Blinde Passagiere. Sabine Reimers
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Читать онлайн книгу Blinde Passagiere - Sabine Reimers страница 7
Als sie auf dem Weg zu ihrem Deck war, bekam sie mit, wie ein Steward zu einem anderen sagte: „Ich weiß es auch nicht. Vielleicht ist sie in Rom ausgestiegen?“
„Was sollte sie da? Sie konnte weder Englisch noch Italienisch. Rodrigo ist verzweifelt, er glaubt nicht, dass seine Frau getürmt ist und ihn verlassen hat. Heute Morgen haben sie noch gemeinsam gefrühstückt. Sie hatte Zimmerdienst, aber du weißt ja wie das ist, man geht von Zimmer zu Zimmer, je nachdem wie die Leute ihre Kabinen verlassen. Daher wissen wir nicht, wo sie war oder ob sie überhaupt angefangen hatte. Jetzt ist sie einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt! Ich habe ihm geholfen, alles abzusuchen, auch ihre Freundin Natalia hat überall geguckt!“ „Vielleicht klärt sich das noch, vielleicht sind sie auch schon längst wieder zusammen. Beide haben ja ein ordentlich heißblütiges spanisches Temperament, kann ja sein, dass da auch mal ein heftiger Streit stattfindet. Wahrscheinlich wollte sie ihn nur schocken, indem sie sich versteckt, damit er sich Sorgen macht!“
Seltsam, dachte Silvia, das habe ich doch so ähnlich schon mal gehört. Die haben wohl Schwierigkeiten, ihr Personal zusammenzuhalten. Vielleicht ist das auch nicht einfach, so viele Menschen aus vielen verschiedenen Nationen.
Sie erreichte ihre Kabine und setzte sich auf den kleinen Balkon. Von hier aus konnte sie gut sehen, wie sich die Küste der Region Lazio immer weiter entfernte. Der Himmel war aus einem tiefen Blau gespannt. Erste Sterne glitzerten auf und flackerten. Das Meer zeigte leichte, weiße Schaumkrönchen und das Land war als dunkler Strich zu erkennen. In der Ferne leuchteten die Lichter kleiner Siedlungen und Städte.
Bevor ich jetzt schon um neun einschlafe, gehe ich noch auf einen Abendschluck in die Bar.
Sie raffte sich auf und legte sich das neu erworbene, bunte Tuch um die Schultern.
Für das Abendentertainment gab es etliche Gelegenheiten, Silvia hatte Lust, heute Abend den irischen Pub kennenzulernen, das verhieß Gemütlichkeit und gute Musik.
Als sie den Raum betrat, sah sie ihre Erwartungen noch übertroffen: Der Saal lag Richtung Bug des Schiffes und drei Viertel der Wände waren verglast, man sah auf das Meer, jetzt natürlich in die Dunkelheit, hinaus. Die Fensterfront war mit der Form des Bugs leicht oval geschwungen. In der Mitte des großen Raumes war eine ebenfalls ovale Theke, die von allen Seiten Zugang bot, und an der zwanzig Menschen an jeder Seite gut Platz finden konnten. In ihrer Mitte stand ein großes Regal mit Getränken aller Art. Um die Theke verstreut standen kleine Sofas, die bis zu vier Personen Platz boten, dazu gemütliche Sessel und Stühle, die allesamt mit braunem Leder bezogen waren. Dazwischen gab es Tischchen aus dunklem Holz, mit leuchtenden Windlichtern im Tiffany–Stil. Am der Wand entlang, die nicht zur Fensterfront gehörte, boten kleine Nischen, durch holzgetäfelte Wände abgeteilt, bis zu vier Personen auch die Möglichkeit eines Rückzugs. Alles strahlte wirklich die urige Gemütlichkeit eines irischen Pubs aus.
Ein Musiker spielte Klavier, angenehme, unaufdringliche Melodien. Silvia fühlte sich gleich wohl und bestellte sich an der Bar ein Glas Rotwein, einen Montepulciano. Eine Barkeeperin mit deutlich russischem Akzent gab ihr das Gewünschte. Danach wählte sie einen Sessel, der in Fahrtrichtung stand. Ihr bot sich zwischen den Spiegelungen des Raumes mit seinen vielen kleinen Lichtern und Kerzen eine gute Aussicht über den Bug des Schiffes hinweg auf das Meer, das, so dunkel wie es jetzt dalag, kaum vom Himmel zu unterscheiden war. Nur die Sterne fehlten in der Schwärze des nachtblauen Wassers. Silvia nippte an ihrem Wein und genoss die ruhige Atmosphäre, die hier herrschte.
