Salto Fanale. Detlef Wolf
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Und sein Vater? Liebte der seine Mutter eigentlich noch? Daß seine Eltern irgendwelche Zärtlichkeiten austauschten, hatte er noch nie gesehen. Vielleicht taten sie das, wenn sie miteinander allein waren, das konnte er natürlich nicht wissen. Obwohl, schließlich mußte er selbst ja irgendwie mal entstanden sein. Aber vorstellen konnte er sich das kaum. Es gab ja auch so gut wie keine Gelegenheit dazu. Die meiste Zeit war sein Vater nicht zu Hause, und wenn er es war, dann schliefen seine Eltern in getrennten Zimmern. Und über die Zeit gegenseitiger nächlicher Besuche zum Kuscheln in des anderen Bett oder mehr, waren sie vermutlich längst hinaus.
Aber das alles focht ihn nicht an, als er sich an diesem Morgen zu seiner Mutter an den Frühstückstisch setzte, nachdem er sich an dem umfangreichen Buffet bedient hatte, das die Köchin jeden Morgen für sie beide oder, in Ausnahmefällen und meistens an den Wochenenden, für ihn und seine Eltern im Eßzimmer aufbaute.
Adrian war ein guter Frühstücker. Mit Appetit verputzte er eine umfangreiche Portion Rührei mit Speck, Würstchen und Pilzen. Amüsiert sah ihm seine Mutter dabei zu, während sie sich mit einem Marmeladentoast begnügte.
„Du scheinst ja richtig ausgehungert zu sein“, stellte sie fest. „Hast Du gestern kein ordentliches Abendessen bekommen?“
„Ich war bei Bellinda“, antwortete er zwischen zwei Bissen. „Und Du weißt ja, wie weit es mit deren Kochkünsten her ist.“ Er sah sie an und zwinkerte ihr zu. „Aber bevor Du fragst, Mama, danke nein, ich will kein Schulbrot mitnehmen.“
Sie lachte. „Bist Du zum Mittagessen hier?“
„Sehr wahrscheinlich schon“, nickte er. „Bellinda wollte heute zur Uni.“ Er grinste „Ausnahmsweise mal wieder. Also rechne mal mit mir. Wenn nicht, ruf ich vorher an.“
***
Wiederum mit einem Kuß verabschiedete er sich von seiner Mutter. Draußen wartete ein Wagen auf ihn. Wenn sein Vater unterwegs war und auch sonst, wenn es sich gerade so ergab, benutzte er dessen Wagen, um sich zur Schule bringen zu lassen. So auch heute. Daß fast alle an seiner Schule sich darüber das Maul zerrissen, störte ihn nicht im geringsten. Er war Adrian Graf von Molzberg, Erbe des Bankhauses ‚Molzberg & Co‘, dem ein solcher Dienst zukam. Basta!
Entsprechend selbstbewußt schritt er durch die in lockeren Grüppchen auf dem Schulhof zusammenstehenden Mitschüler hinein ins Schulgebäude und in seine Klasse. Er grüßte niemanden und wurde von niemandem gegrüßt. Seine Klassenkameraden nahmen zur Kenntnis, daß er hereingekommen war, er aber ignorierte sie einfach. Stattdessen packte er seine Sachen aus, setzte sich und wartete ruhig auf den Beginn der ersten Unterrichtsstunde an diesem Tag, während die meisten der Anderen noch lauthals über die erledigten oder, aus welchen Gründen auch immer, unerledigten Hausaufgaben debattierten.
Adrian hatte seine Schularbeiten gemacht. Das Nötigste jedenfalls hatte er getan, bevor er sich mit Bellinda zum Tennisspielen getroffen hatte. Gerade soviel, daß er nicht Gefahr lief, in diesem Schuljahr das Klassenziel ein zweites Mal zu verpassen. Das war ihm im vergangenen Jahr passiert, nicht, weil er nicht in der Lage gewesen wäre, dem Unterricht zu folgen und den gelehrten Stoff zu verstehen, sondern weil er kein Interesse daran gehabt hatte. Er war nicht dumm, im Gegenteil, wenn er wollte, konnte er sein Gehirn zu außergewöhnlichen Hochleistungen aktivieren. Aber er hatte nicht gewollt. Er hatte einfach keine Lust auf Schule. Sie kam ihm altbacken vor, bieder und langweilig. Irgendwann hatte er den Zeitpunkt zum Beginn der Aufholjagd verpaßt, die ihn in den Jahren zuvor noch immer über die Versetzungshürde gebracht hatte, und folgerichtig war er sitzen geblieben.
