Blinde Passagiere. Sabine Reimers

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Blinde Passagiere - Sabine Reimers

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Blinden davon, auf einem Berg herumzukraxeln, wenn sie nicht mal die Aussicht genießen können?‘“

      Tobias Pflüger, den sie heute Nachmittag am Swimmingpool getroffen hatte, hatte ihr sein Gesicht zugewandt. Er klang zwar aufgebracht, lächelte sie aber an, als sei das sarkastisch gewesen. Sebastian griff ein:

      „He, Tobi, mal nicht so aggressiv. Ist doch klar, dass man erst mal Schwierigkeiten hat, das nachzuvollziehen. Für diese Männer ist das im gleichen Sinne ein großartiges Erlebnis wie für Sie. Sie sehen zwar nichts, aber man hört, riecht, nimmt die Höhe und die Welt ganz verändert wahr. Das schafft genauso unvergleichliche Sinneseindrücke wie das Sehen.“

      Silvia nickte. Spannende Parallelwelt.

      „Sie leiten diese Reise?“

      „Wir sind von einem Reiseveranstalter, der Blindenreisen organisiert. Immer vier Blinde und ein sehender Betreuer. Mein Kollege Manfred“, er zeigte auf einen blonden, großen Mann, der ein Guinness vor sich stehen hatte, „und ich machen das seit Jahren im Sommerurlaub. Mein anderer Kollege, Christian, hat sich schon hingelegt.

      Ist eine tolle Sache, immer andere Ecken der Welt entdecken. Gerade diese Gruppe kennen wir schon lange. Sie waren früher am gleichen Blindeninternat, an dem Manfred und ich im normalen Berufsalltag als Sozialarbeiter tätig sind. Wir helfen bei allen Alltagsdingen, die so anfallen. Die Jungs haben sich überlegt, jedes Jahr eine gemeinsame Reise zu machen, um in Kontakt zu bleiben. Dieses Jahr ist es so eine außergewöhnliche Tour, weil einige von ihnen damit das ‚Silberne Abitur‘ feiern und die anderen dabei kräftig helfen!“ Er lachte in die Gruppe, alle nickten zufrieden.

      „Das Schöne an einer Kreuzfahrt ist“, der bärtige Blinde sprach wieder, „dass das Schlafzimmer immer mitfährt. Man erobert einmal seine Kabine und das Schiff und diese vertraute Umgebung bleibt dann bestehen. Bei einer normalen Rundreise müssten wir uns jede Nacht auf neue Quartiere einstellen. Ist machbar, aber ziemlich stressig. So haben wir unser Bett und unsere Bar für die nächsten elf Nächte gefunden. Und fast jeden Morgen wachen wir an einem neuen, spannenden Ort auf.“

      Silvia nickte, besann sich eines Besseren und sagte: „Klar, verstehe ich sehr gut. Und was planen die anderen, die nicht auf den Ätna mitkommen?“

      „Die bummeln erst durch Catania und fahren dann zu einem Zitronenhain. Soll zu dieser Jahreszeit fantastisch sein!“ Manfred nahm einen großen Schluck aus seinem Bierglas.

      „Ich konnte mich zunächst auch nicht recht entscheiden, aber der Ätna hat dann gewonnen“, Silvia lächelte, „danke für die nette Unterhaltung, bis morgen dann!“

      „Bis morgen“, echote die Männergruppe und wandte sich wieder einander zu.

      Als sie wieder in ihrer Kabine angekommen war, spürte sie, wie müde sie war. Mittlerweile zeigte die Uhr bereits nach Mitternacht an.

      Ein schöner Abend, eine interessante Runde.

      Als sie zum Einschlafen das Licht ausschaltete, sah sie ganz kurz das breite Grinsen des bärtigen Blinden vor sich. Trotz der dunklen Brille hatte sie kleine Lachfältchen um die Augenwinkel zum Vorschein kommen sehen. Seine strahlend weißen, gepflegten Zähne hatten ihr entgegengeblitzt, als er sie anlächelte.

       Nett war es gewesen. Sehr nett.

      Klein und zusammengekrümmt saß die Frau auf dem Hocker. Er fuhr ihren Hals entlang und zog mit einem kräftigen Ruck das Messer aus dem Nacken. Dann ließ er seinen Gefährten das Haargummi lösen, das ihre Haare so streng nach hinten gebändigt hatte. Er strich sie ihr sorgfältig in zwei Strähnen, die er über die Schultern legte. Frauenhaar ... er roch daran, sog den Duft tief in sich ein ... göttlich. Zärtlich strich er über ihren Kopf. Wie weich, wie angenehm sich das anfühlte.

