Das Geheimnis des Gedenksteins. Hans Nordländer

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Das Geheimnis des Gedenksteins - Hans Nordländer

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niederließ. Ihre Lunge brannte, und sie befand sich in einem Zustand, in dem es ihr gleichgültig zu sein schien, was geschah. Sie konnte keinen Schritt mehr tun.

      Nach einiger Zeit hatte sie sich so weit erholt, dass sie die Kraft fand, ihr Rauchen zu verfluchen, und sich vornahm, bei nächster Gelegenheit damit aufzuhören. Womit klar war, wie sie es wirklich meinte, aber in diesem Augenblick war Cornelia überzeugt von ihrer Absicht. Und dann bemerkte sie die Veränderung. Ihre Angst war verschwunden und mit ihr das Gefühl einer unsichtbaren Bedrohung. Von dem merkwürdigen Schatten war weit und breit nichts zu sehen, was ungefähr einem Gesichtskreis von zehn bis fünfzehn Metern entsprach. Cornelia war sicher, dass sie nicht so lange und so ruhig dort hätte sitzen bleiben können, wenn die Gefahr noch in ihrer Nähe gewesen wäre. Sie wischte sich mit einem Ärmel durchs Gesicht. Sie schwitzte, aber im hellen Stoff ihrer Jacke blieb auch etwas Blut zurück und die Wunde auf ihrer Wange brannte.

      „Scheiße!“, fluchte Cornelia. Immerhin hatte sie sich inzwischen weit genug erholt, um der Wunde in ihrem Gesicht und dem Blutfleck auf der Jacke genug Bedeutung beimessen zu können, um sich darüber zu ärgern. Das war ein gutes Zeichen.

      Sie stand wieder auf, blickte sich im Kreis um und entschied sich vollkommen grundlos für irgendeine Richtung. Dann stapfte sie wieder los, wohl zügig, weil sie endlich aus dem Wald herauswollte, aber nicht mehr in planloser Flucht.

      Cornelia war keine sehr ängstliche Frau, und sie konnte belastende Situationen eigentlich ganz gut verkraften. Diese Eigenschaften brauchte man, um in einer Stadt überhaupt leben zu können. Sie hatte im Laufe der Zeit schon einige unangenehme, manchmal auch brenzlige Situationen in Hannover erlebt, und sie hatte gelernt, wie sie aus ihnen am besten wieder herauskam. Aber sie hatte noch niemals eine solche Angst empfunden wie an diesem Tag. Das verwirrte sie. Sie war überzeugt, dass sie sich in einer ernsten Gefahr befunden hatte, konnte sie aber weder beschreiben noch erklären.

      Wie konnte von einem gewöhnlichen Gedenkstein eine Gefahr ausgehen? Wie konnte er überhaupt elektrisierend sein und undeutliche Bilder und Geräusche hervorrufen? So etwas gab es nicht. Genauso unsinnig war die Existenz des Schattens. Schatten, die sich anscheinend willkürlich verhalten, gab es ebenfalls nicht. Bei diesem Gedanken spürte Cornelia den Drang, sich umzudrehen, und atmete erleichtert auf, als sie nichts erkennen konnte, das dem Schatten ähnelte, der sie verfolgt hatte. Inzwischen hatte sie einen lichteren Teil des Waldes erreicht, in dem nur wenig Unterholz wuchs und einen ziemlich weiten Blick zuließ. Und überhaupt, konnte es einen Zusammenhang zwischen einem unmöglichen Gedenkstein und einem ebenso unmöglichen Schatten geben? Natürlich nicht, schließlich gab es alles andere ja auch nicht.

      Allerdings hatten ihre Schlussfolgerungen einen kleinen Schönheitsfehler. Sie hatte diese Erscheinungen wirklich erfahren. Cornelia war seelisch ziemlich robust, niemand hatte ihr bisher etwas anderes bescheinigt. Sie litt auch weder unter Wahnvorstellungen noch unter einer übertriebenen Vorstellungskraft. Sie konnte sich also mit Recht für eine seelisch durchaus stabile Persönlichkeit halten. Und deshalb zweifelte sie nicht daran, dass sie das alles wirklich erlebt hatte: Das elektrische Kribbeln in ihrem Arm, die verschwommenen Bilder, die psychische Ausstrahlung des Gedenksteines und den Furcht einflößenden Schatten, dem sie hoffentlich nie wieder begegnen würde. All das entsprach der Wirklichkeit, war Cornelia überzeugt, aber sie begriff es nicht. So sehr sie auch darüber nachgrübelte, es fiel ihr nichts ein, was einen Sinn dieser Erscheinungen ergeben könnte.

