Blinde Passagiere. Sabine Reimers

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Blinde Passagiere - Sabine Reimers

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Moment ohnmächtig werden.

      Frank hatte bisher nur dagestanden: „Ich denke, dass wir das gut schaffen. Wir haben ja immer noch einen intakten Bergführer, der den Weg kennt.“

      „Und“, ergänzte Silvia, „genug sehende Augen, um hier alle heil runterzubringen!“ Manfred versuchte sich etwas aufzurichten und übergab sich. „Tut mir so leid, aber es tut so weh!“ Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.

      Sebastian legte ihm die Hand auf die Schulter: „Glauben wir dir. Wir werden jetzt versuchen, dich hochzunehmen, um dich tragen zu können, das wird ganz sicher schlimm, aber es ist die einzige Möglichkeit.“

      Er zog mit Gianni den Verletzten mit einer flüssig wirkenden Bewegung auf ihre verschränkten Hände und legte seine Arme um ihre Schultern. Manfred hatte sich beim Aufrichten so auf die Lippen gebissen, um nicht zu schreien, dass ihm nun auch Blut den Mund hinab lief.

      Frau Menken hielt ein Taschentuch parat und goss aus ihrer Flasche etwas Wasser darauf. Sie tupfte das Blut ab: „Junge, det is‘ ja wat, wat de dir da einjehandelt hast.“ Ihr Gesicht war fast so weiß wie das von Manfred. Mitleidig schüttelte sie den Kopf. „Braucht ihr Wasser? Taschentücher? Pflaster? Hab’ allet dabei!“

      Die drei nahmen gerne ihre Wasserflasche und Papiertücher für Manfred mit und machten sich auf zu dem Weg oberhalb des Aschefeldes, um so schnell wie möglich zur Bergstation zu kommen.

      „So, ich denke, wir teilen uns dann mal neu auf: Frau Menken, helfen Sie mit?“, Silvia ergriff die Initiative. Lange tatenlos herumstehen war einfach nicht ihr Ding.

      „Na klaro, bin bereit!“ sie fasste unbeholfen und für die beiden völlig überraschend die Hände von Klaus und Alex, die in ihrer Nähe standen. „Ick bin Irene Menken und führ’ Sie jetzt hinab. Wird schon werden, wa? So“, sie drehte sich auf dem tiefen Untergrund mit den beiden um und ließ sich von ihnen so unterhaken, wie sie es bei Manfred beobachtet hatte, „da jeht’s abwärts. Aber schön langsam, een Schwerverletzter am Tag ist jenug!“

      Das ist ein Anblick! Silvia sah der Gruppe nach, die großen durchtrainierten Männer, an den Armen der kleinen stämmigen Frau. Toll, wie sie das macht. Einfach so.

      Sie sprach die zwei Blinden an, die neben ihr standen: „Wäre es in Ordnung, wenn ich Ihnen meine Hilfe anbiete?“ Sie hielt beiden ihre Hände hin und wunderte sich nur ganz kurz, dass sie nicht reagierten.

      „Gerne“, sagte Tobias, „das ist sehr freundlich, dass Sie uns helfen wollen. Am einfachsten geht es für uns, wenn wir Sie unterhaken dürften, dann haben wir den besten Halt.“

      „Natürlich!“, Silvia war erleichtert. Sie trat näher und berührte die Blinden mit ihren Ellbogen. Dann hakten sich Tobias links und Frank rechts ein. Zudem benutzten beide ihren Stock fast im Gleichtakt und so stapften die drei abwärts.

      „Können Sie uns sagen, was genau passiert ist? Ich habe nur mitgekriegt, dass Manfred gestolpert ist, er hat uns mitgerissen und dann schrecklich geschrien. Dann die Aufregung, alle waren da und nun wird er, wenn ich es richtig verstanden habe, zu einem Rettungshubschrauber gebracht!“ Franks Stimme klang sehr besorgt.

      „Mindestens das Schienbein ist gebrochen, der Knochen ist sogar durch die Haut getreten und hat eine tiefe Wunde gerissen. Sah ganz böse aus, gut, dass Sebastian verhindert hat, dass er es sich ansieht.“

      „Furchtbar, gerade so ein aktiver Mann wie Manfred!“ Frank schüttelte den Kopf.

