Das Hospital. Benno von Bormann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Hospital - Benno von Bormann страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Das Hospital - Benno von Bormann

Скачать книгу

sehen. Und jetzt bricht plötzlich die große Hektik aus.“ Lauter, förmlich, „Verlassen Sie“, offensichtlich hatte er sich wieder im Griff, „sofort den anästhesiologischen Vorbereitungsraum, oder...“, erneut in Rage, gepresst, leise, „es gibt was auf die Fresse!“

      Das meinte er wörtlich, das wusste jeder, denn Zerres war berüchtigt für seine Wutanfälle, die vor keinem Titel haltmachten, wenn er sich im Recht fühlte. Man hatte ihn deswegen bereits einmal abgemahnt, aber Professor Fritsche, der Leiter der anästhesiologischen Klinik, hielt seine schützende Hand über ihn. Er schätzte Zerres als hervorragenden Anästhesisten und tadellosen Arzt, und schließlich konnte es nach seiner persönlichen Einschätzung nie völlig falsch sein, einem Chirurgen gelegentlich Schläge anzubieten. Das würde er natürlich niemals laut sagen, er war Diplomat. Weiss verließ den Raum, nicht ohne etwas Unverständliches vor sich hin zu murmeln.

      „Ich gehe vor Zeugen davon aus, dass sie mit den notwendigen anästhesiologischen Maßnahmen einverstanden sind, dazu gehören auch das Legen von Kathetern in Venen und Arterien sowie gegebenenfalls die Transfusion von Fremdblut und seinen Bestandteilen. Sollten Sie eine detaillierte Risikoaufklärung wünschen, nicken sie bitte.“ Zerres hatte sich mit gedämpfter Lautstärke erneut dem Patienten zugewandt, der versuchte den Kopf zu schütteln. Auf Zerres Frage antwortete er nicht. Statt dessen fragte er mit gepresster Stimme,

      „Hatten Sie vorhin Bekker gesagte? Der Oberarzt Dr. Peter Bekker?“

      „Ja“, sagte Zerres, „kennen Sie ihn?" ,,Unser Schmuckstück“, fügte er launig hinzu. Der Patient versuchte zu nicken, stöhnte aber nur.

      ‚Dem Jungen geht’s wirklich schlecht‘, dachte Zerres, ‚wie kann man einen solchen Patienten nur so lange liegenlassen? Verdammt, was ist das für ein Scheißbetrieb hier.‘ Er entschloss sich ohne weitere Formalitäten anzufangen, nahm die Maske des Beatmungsgerätes in die Hand, hielt sie dicht über das Gesicht des Patienten und blickte zu der Schwester, die mehrere bis zum Anschlag aufgezogene und mit verschiedenfarbigen Etiketten beklebte Injektionsspritzen wie einen Blumenstrauß in der Hand hielt. Sie sah ihn an und wartete auf das Kommando zur Narkoseeinleitung. Er drehte den Sauerstoffregler auf. Die Maske war jetzt ganz dicht über Mund und Nase des Patienten, und am Gerät zeigten sich die typischen Kurven eines normalen Atemzyklus: Atemwegsdruck, Atemzugvolumen, Sauerstoff- und Kohlendioxydkonzentration in Ein- und Ausatemluft. Zerres beugte sich zum Ohr des Patienten und gab der Schwester ein Zeichen, mit der intravenösen Applikation zu beginnen. Seine Stimme hatte einen weichen Klang, als er flüsterte:

      „Wir helfen Ihnen jetzt. Die Schmerzen sind gleich vorbei. Haben Sie keine Angst, es wird alles gut. Bald sind sie wieder der Alte.“ Das war gelogen, was Zerres nicht ahnen konnte.

       6. Kapitel Städtisches Klinikum

      „Die Frau sitzt in Ihrem Zimmer, Herr Professor. Ich konnte sie schlecht ins Wartezimmer setzten zu all den anderen Leuten – ich hoffe, das ist okay?“

      Bekker nahm seine Sekretärin im Vorübergehen kurz in den Arm als Zeichen, dass er ihre Frage als rhetorisch betrachtete. Vor Betreten seines Zimmers drehte er sich für einen Moment um.

      „Sie sind halt ein lieber Mensch, Gaby. Was würde ich nur ohne sie machen?“ Er lächelte breit, aber sie wussten beide, dass das mehr war als eine freundliche Floskel. Bekker war seit sieben Jahren Leiter der anästhesiologischen Klinik und Gabriele Marx von Anfang an die Chefin seines Sekretariats. Beide hielten sie große Stücke aufeinander und hatten dafür ihre Gründe.

      Bekker betrat sein Arbeitszimmer und schloss leise die Tür. Die alte Frau saß auf einem der beiden im rechten Winkel zueinander angeordneten kurzen Sofas. Sie hatte sich in die äußerste Ecke zurückgezogen, als suche sie Schutz vor etwas Unbekanntem. Als Bekker eintrat, erhob sie sich halb, wurde von ihm jedoch an der Schulter gefasst und mit sanftem Druck niedergesetzt.