      Erschrocken blieb Cornelia stehen, als sie unvorbereitet von einem Hund angeknurrt wurde. Am anderen Ende der Leine, die ihn daran hinderte, auf sie loszugehen, befand sich ein Jäger, den sie erst jetzt bemerkte.

      „Was treiben Sie sich denn hier herum?“, fragte der Mann.

      Als Jäger war er in seiner waidmännischen Kleidung und der Flinte über dem Rücken unverkennbar. Nur der grüne Lodenmantel und der Jägerhut fehlten, passend zu der warmen Jahreszeit. Er mochte zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt sein, war etwas kleiner als Cornelia, von untersetzter Gestalt und ließ sich einen stattlichen Vollbart wachsen. Mit seinen Lachfältchen im Gesicht machte er keinen unfreundlichen Eindruck. Und seine Frage hatte auch weniger ärgerlich als neugierig und etwas überrascht geklungen.

      „Aber wie sehen Sie denn aus?“, fragte er erstaunt, bevor Cornelia antworten konnte. Erst jetzt aus der Nähe waren ihm die kleine Wunde in ihrem Gesicht, ihre etwas zerzausten Haare und der Zustand ihrer Kleidung aufgefallen. Damit meinte er nicht nur den Blutfleck am Ärmel ihrer weißen Jacke. Die und Cornelias Jeans zeigten auch deutliche grüne Stellen, an denen sie mit den moosbewachsenen Rinden der Bäume und Sträucher in Berührung gekommen war, als sie kopflos durch den Wald lief. „Ist Ihnen etwas passiert? Wollte Ihnen jemand etwas antun?“

      Cornelia schüttelte den Kopf und blickte an sich herunter.

      „Nein“, erwiderte sie und lächelte unsicher. „Aber der Verdacht liegt nahe, so wie ich aussehe.“ Sie versuchte vergeblich, ihre Haare mit den Händen zu ordnen.

      „Wie kommen Sie dann hierher?“, fragte der Jäger. „Bis hierher schaffen es im Herbst kaum Pilzsammler.“

      Der Jäger zog seinen Hund zurück, als dieser begann, an Cornelias Hosenbein zu schnüffeln und sie sich zu ihm hinabbeugen wollte.

      „Nicht streicheln“, warnte er sie. „Es ist ein Jagdhund, und er könnte zuschnappen, falls er Ihre Geste falsch versteht. Sie sind fremd für ihn.“

      Cornelia richtete sich wieder auf.

      „Ich habe mich verlaufen“, erklärte sie und hatte damit ungemein Recht. „Eigentlich bin ich heute Morgen nur zu einer Wanderung losgegangen, und dann irgendwie vom Weg abgekommen.“

      Der Jäger schmunzelte. Er ahnte schon, wie das passiert war. Die Frau kam bestimmt aus der Stadt, und nur wenige Meter in den Wald hineinzugehen, konnte da schon ausgereicht haben, um sie die Orientierung verlieren zu lassen. Und wie sie aussah, musste sie schon eine ganze Weile durch den Wald geirrt sein und wäre es sicher noch länger, wenn sie sich nicht getroffen hätten. Mit seiner Vermutung über den Grund dafür, warum sie vom Weg abgekommen war, lag er nicht falsch, aber was ihr dann passiert war, konnte er nicht einmal ahnen.

      „Wo kommen Sie denn her?“, fragte der Jäger.

      „Aus Hannover“, antwortete Cornelia.

      Er musterte sie spöttisch und fragte betont ungläubig: „Und von dort sind Sie den weiten Weg bis hierher gelaufen?“

      „Ach so, nein. Ich habe ein Wochenendhaus in Weidlingen. Ich lebe in Hannover.“

      Der Jäger nickte.

      „Nach Weidlingen ist es immer noch ein weiter Weg. Dann sind sie schon länger unterwegs, oder?“

      „Na ja, seit heute Morgen.“

      Es waren tatsächlich einige Kilometer Luftlinie von ihrem Standort bis nach Weidlingen, und er glaubte nicht, dass die Frau auf geradem Wege bis dorthin gelangt war. Also musste sie ziemlich schnell unterwegs gewesen sein. So wie sie aussah, hatte sie sich auch durch dichtes Unterholz bewegt. Das mochte alles nichts zu bedeuten haben, und vielleicht hatte sie sich tatsächlich nur verlaufen und ging immer mit einem schnellen Schritt. Solche Leute gab es, und sie sah durchaus trainiert aus. Aber vielleicht gab es da noch eine andere Erklärung für alles. Und das, glaubte er, war wahrscheinlicher.

      Es war eine Lagebeurteilung, die er in Gedankenschnelle traf. Die meisten hätten es wahrscheinlich gar nicht getan, aber bei ihm war es sozusagen von Berufswegen: Er war Polizeibeamter.

      „Na gut“, meinte er dann.

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