Das Hospital. Benno von Bormann

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Das Hospital - Benno von Bormann

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dieses dürre Huhn lange Erklärungen abgeben. Bekkers Blick beim Auftauchen der Studentin war ihr nicht entgangen.

      „Patient Seeger“, startete sie lustlos, „männlich“ – ‚ach nee‘, dachte Bekker belustigt –, „dreiundsechzig Jahre, Zustand nach abdominellem Aortenaneurysma bis in die Leisten, erster postoperativer Tag nach Anlage eine Y-Prothese auf die beiden Iliacae. Wissen sie, worum es geht?“ Sie hatte sich der Studentin barsch zugewendet, doch plötzlich lächelte sie. Es half ja nichts. Man konnte die jungen Leute nicht immer wie Falschgeld behandeln. Jeder hatte mal angefangen und war dann über vernünftige Erklärungen und Erläuterungen froh gewesen. Letztlich profitierten die Patienten davon.

      „Nicht genau“, kam die zögerliche Erwiderung. Die Assistentin blickte zu Bekker, der kurz nickte.

      „Der Patient leidet seit Jahren an einer zunehmenden Erweiterung der Bauchschlagader, Aorta. Diese Aussackung nennt man Aneurysma. Irgendeine Idee, wie so etwas entsteht?“ Bekker schmunzelte; das war eine exakte Kopie seines Stils. Er hielt nichts vom Dozieren und Belehren, sondern gestaltete seinen Studentenunterricht stets als Frage-und-Antwort-Spiel.

      Der Mensch behält nur das im Gedächtnis, was er sich selbst erarbeitet hat; jedenfalls war das Bekkers Meinung.

      „Na ja, zum Beispiel bei Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Nikotingenusskommt es zu degenerativen Veränderungen der Gefäße. Ein Aneurysma entsteht über Jahre als eine Aussackung mit dünnen Wänden, an denen zunehmend Kalk und Gerinnsel abgelagert werden.“

      „Stimmt genau“, Melanie Müller nickte anerkennend und fuhr fort.

      „Risikofaktoren bei diesem Patienten sind Bluthochdruck, seit zwanzig Jahren bekannt, mehr oder weniger adäquat eingestellt bei mäßiger Compliance des Patienten, Nikotin seit über fünfundvierzig Jahren, mehr als zwanzig Zigaretten täglich – gibt er zu.“ Zu Deutsch hieß das, es sind wesentlich mehr.

      „Ansonsten das Übliche, wie bei allen Gefäßwracks.“ Das war nun sehr salopp, was Bekker gar nicht schätzte, aber er ließ es durchgehen.

      „Fein“, sagte Bekker. ‚Bis hier‘, hieß das, aber auch, ‚Okay ‘. Klar war, dass nun der akute Verlauf gefragt war.

      „Intraoperativ einige Male eingeschränkte Pumpleistung des Herzens, vor allem während des zentralen Clampings“, sie unterbrach wegen des fragenden Blicks der Studentin. „Clamping, zu Deutsch Klemmen, ist das Abklemmen der Aorta oberhalb des Aneurysmas, also zwischen Herz und der krankhaften Gefäßerweiterung. Dadurch erhöht sich der Widerstand, den das Herz überwinden muss, um Blut in die untere Körperhälfte zu befördern.“ Mit Blick auf die Studentin, „Ist denn während des Abklemmens überhaupt noch eine Durchblutung nach unten zu erwarten?“

      „Es gibt normalerweise genügend Umgehungskreisläufe über kollaterale Gefäße“, kam die prompte Antwort, „wenn die jedoch auch sehr stark verkalkt sind, ist das wohl problematisch.“

      „Das ist absolut richtig“, sagte Bekker, „was ist mit dem Rückenmark? Kann das durch eine abdominelle Abklemmung geschädigt werden?“ Die Studentin schwieg. Melanie Müller blickte gelangweilt geradeaus, als mokiere sie sich über die Banalität der Frage. Tatsächlich grübelte sie fieberhaft und hoffte, dass ihr Chef die Diskussion nicht an sie weitergeben würde. Bekker las ihre Gedanken und tat nichts dergleichen. Auch darin unterschied er sich deutlich von vielen Chefarztkollegen.

      „Es gibt eine Arterie, die ganz oben aus der Aorta kommt und wesentliche Anteile des Rückenmarks versorgt. Das ist die Arteria radicularis magna, genannt nach ihrem Entdecker ‘Adamkiewiczsche Arterie‘; komplizierter Name.“ Bekker legte großen Wert auf eine Ausbildung ‘über den Tellerrand‘, wie er das nannte.

