Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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oder stinkt wie die Pest?“ Ein paar Krankenschwestern in den oberen Reihen nickten.

      „Aber mehr als alles andere brauchen diese Kranken, auch die komatösen und beatmeten, Kontakt mit Menschen. Menschen, die am Bett sitzen, freundlich und beruhigend sprechen und die Hand halten. Dies ist aus meiner Sicht von überragender Bedeutung und eine wesentliche Aufgabe für die Angehörigen eines Kranken. Auch wenn ich mich wiederhole, vergessen Sie bitte nicht, wir haben keine Ahnung, was tief sedierte oder sterbende Patienten tatsächlich mitkriegen und empfinden. Aber auch die Angehörigen selbst benötigen Zeit und Zuwendung. Sie werden das vielleicht erst dann ermessen können, wenn sie in einer vergleichbaren Situation sind, was ich Ihnen und mir nicht wünsche.“ Es war sehr still im Auditorium.

      „Niemals sollte ein Mensch alleine sterben. Ist der Fall nach allen medizinischen Kriterien aussichtslos, verständigen wir uns mit allen Beteiligten und wenn möglich, frühzeitig auf eine Begrenzung der Therapie. Das heißt im Klartext bei Verschlechterung des Zustandes alle lebensverlängernden Maßnahmen zu unterlassen. Das ist, jetzt sag‘ ich’s doch, eine humane, passive Form der Sterbehilfe, durchaus“, und um gezielten Fragen zu diesem Thema von vornherein aus dem Wege zu gehen, „Aber der juristische Aspekt interessiert mich in so einer Situation wirklich nicht!“ Er hielt kurz inne. „Wirklich nicht!“, wiederholte er mit Nachdruck. Das meinte er so und dazu stand er, das spürten alle.

      „Juristen und Ethik schließen sich gegenseitig ebenso aus wie Rechtsprechung und Recht. Hier geht es um Gewissensentscheidungen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und zu denen gehören Mut und Menschenliebe. Mit Menschenliebe und Mut Verantwortung zu übernehmen, werden Sie in jedem Fall ein besserer Arzt, als mit den tausenden von Daten, die Sie für Ihre diversen Examina aus idiotischen Fragenkatalogen extrahieren müssen.“ Er fügte hinzu, „Es sind natürlich nicht Ihre Fragenkataloge, sondern die eines verquasten Systems; erdacht von ahnungslosen Politikern und idiotischen Funktionären, die aus dem Medizinstudium einen Kreuzworträtselwettbewerb gemacht haben.“ Bekker streckte sich und sah in die Runde.

      „Fassen wir zusammen. Wir sind mit der Intensivmedizin auf einem gefährlichen Weg, ohne dass ich ein Rezept parat hätte, wie man es grundsätzlich anders machen könnte. Der Fortschritt birgt viele Fallstricke, denn nicht alles, was machbar ist, sollte auch getan werden. Zumindest nicht bei jedem Patienten. Seien Sie wachsam und kritisch, und sehen Sie die Medizin nicht ausschließlich durch die naturwissenschaftliche Brille. Der Patient als Mensch, als denkende, fühlende Kreatur ist in einer Zeit der apparativen Hochrüstung zweitrangig geworden. Daran ist leider nicht zu deuteln. Lassen Sie sich nichts erzählen. Die Selbstbestimmung des Individuums in kritischen Situationen interessiert doch niemanden wirklich. Statt dessen wird viel darüber geredet, am liebsten in öffentlichen Foren vor laufenden Fernsehkameras. Sehen Sie der Wahrheit ins Auge. In der modernen Medizin wird das Dasein am Funktionieren von Organen festgemacht. Das aber kann es nicht sein. Das hat mit Ethik nicht das Geringste zu tun. Denken Sie darüber nach.“

      Bei sich selbst dachte er nur, ‚Wir sind alle erbärmliche Feiglinge, skrupellose, angepasste Feiglinge!‘ Bekker neigte zu Exzessen. Tatsächlich hatte er permanente Motivationsprobleme und kämpfte mit lang anhaltenden Phasen tiefer Resignation, mit Wut, Verzweiflung und Depression. Laut und mit einem freundlichen Lächeln wandte er sich abschließend ans Auditorium,

      „Meine erste Intensiv-Visite beginnt in der Regel täglich um sechs Uhr morgens. Sie wissen ja, wo unser Krankenhaus steht und sind jederzeit herzlich eingeladen. Sie müssen sich nicht einmal anmelden.“ Das konnte er leicht versprechen, denn es kam eh selten jemand.

      „Ach ja“, der Hörsaal befand sich bereits in Auflösung, dennoch blieben die meisten stehen und wandten sich um. Einige wussten, was jetzt kam, „Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Arzt und Gott? Nein? Nun, Gott bildet sich nicht ein, Arzt zu sein. Schönen Tag noch!“ Die Vorlesung war beendet.