Im nächsten Moment wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sich ein Mann von schräg hinten zu ihr herunterbeugte:
„Entschuldigung, dürfen wir Ihnen diese zwei Sessel entführen?“ Sie blickte auf und sah in das Gesicht des Reiseführers der Blindengruppe, der auf die Sitzgelegenheiten zeigte, die ihren kleinen Tisch umringten.
„Ja, gerne, ich bin schon vollzählig hier.“ Sie lächelte und sah über ihre Schulter. „Da brauchen Sie ja noch einige Stühle.“
Elf Männer mit Sonnenbrillen standen ein wenig verloren um eine Sitzgruppe mit einem Sofa und zwei Sesseln herum. Die beiden Reiseleiter waren bemüht, von den übrigen Tischen freie Stühle herbeizuholen.
„Das geht schon. Danke für die Spende!“ Er lachte und schob den ersten Sessel der Gruppe zu. Es kam Bewegung in die Männer, einige setzten sich, führten andere zum Platz – und schließlich, nach Geschiebe und Gedränge, saßen alle. Die Barkeeperin hatte erkannt, dass dies besondere Passagiere waren und kam, um die Bestellung aufzunehmen. Schnell waren Bier, Wein, Wasser und Whisky bestellt und mit Bordkarten bezahlt. Eine ausgelassene Stimmung machte sich breit, Anekdoten und Geschichtchen wurden erzählt. Silvia bemerkte, dass der Reiseführer immer wieder zu ihr hinübersah. Endlich stand er auf und sprach sie an: „Sie sitzen hier so alleine. Möchten Sie nicht mit zu uns an den Tisch? Wir können noch ein wenig zusammenrücken, dann passt das schon!“ Silvia lächelte ihn an und wandte sich ihm zu: „Das ist sehr freundlich. Aber ich habe gerade meinen Gute–Nacht–Trunk genommen und bin jetzt reif fürs Bett! Morgen wird’s anstrengend, ich werde an der Ätna–Wanderung teilnehmen.“
Der junge Mann strahlte: „Toll! Dann wandern wir zusammen! Ich bin mit vier unserer Schützlinge auch dabei! Ich bin übrigens Sebastian Rother, bitte nennen Sie mich ‚Basti’, wie der Rest der Welt.“ Silvia war nun doch aufgestanden und folgte ihrer neuen Bekanntschaft an den Tisch: „Gerne, Basti, ich bin Silvia. Sie gehen mit den ... äh, den ...“
Oh, Mann, nichts Falsches sagen. Die sind alle ganz leise und hören genau zu. Und du stammelst hier herum, weil es dir peinlich ist, Nicht–Sehende als blind zu bezeichnen?
„... mit den blinden Passagieren auf den Ätna.“ Brüllendes Gelächter war die Folge, als einer der Männer den Satz beendete. Silvia wurde rot.
Macht nichts, sieht ja fast keiner. Blinde Passagiere, alles klar. Nette Umschreibung. Volltreffer.
Sie sah den Mann an, der gesprochen hatte und immer noch breit grinste. Er hatte sie gestern nach dem Stuhl auf dem Sonnendeck gefragt. Wie die anderen Männer trug auch er eine Sonnenbrille. Er war groß, stämmig und hatte einen sehr gepflegten, gestutzten Bart, in dem, wie in seinem kurzgeschnittenen Haar, graue Haare das schwarze melierten. Silvia fand seine Ausstrahlung sehr attraktiv, mit seinem jungenhaften, herzlichen Lachen. Sein kurzärmeliges, gemustertes Hemd passte hervorragend zur dunkelblauen Jeans.
Wie stellt man seine Kleidung zusammen, wenn man blind ist? Fragt man jeden Tag jemanden um Rat? Legt man sich kleine Zettelchen mit Blindenschrift in die Schubladen: ‚Achtung, Hemd hat pinke Streifen, nicht zur grünen Hose anziehen?‘
Sie stellte fest, dass diesbezüglich offenbar keiner der Männer Probleme hatte. Sie waren genauso gekleidet wie andere Herren an Bord auch. Nur dass sie trotz der schummrigen Barbeleuchtung dunkle Brillen trugen.
Die Bedienung kam ein weiteres Mal und fragte nach Getränkewünschen. Silvia bestellte sich noch ein Glas Rotwein. Nachdem Sebastian zwei der Männer gebeten hatte, zu rücken, passte sie noch mit auf das halbrunde Sofa.
„Also Sie gehen mit auf den Ätna?“ Sie blickte den Mann an, der die Bemerkung mit den blinden Passagieren gemacht hatte. Als er nicht reagierte, schlug sie sich innerlich mit der Hand auf die Stirn.
Anstarren kannst du den lange! Und angesprochen fühlt der sich so auch nicht!
Sie