Mit der Wut des Überlebens. Lars Gelting

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Mit der Wut des Überlebens - Lars Gelting

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im Hause auf, plante, rechnete, erhielt Besuch von wohlhabenden Bürgern aus Magdeburg, Leipzig und dem Umland und empfing immer wieder Händler, für die er auf ihren Reisen eine fest eingeplante Handelsstation war. Lediglich, wenn er irgendwann und notgedrungen zum Abtritt musste, dann konnten sie sich schon mal begegnen; der Abtritt befand sich im Pferdestall.

       Ungerufen drängte sich ihr das Bild auf, wie er damals im Wald vor ihr kniete, entblößt an Leib und Seele. Ein Haufen Elend mit einem Rosshaar in der Zunge.

       Der Gedanke riss unversehens ab: Gackernd kam ein Huhn schnurstracks auf sie zu gerannt, versuchte sich und sein ungelegtes Ei vor einem heranstürmenden, unberechenbar hüpfenden Reifen in Sicherheit zu bringen. Neben dem Reifen rannte Daniel, Moshes Sohn. Das Gesicht von dunklen, krausen Haaren eingerahmt, die Unterlippe im Eifer zwischen den Zähnen festgehalten, trieb er den Reifen mit einem kleinen Stöckchen diagonal über den Hof.

       Sie wandte sich ab, ließ ihren Blick gedankenlos über den Hof schweifen, hörte den Reifen, nur wenige Schritte entfernt, mit einem trockenen Klacken gegen die Wand stoßen.

       Auf der anderen Seite des Hofes, am Brunnen, vielleicht fünfzehn Schritte von ihr entfernt, begegnete sie einem anderen Blick. Batya, Moshes Frau lehnte dort im Schatten der großen Kastanie und beobachtete sie offensichtlich. Den Kopf leicht schräg gelegt verharrte sie noch einen Augenblick, löste sich dann vom Brunnen und kam zu ihr herüber geschlendert.

       Batya war einige Jahre jünger als sie, vielleicht achtundzwanzig. Eher klein und mit ausgeprägten Rundungen war sie ein Energiebündel, deren vermeintliche Gelassenheit von einem Augenblick zum anderen in Flammen aufgehen konnte.

       Vom ersten Tag an, den sie im Hause der Goldbergs erlebte, hatte ihr Batya geholfen, zurück ins Leben zu finden. Was immer ihr fehlte, Batya blieb nur wenig verborgen und so empfand sie kaum einen Mangel.

       Manchmal wurde sie nachts wach, wenn sich Batya und Moshe liebten. Dann drangen Laute zu ihr herüber, die den beiden in Momenten größten Wohlbehagens entströmten, die sich allmählich klärten, um dann mit zunehmender Leidenschaft stakkatisch einem gemeinsamen Höhepunkt zuzustreben. Sie lag dann wach, erinnerte sich und drohte zu zerreißen. Es waren die Momente, in denen das Gefühl, vom normalen Leben ausgeschlossen, vergessen zu sein, übermächtig wurde. Oft stand sie dann auf, setzte sich draußen vor die Tür, so wie sie jetzt auch dort saß, und starrte einfach in die Dunkelheit.

       Daniel rannte an ihr vorbei, trieb seinen Reifen wieder zurück auf die andere Hofseite.

       Ihr gegenüber kam Izaak wieder aus dem Stall, und stapfte, ohne mehr als notwendig von seiner Umgebung wahrzunehmen, festen Schrittes zum Haus zurück.

       In der Höhe etwa, in der er die Hand ausstrecken musste, um die Haustüre zu öffnen, wurden seine vertrackten Gedankengänge unterbrochen. Die ruhige, fließende Bewegung, mit der sich Batya auf ihn zu bewegte, ließ ihn einhalten. Mit einer raschen Bewegung hob und wandte er den Kopf, erfasste nicht nur Batya, sondern gleichzeitig auch die an der Wand Kauernde.

      „Aha, drückt euch euer plötzlicher Reichtum schon zu Boden?“Aus seiner geringen Höhe sah er amüsiert zu ihr herab.

      „Nein!“ Eher unwillig drückte sie sich aus der Hocke hoch, sah ihn dabei nicht an, „Ich konnte den Gestank da drin nicht mehr ertragen.“ Mit einer kleinen, launigen Bewegung wies ihr Kopf über die Schulter zurück.