      *

      Frey hatte alles im Griff. Er blieb hinter der Studentin, wobei er darauf achtete, Körperkontakt zu vermeiden. Sie machte Anstalten abzutauchen, in der Hoffnung, er würde auch die Intubation übernehmen.

      „Hiergeblieben!“, fürsorglich, „also noch einmal mit Gefühl, Zunge aufladen, gut! Jetzt gleichzeitig heben und hebeln, gut. Versuche den Burschen mit dem Spatel hochzuheben, nicht zu viel Druck auf die Jacketkronen, gut. Was sehen wir? Wie heißt dieser Zipfel, der die Sicht versperrt? Epiglottis, bingo! Alles bestens.“ Er senkte den Tonfall. Das junge Mädchen schwitzte und zitterte. Der Einsatz des Intubationsspatels erfordert gelegentlich Kraft, die sie zunehmend verließ. Frey hatte Erbarmen. Er griff zu, die Stimmritze war nun gut zu sehen und weit offen, die Stimmbänder vollkommen erschlafft.

      „Spaß muss sein, sprach Wallenstein.“ Sein Tonfall war unschuldig. Das übliche ‚und schob die Eier mit hinein‘ verkniff er sich heute. Geschafft! Sein Blick streifte die Uhr. Fast vierzig Minuten Verzögerung. Die Operateure würden begeistert sein. Bekker auch!

      3. Kapitel

      Städtisches Klinikum

      „Der Chef ist da!“ Es war fünf Uhr fünfzig. Bekker stand in grüner OP-Kleidung auf dem Flur der Intensivstation und ließ wie jeden Morgen den Blick über Schränke und Boxenwände streifen, während er auf den diensthabenden Arzt wartete. Kein Fleck, keine schiefe Tür würden ihm entgehen.

      „Guten Morgen, Herr Professor.“ Melanie Müller, Assistentin im dritten Ausbildungsjahr, trat ihm stets mit einem Anflug von Erröten entgegen. Sie roch frisch geduscht, was Bekker als angenehm empfand. Er gab ihr die Hand, verlor aber keine Begrüßungsfloskeln. Aus der Umkleide kam eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren, ebenfalls in OP-Kleidung. Sie war offensichtlich sehr schlank, denn das grüne Oberteil warf Falten und hing auf einer Seite über ihre Schulter, sodass der Träger eines weißen BHs sichtbar wurde. Sie hatte ein puppenhaftes, dezent geschminktes Gesicht mit einer kleinen aufwärts gerichteten Nase, um die sich reichlich hellbraune Sommersprossen versammelt hatten.

      „Entschuldigen Sie, Herr Professor, ich bin leider zu spät“, sagte sie und reichte Bekker eine schmale, kühle Hand.

      „Zu spät wofür?“ fragte er belustigt zurück, denn er konnte sie nicht einordnen, hielt ihre Hand aber ein bisschen länger fest als nötig.

      „Oh Verzeihung“, sie wurde rot. ‚Süß‘, dachte Bekker. „Mein Name ist Stefanie Kahle. Ich bin Studentin im Praktischen Jahr mit Wahlfach Anästhesie. Ich hatte mich noch nicht vorgestellt. Sie waren Freitag nicht da, und ...“.

      „Kein Problem“, sagte Bekker. Er legte keinen Wert auf Formalitäten. „Schön, wenn die Anästhesie mit so hübschen Menschen aufgefrischt wird.“ Im selben Moment wurde er sich seiner Taktlosigkeit gegenüber der anderen jungen Frau bewusst, „wie sie beide“, ergänzte er schnell. Die Müller warf ihm einen schrägen Blick zu. Sie war alles andere als eine Schönheit. Eher etwas bott, wie man hier gerne sagte, um stabile Staturen freundlich zu umschreiben. Dennoch war sie eine interessante Erscheinung mit einem slawischen Gesicht, das von langen, glatten schwarzen Haaren eingerahmt wurde und das ein großer roter Mund dominierte. Bekker fand sie sexy. Jetzt legte er freundlich den Arm um ihre Schulter, um sie in die Richtung der ersten Patientenbox zu dirigieren.

      „Also Melanie, dann woll’n wir mal.“ Das war keine Vertraulichkeit; es hieß soviel wie ‚Wir ziehen an einem Strang. Ich steh’ nur zufällig hier. Du bist genauso wichtig.‘

      „Die Kollegin hat heute ihren ersten Tag in der Anästhesie, also wollen wir es ihr nicht so schwer machen, oder?“ Normalerweise schätzte Bekker den exakten, knappen, klar strukturierten Vortrag. Alle Mitarbeiter wussten das, und die Diensthabenden bereiteten die Visite entsprechend vor. Jetzt hieß es, Umschalten auf Unterrichtsstil.

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