „So nimmt das Drama seinen Lauf. Die alte Frau, die da verängstigt, frierend und halb nackt auf der Trage liegt, ist zwar durchaus bei Sinnen, versucht auch ein paar Mal sich zu äußern, wird aber nicht gefragt. Was sie möchte oder nicht, was sie empfindet, ja selbst wie’s ihr geht, subjektiv!, interessiert kein Schwein. Pardon! Eine bühnenreife Szene, wenn’s nicht so traurig wäre.

      Es folgen der übliche Röntgenmarathon, und wenn die Patientin dann immer noch lebt, auch noch die Anfertigung von EKG, Herzecho und allerlei anderem Blödsinn. Parallel dazu werden aus dem bisschen Kreislauf, der ihr noch geblieben ist, Batterien von Blutröhrchen befüllt. Bis das Opfer bleich ist wie die Wand, um im Labor eine weitgehend irrelevante Analyseorgie abzuhalten. Versteht sich, dass von den zirka einhundert Parametern maximal zehn wichtig sind. Den Rest guckt sich eh niemand an. Schließlich geht’s mit Karacho in den OP.

      Der Rest ist bekannt. Dank einer hochwertigen Anästhesie überlebt das arme entrechtete Wurm auch die exzessivste chirurgische Ausweidung und landet, versehen mit tausend Schläuchen und Kathetern, auf der Intensivstation, vor deren Pforten schon die tränenfeuchte Verwandtschaft lauert, die ihre alte Oma nur noch von Bildern kennt.“

      Er holte Luft, um etwas Zeit zu schinden, denn dieses Thema ging ihm ehrlich nah.

      „Ich bin da sicher nicht gerecht und nicht objektiv, zugegeben, und es sind nicht alle gleich, Gott sei Dank! Aber gerade solche, die sich jahrelang um einen alten Angehörigen nicht gekümmert haben, verlangen nun, ‚alles zu tun, was in ihrer Macht steht, Herr Doktor‘, und halten ihre nassen Taschentücher in der Hand.“ Bekker lächelte ins Publikum, und es war ein böses, freudloses Lächeln.

      „Alles zu tun, was in unserer Macht steht, heißt für unsere Oma de facto, dass wir ungefragt nicht nur ihr Leben, sondern auch ihr Leiden verlängern, denn was ein Mensch wirklich erlebt, was er tatsächlich mitbekommt, sei er mit Schmerz- und Beruhigungsmitteln abgefüllt bis zur Halskrause, wissen wir nicht.“ Bekker schlug aufs Pult.

      „Wir wissen es nicht und wir werden es nie wissen, denn das wäre göttlich, und nichts ist von Gott weiter entfernt als der Mensch. Sie erinnern sich, ‚Jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn.‘ Diese Zeile wird ihnen eines Tages nicht mehr aus dem Kopf gehen, sollten sie als Arzt einmal auf einer Intensivstation landen. Zurück zu unserem Fall. Diese fiktive, aber typische Patientin hatte von Anfang an keine Chance zu überleben, vom Erreichen einer adäquaten Lebensqualität will ich gar nicht reden, wobei wir eigentlich gerade darüber reden müssten. Ethik – Sie erinnern sich!“ Gemurmel im Auditorium.

      „Nun gut, die Patientin. Mit unserer Hilfe wird sie noch viele Tage oder Wochen am Leben sein, ohne je das Bewusstsein zu erlangen, ohne je lächeln zu dürfen oder zu weinen, ohne uns je für das, was wir ihr antun, zur Rechenschaft ziehen zu können, ohne je fragen zu dürfen, ‚Was macht Ihr mit mir? Warum?‘ All das verwehren wir ihr, die wir so gern von Ethik sprechen.“

      Bekker achtete darauf sich nicht fortreißen zu lassen. Er war nicht auf der Kanzel, und sein Auditorium glaubte nur, was beweisbar oder schlüssig war. Daher schaltete er um und kam zum Kern der Sache zurück.

      „Tut mir leid, wenn ich den einen oder anderen von Ihnen desillusionieren sollte, aber ich kann das Lied vom unermüdlichen, barmherzigen Samariter nicht singen. Den aufopferungsvollen und engagierten Einsatz der Schwestern, Pfleger und Kollegen auf den Intensivstationen will ich in keinem Fall schmälern. Sie sind aller Ehren wert und werden dafür von Gesellschaft und Politik im Stich gelassen und bei Problemen, welcher Art auch immer, in den Regen gestellt. Das ist jedoch nicht mein Thema. Sie fragen, warum ich das alles mitmache, wenn ich die Dinge so kritisch sehe? Das ist eine gute, eine verdammt gute Frage, und ich kann sie weder Ihnen noch mir selbst beantworten. Ich bin der Knecht eines untauglichen Systems, aber ratlos wie wir alle. Mea culpa!“

      Seine Zuhörer, unter denen sich nicht selten ein paar Krankenschwestern und approbierte Ärzte befanden, waren sichtlich beeindruckt. Hochschullehrer pflegten eigene Schwächen und Gefühle auszuklammern. Bekkers Offenheit war ungewöhnlich.

      „Zur Ehrenrettung aller Beteiligten – es geht ja wirklich nicht nur um mich – sollten wir jedoch etwas Wesentliches nicht vergessen. Wir stehen, ebenso wie die chirurgischen Kollegen, letztlich am Ende der Kette. Die Vernunft, die Barmherzigkeit, die Ethik müssen früher einsetzen. Spätestens beim Hausarzt, aber der hat üblicherweise ...“ Bekker sprach nicht weiter, er hatte für heute genügend Fettnäpfe bestiegen.

      „Wir versuchen in engem Gespräch mit den Angehörigen, und die meisten, da möchte ich nicht falsch verstanden werden, sind zugewendet, engagiert und eine große Hilfe, dafür zu sorgen, dass solch aussichtslose Patienten nicht unnötig leiden müssen, dass Platz ist für Maß und Vernunft.“ Fragende Blicke, das war vermintes Terrain. Bekker war unbeirrt.

      „Ich spreche nicht von Sterbehilfe, weder aktiv noch passiv, denn das ist nicht mein Thema. Daran mögen sich Berufsverbände und Juristen abarbeiten. Erfolglos wie wir wissen. Was können wir tatsächlich tun? Was ist ethisch? Es sind einfache Dinge: eine gute Schmerztherapie, die sich nicht groß um Nebenwirkungen schert – Suchtpotential bei Opiaten, dass ich nicht lache!, Lagerungsmaßnahmen und eine gute Körperpflege.“

      Unsichere

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