       Izaak schob den Kopf vor, forschte in ihrem Gesicht, „Gestank?“ Er machte zwei schnelle Schritte vor, stützte sich mit der Linken an der Wand ab und schob Kopf und Oberkörper entschlossen durch die geöffnete Tür in die Kammer. Langsam, geradezu nachdenklich zog er sich wieder zurück, machte ein angewidertes Gesicht, sah sie einen Augenblick ruhig an.

      „Was habt ihr da gemacht? Das stinkt nach Katzen- oder Hundebalg!“

      „Hundebalg!“ Sie sah auf, blickte Batya an, die sich die Hand vor den Mund hielt, um nicht loszuprusten, wandte sich Izaak zu.

      „Das sind die Geldbeutel. Die sind vollkommen durchtränkt und stinken unerträglich!“

       Batya nahm ihre Hand vom Mund, lachte ungeniert los: „Genau so hat Moshe auch gestunken! Der konnte sich selbst nicht mehr riechen – und ich ihn auch nicht!“

      „Hm!“ Izaak wandte sich wieder Therese zu, „Das kommt von den Fellen?“

      „Nur von den Fellen!“ Sie hob die Schultern, sah ihn an, ratlos.

      „Hm.“ Er straffte sich entschlossen, blickte Batya direkt an, „Sobald Moshe zurück ist, sollen sie das Geld rüberbringen – ohne Beutel!“ Sich abwendend zu Therese: „Seid ganz beruhigt: Das Geld ist bei uns sicher, es bleibt euch!“

       Er verschwand in der Tür, ehe sie etwas erwidern konnte, stieß dieselbe aber im nächsten Augenblick wieder auf. Den Kopf leicht vorgestreckt blieb er in der geöffneten Tür stehen:

      „Wir könnten euer Geld gut anlegen! Die Gelegenheit ist günstig wie selten!“

      „Wo?“

       Er löste sich aus der Tür, kam noch einmal zurück, „Magdburg braucht Geld. Viel Geld! Mehr als wir heranschaffen können! Und das ist gut so! Im Frühjahr fahren Moshe und ich rüber, und dann werden wir euer Geld an die richtigen Leute bringen!“

      „In Magdeburg?“ Jetzt legte sie ihr Gesicht in Falten, „Magdeburg ist doch total zerstört! Da kann doch niemand mehr Geschäfte machen, da ist doch kein Geld mehr! Außerdem ist immer noch Krieg!“

       Er schob den Kopf leicht in den Nacken, setzte ein Gesicht auf, hinter dessen wissendem Lächeln sich offensichtlich Geheimnisse verbargen: „Das stimmt. Leider ist immer noch Krieg! Aber auch im Krieg geht das Leben weiter, nur anders! Und das Geld ist ja nicht verschwunden, das ist da und will angelegt werden!“

       Nachdenklich, eher unsicher forschte sie in seinem Gesicht, „Ich würde meinen, das meiste Geld ist beim Brand verloren gegangen oder geraubt worden?“

       Um seine Augen herum zuckte es, eine kurze Regung nur, einen Atemzug lang, während dem das Gespräch stockte. Ihm war offensichtlich klar, dass sie genau wusste, wovon sie sprach.

       Sie wandte ihren Blick nicht ab, zuckte mit den Schultern, „Ich habe meinen Preis bezahlt!“

       Die dicken Lippen fest aufeinander gepresst, nickte er ruhig einmal vor sich hin.

      „Die meisten Leute, die wirklich Geld hatten, waren beim Sturm gar nicht in der Stadt. Jetzt sind sie zurück, und jetzt brauchen sie Geld, viel Geld! Und wir wollen es ihnen leihen! Wir können euer Geld also gut gebrauchen!“

       Sie sah mit schmalen Augen auf den Boden, versuchte rasch, ihre Gedanken zu ordnen. So blieb sie immer abhängig! Sie selbst musste lernen, mit ihrem Geld umzugehen!

      „Lieber wäre mir, ich könnte euch begleiten. Ich möchte lernen, bei welchen Leuten Ihr euer Geld anlegt und bei welchen nicht. Und ich möchte lernen, was ihr verhandelt, wie ihr das Geld anlegt. All das muss ich selbst einmal können.“

      

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