Sieben Leben. Stefan Kuntze

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Sieben Leben - Stefan Kuntze

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arbeitende und arbeitslose Proletarier einbeziehen. Die sind mit den aktiven Genossen gemeint. So wird ein Schuh daraus!“

      „Aha … und wie sollen die Gruppen heißen?“

      „Das wissen wir noch nicht und das ist auch nicht das Wichtigste.“

      Karl hatte ein Thema angesprochen, das nicht leicht zu durchdringen war. Es gab nämlich keinen Gründungsparteitag oder ähnliches und auch keine Abstimmung über Namen und Ziele. Irgendwie war die Organisation auf einmal da! Was Karl allerdings nach dieser Begegnung verstanden hatte, war, dass es den großen Denkern nicht um die Gründung einer Partei im traditionellen Sinn ging. Diese Erkenntnis war nicht neu, da man in seinen Berliner Jahren von 1927 bis 1929 immer von der Notwendigkeit einer Machtübernahme in den Betrieben durch Arbeiterräte gesprochen hatte. Der von der SPD unterstützte Parlamentarismus, an dem sich auch die von Moskau ferngesteuerte KPD beteiligte, war ein Machtinstrument der bürgerlichen Klasse zur Verteidigung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Soviel hatte er begriffen.

      Aber jetzt ging es offenbar nicht mehr um die Revolution, jedenfalls nicht heute oder morgen. Sie hatten den Plan einer revolutionären Umwälzung aufgegeben oder zumindest auf Eis gelegt. Es ging ums Überleben der Menschen und der Idee! War die Situation tatsächlich so schlimm? Irgendwie hatte er in der Frankfurter Zeit etwas versäumt oder vielleicht nur nicht aufgepasst.

      Die ersten Treffen der neuen und geheimen Berliner Gruppe, die er nach seiner Rückkehr besuchte, fanden in Hinterzimmern von Eckkneipen oder anderen Lokalen statt und waren alles andere als Massenveranstaltungen. Außer Peter Utzelmann und Ernst Fröbel, der als Schneider arbeitete und seit kurzem mit Schröders Tochter Ulla verbunden war, hatte er keine Menschen aus der Arbeitswelt gesehen, die man als Proletarier hätte bezeichnen können.

      Irgendetwas ist ihm damals aufgestoßen. Karl hat im Alter bei Gesprächen über die politische Tätigkeit in den Dreißigerjahren zum Ausdruck gebracht, dass das Konzept der Gruppe in gewisser Weise utopistisch gewesen sei und eigentlich nie eine Chance zur Verwirklichung der Grundidee bestanden habe. Damals war er jedoch begeistert.

      In den Vortragsveranstaltungen der Sozialwissenschaftlichen Vereinigung, die sich weiterhin an Jungsozialisten, Sozialistische Arbeiterjugend und andere linke SPD-Mitglieder wandten, traf er viele junge Leute aus der Gewerkschaft und von den Universitäten, die mit der revisionistischen Politik der SPD und insbesondere der Tolerierung des Brüning‘schen Regierens durch Notverordnungen unzufrieden waren. Dennoch galt für alle Teilnehmer, dass man die größte, nicht von der Sowjetunion gegängelte Organisation der Arbeiterklasse, die SPD, nicht rechts liegen lassen könne und deshalb in ihr aktiv sein müsse.

      Die durch Stimmenthaltung der SPD im Reichstag am 20. März tolerierte Bewilligung einer ersten Rate für den Bau eines weiteren Panzerkreuzers löste bei den jungen Aktiven Wut und Verbitterung aus. Die Diskussionen in der SWV wurden hitziger, und man erlebte heftige verbale Angriffe gegen die Parteiführung.

