Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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interessierte niemanden. Von einer vernünftigen Analyse der Kosten-Nutzen-Relation ganz zu schweigen. Wenn aber Überlebenschance und Lebensqualität einer ganzen Bevölkerungsgruppe nachhaltig gebessert wurde, krähte kein Hahn danach.

      Bekker benetzte seine Hände mit Alkohol aus einem der zahlreichen Wandspender, trat ans Bett und schlug die Decke zurück. Vorsichtig tastete er auf den Bauch neben dem Verband. „Bin ganz vorsichtig“, murmelte er. Alles war weich, keinerlei Abwehrspannung – einwandfrei. Der Patient öffnete die Augen und lächelte schief.

      „Guten Morgen, Herr Professor, Sie schlafen wohl nie?“ Bekker errötete ein wenig, ging aber nicht darauf ein. Er hielt nichts von der Heroisierung des Arztberufes, der ewigen Mär vom nimmermüden Doktor. Er wusste es besser und hatte überdies von manchen seiner Kollegen und sich selbst eine viel zu schlechte Meinung.

      Er deckte den Patienten ordentlich zu, fasste unter der Decke an die beiden Knöchel und nickte zufrieden, „beide warm und schlank.“ Martina Müller erwartete seine übliche Floskel über die Fesseln von Frauen und Pferden, aber diesmal kam nichts.

      „Darmgeräusche?“ fragte Bekker. Die Assistentin schüttelte den Kopf.

      „Na ja, noch ein bisschen früh“, meinte er.

      *

      Bekker war ein Spätentwickler. Auf dem Gymnasium hatte er zwei Klassen wiederholt. Mit Zwanzig machte er Abitur. Da die Durchschnittsnote für das Medizinstudium bei weitem nicht ausreichte, schrieb er sich in der Tiermedizin ein, die damals ohne Numerus clausus auskam. Mit dem ernsthaften Studieren hatte er es ohnehin nicht eilig. Bekker war Außenstürmer eines Eishockeyteams in der ersten Liga und Mitglied der Nationalmannschaft und fürs Studieren viel zu beschäftigt. Er war ein schneller und rücksichtsloser Spieler. Seine Reaktion und seine Spielübersicht waren phänomenal. Sein großer Traum, die Teilnahme am olympischen Turnier, erfüllte sich nicht, da er sich während der Vorbereitung verletzte und zu Hause bleiben musste. Mitten im sportlichen Erfolg und immerhin bereits fünfundzwanzig Jahre alt, beendete er seine sportliche Karriere von einem Tag auf den anderen und begann wenig später mit dem Medizinstudium.

      Von nun an hatte er es eilig. Nach genau zehn Jahren war Bekker Facharzt für Anästhesie und bald darauf Oberarzt an einer Universitätsklinik. Er fand daran nichts Besonderes. Kaum war ein gestecktes Ziel erreicht, trieb ihn die Ungeduld zu weiteren Ufern. Permanent war er auf der Suche nach dem besonderen Kick, fand ihn aber nie. Hatte er früher das sorglose Leben eines verwöhnten Jungen wohlhabender Eltern geführt, so war er nun rastlos, schlaflos und für sein privates Umfeld anstrengend.

      Viele Jahre hatte er keine feste Freundin – er hielt sich selbst für bindungsunfähig und gefiel sich darin. Er liebte die Frauen, traute ihnen aber nicht, so wie sie ihm nicht trauen konnten. Die Kontakte zum weiblichen Geschlecht waren daher auf das Notwendige beschränkt, bei hoher Frequenz und einem latenten Gefühl des Verdrusses, das er nicht einzuordnen wusste. Nähe ließ er nicht zu; er hasste es, wenn Frauen bei ihm übernachten wollten oder ihn nicht aus ihrem Bett ließen.

      Bei Kollegen und Mitarbeitern indes war er überwiegend wohlgelitten. Als Kind aus gutem Hause hatte er tadellose Manieren und war ohne jeden Dünkel, weshalb ihn vor allem die einfachen Leute liebten. An der Uni galt er als Exot, denn er war ein nobler Charakter. Bei der Feier zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag war einer der Kollegen, Dr. Dalal, ein dicker Inder und seit mehr als zehn Jahren Oberarzt der chirurgischen Klinik, plötzlich aufgestanden, um eine Laudatio auf ihn zu halten, die Zunge gelöst von mehreren Gläsern schweren Rotweins.