      Vorsichtig legte er das aufgeschnittene Haargummi in die kleine Pappschachtel, in der schon der Knopf vom Steward lag.

      Er verspürte wieder diese unglaubliche Ruhe und Befriedigung. Wieder hatte er geholfen, ihr, die ihm so nett die Kabine zurechtgemacht hatte. So nett. So nett, dass seine Freunde gesagt hatten, dass ihre Nettigkeit ein Zeichen sein musste.

      Seine Freunde sollten stolz auf ihn sein.

      Wieder schnitt er den benötigten Bindfaden ab, brachte die Kleidung der Cabin Stewardess in Ordnung, nahm Stück für Stück und legte sie ordentlich zusammen. Zwischen der Hose und der Bluse der kleinen Spanierin schob er das Werk „Roter Drache“.

      Wieder ging er in das Badezimmer und genoss die Pflege seines Gefährten. Er reinigte ihn, er lobte ihn. Stolz und dankbar blitzte der Dolch in seiner Hand, glücklich über die guten Taten, die er, von fester Hand geführt, vollbrachte. Wieder ein leichtes Einölen, damit sein Kamerad seine Eleganz und Leichtigkeit nicht verlieren würde. Er berührte ihn vorsichtig mit den Lippen, nur ganz sanft, um die Kühle der Klinge zu spüren, mit dem Zittern seines Atems die Schärfe zu fühlen. Dann schob er ihn in das Lederetui und versteckte ihn in seinem Koffer, in der kleinen Innentasche.

      Danach war es Zeit zu warten, bis es so weit war und die kleine, leichte Frau dem Meer anvertraut werden konnte ...

      Tag drei von zwölf

      Um sechs klingelte der Wecker. Draußen war es noch dämmrig. Silvia beschloss wegen der anstehenden Ätna–Wanderung statt des Lauftrainings heute früh lieber schwimmen zu gehen.

      Auf dem Sonnendeck war niemand. Im Osten schimmerte ein schmales gelbes Band am Himmel.

      Während jeder Bahn, die Silvia zog, wurde das Band breiter. Es änderte seine Farbe in helles Silber, dann in Gold, bis schließlich die Sonne über den Horizont trat. Sie zog sich am Beckenrand hoch und legte sich den Bademantel um.

      Im Frühstückssaal wurde sie freundlich von Sebastian und Manfred im Kreise ihrer Gruppe begrüßt.

      „Wir haben es gestern versäumt, alle vorzustellen, das war ja blöd von uns. Aber das holen wir jetzt nach!“ Er sah aufmunternd in die Runde. Jeden der sechs blinden Männer am Tisch („Die anderen kommen mal wieder nicht aus den Federn“) stellte er kurz vor und Silvia schüttelte alle ausgestreckten Hände. Sie erfuhr, mit einem ganz leisen Kribbeln im Bauch, dass der bärtige Mann Frank hieß. Frank Hildendörfler. Er lächelte, als sie seine Hand fasste.

      Tobias Pflüger kannte sie bereits. Er legte sofort wieder seine linke Hand über ihre rechte und schien sie durch seine dunkle Brille hindurch mit seinem Blick zu durchbohren. Sie zog die Hand schnell zurück, das war ihr unangenehm.

      Die anderen Blinden winkten ihr nur kurz über den Tisch zu, als Sebastian sie als „Lüder, unsere Frohnatur“, „der stille Uwe“ und „Klaus und Alex, die Sportskanonen“, vorstellte.

      Auf den Ätna würden Manfred und Sebastian als Begleiter mitkommen, nicht Christian, der, so Basti: „im Zitronenhain schnuppern geht.“

      Ebenso gehörten Frank, Tobias, Klaus und Alex mit zu der kleinen Expedition. Alex und Klaus fielen Silvia aufgrund ihrer Größe, aber auch durch ihre Muskeln auf: Unter den eng anliegenden T–Shirts waren deutliche Sixpacks zu erkennen.

      Silvia warf der Runde noch ein „Bis nachher dann“ zu, dann ging sie zu ihrem Tisch weiter.

      Sie setzte sich an ihren schon fast angestammten Platz,

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