      „Bitte Frau Steinmeier, behalten sie Platz.“ Bekker war froh über diese erste Möglichkeit der Berührung. Körperlicher Kontakt bei Gesprächen dieser Art verringerte die Distanz und machte die Sache leichter für beide Seiten. Wem er etwas Wichtiges zu sagen hatte, wen er tadelte, lobte oder tröstete, den musste er anfassen.

      Bekker nahm auf der Innenseite des anderen Sofas Platz, um so seiner Gesprächspartnerin zwar nah zu sein, aber dennoch genügend Distanz für den Blickkontakt zu haben. Für einen kurzen Moment sagte keiner etwas. Die alte Frau hob das Gesicht und sah ihn an. Sie hatte wenig geschlafen und viel geweint, und es schnürte Bekker das Herz zusammen, als er ihren Blick erwiderte.

      Das persönliche Schicksal der Patienten selbst trat im Alltag neben den diagnostischen und therapeutischen Notwendigkeiten zurück. Sie waren komplexe, erkrankte Organsysteme, denen man mit allem, was möglich war, zu helfen suchte, weitgehend frei von Emotionen oder persönlicher Verstrickung. Die Bewältigung von Trauer, Hoffnung, Verzweiflung, Frust, Ohnmacht und Aggression geschah in erster Linie im Dialog mit den Angehörigen. Bekker hatte deren Betreuung vom ersten Tag seines Amtsantritts an höchste Priorität eingeräumt und damit die bisherigen Gepflogenheiten radikal verändert. Für eine verzweifelte Mutter, einen Bruder, eine Ehefrau musste immer Zeit sein. Das war Gesetz, dem sich Bekker mit aller Zeit der Welt selbst unterwarf.

      Die alte Frau knetete ihre Hände, so dass die Knöchel weiß hervortraten.

      „Herr Professor“, ihre Stimme stockte, „was ist mit meinem Jungen? Ich hatte geglaubt, dass die Operation ihm hilft?!“ Das waren Frage und Antwort in einem. Sie war eine einfache Frau, hatte aber nach Bekkers Einschätzung Einiges an Lebenserfahrung und praktischer Klugheit, die anderen fehlte. Sie wusste, dass es um ihren Sohn schlecht stand und versuchte nun, die Zusammenhänge zu begreifen. Sicher hoffte sie auch auf ein kleines Zeichen der Zuversicht, einen Strohhalm, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren wäre.

      Bekker räusperte sich, um Zeit zu gewinnen. Er sprach nicht zum ersten Mal mit ihr. Auch die zuständigen Mitarbeiter der Intensivstation hatten sich hingebungsvoll um sie gekümmert. Ihr Sohn wurde seit sechzehn Wochen behandelt. Er war dreißig Jahre alt und ein schwerer Trinker, der wegen einer nekrotisierenden Pankreatitis, einer Erkrankung, bei der die Bauchspeicheldrüse sich selbst und die umliegenden Organe sukzessive zersetzt, intensivmedizinisch behandelt wurde. Die Therapie war symptomatisch, da es keine Möglichkeit gab, die Erkrankung kausal zu bekämpfen. Die meisten Patienten starben bereits nach wenigen Tagen, egal was man machte.

      Dieser hier war zäh. Seit mehr als neun Wochen lag er im künstlichen Koma und wurde über einen Luftröhrenschnitt, ein Tracheostoma, künstlich beatmet. Jeden Tag kam seine Mutter, um ihn zu besuchen. Dazu fuhr sie von ihrem Heimatort eine knappe Stunde mit der Bahn und noch einmal fünfzehn Minuten vom Bahnhof mit der Straßenbahn zur Klinik – abends dann zurück. Anfangs hatte sie im Vorraum der Intensivstation gewartet. Ihr Zug kam so früh an, dass sie sich eine Stunde vor dem offiziellen Beginn der Besuchszeit bereits im Krankenhaus befand. Sie war Bekker einige Male bei einer seiner Kurzvisiten, die er spontan und ohne feste Zeiten durchführte, aufgefallen. Schließlich hatte er sich danach erkundigt, was es mit der alten Frau auf sich habe, der er immer wieder vor der Station begegnete, wie sie an der Wand lehnte, offensichtlich bemüht, niemanden zu belästigen.

      Bekker war ein sentimentaler Mensch, der im Kino heulte oder bei der Sterbeszene von ‘La Traviata‘, selbst wenn es nur aus dem Radio kam. Es schnitt ihm ins Herz als es hieß, dass die alte Frau lediglich den Beginn der Besuchszeit abwartete und es offenbar nicht wagte, eine gesonderte Regelung für sich zu erbitten. Von diesem Tag an konnte sie kommen, wann sie wollte, und seine Tür stand ihr immer offen, wovon sie wenig Gebrauch machte. Bekker regte an, dass man ihr Kaffee anbot, oder ein belegtes Brot. Das war aber nicht nötig, denn darauf waren seine Mitarbeiter längst von selbst gekommen, trotz der Hektik. Bekker war nicht der einzige barmherzige Samariter

Скачать книгу