      „Lieber Bekker, bilde Dir nicht ein, dass ich jetzt in die übliche Lobhudelei ausbreche, bloß weil Du auf dem Weg bist, ein alter Knacker zu werden.“ Er nahm einen tiefen Schluck. „Ich will Dir vielmehr endlich einmal sagen, warum Du hier fehl am Platze bist, völlig fehl.“ Er lallte bereits ein wenig, und einige der Gäste tauschten irritierte Blicke aus. „Du befindest Dich, mein lieber Bekker“, alle nannten ihn Bekker, manche kannten nicht einmal seinen Vornamen, obwohl sie ihn duzten, „falls Du es noch nicht bemerkt haben solltest, an einer deutschen Universitätsklinik. Ihr Deutschen seid ja so tüchtig und so gründlich – Prost.“ Wieder trank er. „Und ehrgeizig! Und an so einer Uni geht’s ab, oder? Da wird getrickst und geschoben, dass es nur so kracht. Anwesende sind ausdrücklich nicht gemeint.“ Er wippte auf den Zehenspitzen und ein wenig Rotwein schwappte auf den Teppich.

      „Huh, Sorry – ach egal. Also Bekker, was willst Du hier? Du hast an einer Deutschen Universitätsklinik weiß Gott nichts verloren. O ja, Du bist ein toller Hecht und schreibst eine nobelpreisverdächtige Arbeit nach der anderen. Ha, ha, kleiner Scherz. Spaß beiseite, Leute. Ich meine es ernst. All dies unbenommen, fehlen Dir die wirklich wichtigen Eigenschaften für eine deutsche Karriere. Nicht böse sein, liebe Leute. Bin ja nur ein betrunkener alter Indianer.“ Er lachte, und die anderen lachten mit. Das war ‘mal etwas anderes.

      „Du bist also an einer Deutschen Universität, um die höheren Weihen zu erfahren. So ist es doch? Aber wie soll das gehen? Du verleumdest keine Kollegen, kriechst dem Chef nicht von morgens bis abends in den Arsch, vögelst keine Schwesternschülerinnen, Hebammen und andere Abhängige, stiehlst und fälschst keine Daten, bescheißt die Verwaltung nicht mit getürkten Überstunden, arbeitest tatsächlich jeden Tag im OP und schreibst auch noch einen Haufen Paper nebenher. Was also, verflucht noch mal, willst Du eigentlich hier? Willst Du uns zeigen, was für Pflaumen wir sind? Oder was für Scheißkerle? Ich habe meine eigene Lösung zu dem Rätsel. Entweder bist Du ein verdammt anständiger Kerl oder ein besonders raffinierter Schuft. Jedenfalls bist Du mein Freund, komm her, laß Dich abknutschen – aber nur wenn ich ein Stück von Deinem Heiligenschein abbekomme.“

      Er umarmte den Verdutzten, und die Gäste johlten und trampelten. Bekker war der Auftritt im ersten Moment peinlich. Öffentliches Lob machte ihn verlegen. ‚Wenn Du wüsstest‘, dachte er nur.

      Seinen Werdegang trieb er konsequent voran. Er war unpolitisch, unbestechlich und schaffte es, sich aus den üblichen Eifersüchteleien und Ränkespielen des Universitätsbetriebes konsequent herauszuhalten. Er war hilfsbereit, freundlich zu jedem und verabscheute die opportunistischen Emporkömmlinge, die ihm auf Schritt und Tritt begegneten, zutiefst. Wegen seiner unbedingten Zielstrebigkeit galt er als Karrierist, was ihm schmeichelte und lieber war als das Image des sorglosen Müßiggängers aus früheren Tagen. Es passte zu ihm, dass er das Eishockeyspielen, vor nicht langer Zeit noch sein Lebensinhalt, vollkommen aufgegeben hatte. Er schaute sich die Spiele nicht einmal im Fernsehen an. Diese Zeit war vorbei. Basta!

      *

      Das zweite Boxenbett war mit einer älteren Patientin belegt. Beatmet, tracheotomiert, Bauchlage.

      „Frau Speth, zweiundsiebzig Jahre.“ Melanie Müller machte eine kurze Pause, um Bekker die Möglichkeit zu geben, die Vorstellung abzukürzen.

      „Ich kenne die Patientin“, sagte der. Die Leidensgeschichte der Frau sollte nicht zum wiederholten Mal in epischer Breite vorgetragen werden.

      „Zustand nach Perforation des Dickdarms in Höhe des Sigmas wegen eines bösartigen Tumors. Laparotomie, äh, Eröffnung des Abdomens mit OP nach Hartmann.“

      Bekker rümpfte in einer unbestimmten Geste der Missbilligung kaum merklich die Nase, was der Vortragenden verborgen blieb.

      „Nach Verlegung auf Normalstation Rückkehr auf Intensiv am siebten Tag mit akutem Bauch. Die Operation kam leider etwas spät – ist aber kein Vorwurf. Die Symptomatik hängt bei alten Menschen ja bekanntermaßen ziemlich nach.“ ‚Brav‘, dachte Bekker belustigt. „Massive kotige Peritonitis. Patientin ist zunehmend septisch und hoch katecholaminpflichtig.“

      Bekker war der Verlauf bestens bekannt, denn er

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