      „Sie kennen sich schon lange, das hat er jedenfalls gestern Abend erzählt?“

      „Ja, wir spielen zusammen Fußball. Nicht profimäßig, also ich bin nicht so gut darin, aber wir haben viel Spaß und er trainiert richtig und spielt in auch noch in einer Sehenden–Mannschaft.“

      „Fußball? Wie? Fußball?“ Silvia blieb einfach stehen, was Tobias und Frank völlig aus dem Tritt brachte.

      „Na, Fußball eben. Blindenfußball, fünf gegen fünf. Der Torwart kann sehen, wäre ja sonst blöde. Und Manfred ist eben in unserer Mannschaft der Torwart.“

      „Und der Ball, wie finden Sie den Ball?“

      „Ist eine Glocke drin. Ist eine Herausforderung, aber gerade das macht irre Spaß! Sie sollten uns mal sehen! Oder mitspielen, ich kann Ihnen eine Augenbinde besorgen!“

       Nein, danke! Ich kann schon bei voller Sicht keine Mannschaftssportarten leiden.

      „Ich glaube nicht, dass ich das je könnte!“

      „Ich auch nicht“, meldete sich Tobias zu Wort, „ist mir zu verrückt.“

      Silvia drehte sich um. Hinter ihnen kamen von Waldensrieths mit Massimo, der wild auf sie einredete.

      Die haben sich einfach abseits gehalten und auch keine Hilfe angeboten, als sich Manfred verletzte. Seltsame Leute. Massimo gestikulierte wild zu Frau Menken und rief ihr zu, sie solle auf dem Weg, den sie gleich erreichen würde, warten. Dort sammelten sich die drei Grüppchen. Herr von Waldensrieth warf Silvia einen „Siehst–du–das–habe–ich–doch–gleich–gesagt“–Blick zu, den sie mit einem schnippischen Lächeln quittierte.

      Massimo machte ihnen Mut: „So, da hätten wir den schwierigsten Teil, den durch das Lapilli–Aschefeld, geschafft. Normalerweise ist das immer einer der Höhepunkte unserer Wanderung, weil man sich in dem weichen Staub wie auf dem Mond fühlen kann. Jetzt geht es auf diesem festgetretenen Pfad weiter, da kommen wir besser voran. Wir brauchen nur noch eine halbe Stunde bis zu den Geländewagen, das schaffen wir doch!“ Er sah aufmunternd in die Runde.

      „Klar, und das bei bester Unterhaltung!“ Frank grinste.

      Von fern hörten sie das Knattern eines Hubschraubers. Massimo atmete hörbar aus: „Gott sei Dank, der Helikopter kommt. Sah ja furchtbar aus! So was habe ich noch nie erlebt. Schon mal den einen oder anderen Bänderriss, verstauchte Knöchel, aber so einen Bruch, meine Güte.“

      Er drängte zum Aufbruch. Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Jetzt auf dem befestigten Weg waren sie deutlich schneller.

      Als sie die Bergstation nach der Fahrt in den Unimogs erreichten, war der Hubschrauber wieder abgeflogen. Sebastian sprach mit dem Bergführer und wartete auf sie.

      Worte der gegenseitigen Anerkennung und Dankesbezeugungen wurden gewechselt, dann stiegen sie in die Gondeln der Seilbahn ein.

      An der Talstation stand ihr Bus, der sie zum Schiff zurückbrachte. Kurz vor dem Einsteigen nahm Tobias Pflüger wieder Silvias Hand und strich über sie: „Ich danke für die Hilfe und hoffe, dass ich mich irgendwann revanchieren kann.“

      „Kein Problem, das habe ich doch gerne gemacht.“ Silvia war verwirrt. Seltsamer Mann.

      „Ich danke auch“, Frank war an sie herangetreten, „aber statt darauf zu warten, dass ich Sie auch mal einen Berg hinunterführen darf, lade ich Sie und Frau Menken heute Abend herzlich zu einem Glas Rotwein in die irische Bar ein!“

      „Det is mal‘n Wort, da sagen wa glatt zu, wat, Frau Landwehr?“ Irene war begeistert und Silvia freute sich über die Einladung. Sie sah Frank lächeln und dabei fühlte sie ein angenehmes Kribbeln in ihrer Bauchgegend.

      Sie betraten den Bus und genossen, erschöpft

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