      „So gesehen besteht keine Gefahr fürs Rückenmark. Es gibt jedoch eine Variabilität der Arterie, sehr selten zwar aber extrem relevant. In weniger als 1% der Fälle entspringt sie unterhalb der Nierenarterien, so dass durch ein abdominelles Clamping ihre Blutzufuhr unterbrochen wird. Was hat das für Konsequenzen, Mädels – na?“ Die Frage war rhetorisch.

      „Querschnitt“, sagten die beiden jungen Frauen beinahe gleichzeitig und Bekker nickte.

      ‚Danke, Chef‘, dachte die Assistentin, ‚bist doch kein übler Kerl.‘ Bekker hatte einmal eine Zeitlang ein Auge auf sie geworfen, aber es war nichts passiert, was nicht an ihr gelegen hatte.

      „Ich glaube, wir müssen ein wenig zulegen. Bitte Frau Kollegin“, er schaute Melanie Müller freundlich an. Sie beschrieb knapp und so einfach wie möglich den nächtlichen Verlauf und dass die Beatmung vor etwa zwei Stunden beendet werden konnte.

      „Patient ist neurologisch o.B.; er ist müde, aber geordnet, zeitlich und örtlich orientiert. Schmerztherapie über thorakalen Periduralkatheter.“ ‚Mein Gott, nicht schon wieder‘, dachte sie im gleichen Moment, ‚hätte ich doch den dämlichen Katheter nicht erwähnt‘, aber Bekker war heute nicht zu bremsen. "Periduralkatheter?"

      „Katheter, der in die Nähe des Rückenmarks gelegt wird, um so Schmerzen zu bekämpfen“, kam die Antwort von der Studentin.

      Die Assistentin verdrehte die Augen. Der Chef würde jetzt doch wohl nicht noch erklären, wie man diesen verdammten Katheter legte. Das konnte das Mausi sich nun wirklich im OP ansehen, wo es alle naslang stattfand. Bekker las erneut ihre Gedanken und wandte sich der Studentin zu.

      „Ich habe gleich einen Patienten mit einem ausgedehnten abdominellen Eingriff, Krebs der Bauchspeicheldrüse. Dem lege ich vor der Narkoseeinleitung einen Periduralkatheter. Kommen Sie nachher mit hinein, dann zeige ich’s Ihnen. Vorher lesen Sie im Pschyrembel nach, was eine Whipplesche Operation ist, darum geht’s nämlich – okay?“

      ‚Die neue Favoritin‘, dachte die Assistentin mit einem Anflug von Häme, aber auch ein wenig Eifersucht. Doch das war ungerecht, und sie wusste es. Natürlich hatte Bekker eine Schwäche für attraktive junge Frauen, aber weder bevorzugte noch bedrängte er sie. Intelligenz und die Fähigkeit, Zusammenhänge logisch zu entwickeln, waren für ihn ebenso wichtig wie ein angenehmes Äußeres. Die Studentin hatte genickt und schien erfreut. Jedenfalls tat sie so. Melanie Müller schickte sich an, mit weiteren Details fortzufahren, aber Bekker war zufrieden.

      Das konnten Laien nicht annähernd ermessen. Da war dieser Patient mit einer Fülle von Risikofaktoren und seinem großen Aortenaneurysma, das unbehandelt über kurz oder lang gerissen wäre mit sekundenschnellem Verbluten. Der operative Eingriff umfasste die Eröffnung des gesamten Bauchraumes mit Durchtrennung des vorderen und hinteren Blatts des Bauchfells und einem mehr als einstündigen Abklemmen der Hauptschlagader, der ‘Nord-Süd-Achse der Blutversorgung‘, wie Bekker das gegenüber seinen Studenten nannte. Und nun lag der Frischoperierte kaum fünfzehn Stunden später in seinem Bett und blinzelte ihn müde, zufrieden und vollkommen schmerzfrei an. Im Lauf des Vormittags würde man ihn bereits auf die Normalstation verlegen, und in zehn Tagen war er zu Hause.

      Bekker erinnerte sich noch gut an die Zeit, als Patienten für einen derartigen Eingriff erst gar nicht akzeptiert wurden. Heute waren das Routineeingriffe. Aufwändig zwar, aber dennoch Routine, und die moderne Anästhesie mit ihren ausgefeilten Möglichkeiten der Überwachung und Kreislauftherapie, der Schmerzbekämpfung und der Intensivmedizin, hatte ganz maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung.

      Auch wenn Bekker die moderne Medizin in vielen Bereichen äußerst kritisch sah, erkannte er auch ihren Segen. Ein solcher Verlauf erfüllte ihn stets aufs Neue mit Freude und Dankbarkeit. Hier waren sie, die wirklich wichtigen Fortschritte der klinischen Medizin – leider wurde viel zu wenig darüber geredet, sodass es nicht ins Bewusstsein der Öffentlichkeit

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