Sein Vater hatte getobt. Natürlich hatte er gedroht und Sanktionen verhängt, deren Einhaltung er allerdings nicht kontrollieren konnte in der wenigen Zeit, die er zu Hause verbrachte. Also hatte Adrian sich nicht darum gekümmert, denn die Bemühungen seiner Mutter, den Erziehungsversuch ihres Mannes dem Sohn gegenüber durchzusetzen, hatte er einfach ignoriert. Immerhin hatte er darauf geachtet, seine schulischen Leistungen auf einem Niveau zu halten, das ihm die Versetzung in die nächst höhere Klasse ermöglichen würde. Besonders schwierig war das nicht gewesen, nur lästig eben, wenn alles andere einen so viel höheren Stellenwert hatte als ausgerechnet die Schule.
Auch an diesem Tag folgte er dem Unterricht aufmerksam, aber ohne sich zu beteiligen. Wurde er gefragt, wußte er die richtige Antwort. Einen Beitrag aus eigener Initiative leistete er hingegen nicht. Die Note in ‚Mitarbeit im Unterricht‘ war nicht versetzungsrelevant. Also beschränkte er seine Mitarbeit auf das erforderliche Minimum.
Im Deutschunterricht, der die ersten beiden Stunden dieses Schultages ausfüllte, allemal. Das Geschwafel des Lehrers zu den Werken der klassischen Literatur war ihm zutiefst zuwider. Wen interessierte schon, was sich die Dichter und Literaten vor ein paar Jahrhunderten beim Schreiben ihrer Werke gedacht hatten? Schnee von gestern und höchst langweilig.
Der Mathematiklehrer gab in der dritten Stunde die Mathematikarbeit zurück, die sie vor einigen Tagen geschrieben hatten. Die letzte von vieren, die in diesem Schulhalbjahr zu schreiben gewesen waren. Bei zweien davon hatte Adrian danebengegriffen, eine hatte er mit passablem Ergebnis geschafft. Diesmal war er recht zuversichtlich, eine ausreichende Punktzahl erreicht zu haben. Ausnahmsweise hatte er sich auf die Prüfung vorbereitet, denn ein ‚Mangelhaft‘ in Mathematik konnte er sich nicht leisten. Also sah er dem Ergebnis gelassen entgegen.
Er hatte sich nicht getäuscht.
„Sieht so aus, als ob Du’s dieses Jahr geschafft hättest, Molzberg“, sagte der Lehrer „Eine reife Leistung war das allerdings nicht gerade. Ich bin ziemlich sicher, daß Du das besser hättest machen können.“ Er hielt Adrian das Heft hin.
Der blickte ihn nicht einmal an und ignorierte die ausgestreckte Hand mit dem Heft darin.
„Willst Du mir Dein Heft nicht abnehmen?“ fragte der Lehrer verärgert.
Adrian lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah den Mann mit einem unvergleichlich arroganten Gesichtsausdruck an.
„Falls Sie mit mir reden, Herr Zabattkovski, mein Name ist Adrian Graf von Molzberg und ich wünsche, in korrekter Form angesprochen zu werden. Wenn Sie sich das bitte merken wollen, Herr Zabattkovski.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Also?“
Die anderen in der Klasse hielten den Atem an und warteten auf die Reaktion des Lehrers. Mit Zabattkovski war in der Regel nicht gut Kirschen essen. Je nachdem wie er drauf war, konnte er einen ganz fies zur Schnecke machen. Und heute war er ganz und gar nicht gut drauf, das hatten sie alle schon gemerkt, als er hereingekommen war. Die Klassenarbeit war nicht besonders gut ausgefallen, und er war entsprechend frustriert darüber, daß seine Bemühungen, den Unterrichtsstoff zu vermitteln, so wenig Erfolg gezeigt hatten. Es war also zu erwarten, daß die Antwort auf das unverschämte Auftreten ihres Mitschülers entsprechend heftig ausfallen würde.
Aber nichts dergleichen geschah. Wortlos drehte sich der Lehrer um, ging langsam zu der Ecke des Klassenzimmers, in dem der Papierkorb stand und ließ das Heft hineinfallen. Ebenso langsam ging er dann zu seinem Pult zurück, nahm das nächste Heft vom Stapel und händigte es seinem Besitzer aus. Ruhig