      „Die schmeißen sich den Bürgerlichen an den Hals und merken nicht, dass sie an dieser Umarmung ersticken werden. Außerdem grenzt das an Verrat der Arbeiterklasse.“

      Beifall brandete auf. Der Jungsozialist aus Dresden, der vielen schon in der letzten Woche aufgefallen war, hatte im Anschluss an den Vortrag Schröders über die Notwendigkeit der illegalen Arbeit und des Kampfes in Zeiten wie diesen das Wort ergriffen. Als er an seinen Platz neben Karl zurückkam, wandte der sich an ihn.

      „Da hast du aber Recht, Genosse. Es ist wirklich nicht zu glauben, was die SPD in ihrer Blindheit veranstaltet. Wann wachen die endlich auf?“ Und nach einer kurzen Pause: „Wie heißt du eigentlich und wo kommst du her? Ich habe dich hier noch nicht gesehen.“

      „Ich komm aus Dresden. Ich bin der Helmut Wagner.“

      Jetzt erst fiel Karl die Dialektfärbung seines Nachbarn auf, die er bei dem öffentlichen Redebeitrag nicht erkannt hatte.

      „Freut mich, ich bin Karl Kuntze aus Berlin. Ich muss kurz einmal raus. Hier ist die Luft zu stickig.“

      „Du ahnst gar nicht, wie Recht du hast. Hier herrscht dicke Luft. Ich komme mit. Viel verspreche ich mir von dieser Diskussion sowieso nicht.“

      Sie standen auf dem Hof des Parteilokals und rauchten eine Zigarette miteinander.

      „Weißt du eigentlich, was die SPD mit uns jungen Sozialisten vorhat?“

      „Was wird das schon sein? Sicher nichts Gutes!“

      „Sie nennen es ‚Organisationsreform‘, aber es geht darum, die Jungsozialisten an die Kette zu legen.“

      „Wie das?“

      „Im letzten November haben wir bei der Kundgebung in den Autohallen unseren jungproletarischen Ordnerdienst eingesetzt, um die Nazis abzuwehren und da haben uns doch tatsächlich die Typen vom Reichsbanner angegriffen. Stell dir das vor: die eigenen Leute!“

      Karl hatte von dieser Auseinandersetzung gehört, weil in der Folge die SPD-Führung alle Berliner Ortsgruppen der Jungsozialisten per Dekret aufgelöst hatte. Die Maßnahme wurde damit begründet, sie seien zur Partei in der Partei geworden.

      „In Leipzig wird in der nächsten Woche eine Reichskonferenz abgehalten. Da werden wir diesen Anschlag auf die linke Jugend abwehren! Du musst einmal unsere Zeitschrift lesen, den ‚Roten Kämpfer‘, da schreiben alle wirklich Fortschrittlichen, worauf es jetzt ankommt.“

      Karl dachte kurz an seine ersten Begegnungen mit dem Onkel und an dessen festen Glauben an die Revolution.

      „Meinst du wirklich, wir können die Revolution schaffen, bevor die Faschisten die Macht übernehmen?“

      „Aber klar doch! Ja, die Nazis haben bei den Septemberwahlen einen gewissen Erfolg gehabt, aber was sind schon 18 Prozent? Schau dir doch einmal an, wie viele Deutsche links gewählt haben. Das waren fast 40 Prozent. Es wäre doch zum Lachen, wenn wir da nicht weiterkämen.“

      Die linke Mehrheit, der Traum aller Fortschrittlichen! Karl war sich nicht sicher, ob er den Optimismus des Genossen teilen konnte, aber er bewunderte die Entschlossenheit des fünf Jahre Älteren.

      „Vielleicht hast du ja Recht. Wirst du in Leipzig dabei sein?“

      „Das ist klar wie Kloßbrühe. Wir werden die Parteibosse vorführen, das kann ich dir versprechen! Denk dran, wir werden die Roten Kämpfer sein!“

      Eine neue Partei

      Bernhard Reichenbach lebte seit 1925 in Düsseldorf und arbeitete bei einer Krefelder Firma als Prokurist. Sein Engagement in der SWV hielt er aufrecht und war als Vortragender auf Schulungsabenden im Ruhrgebiet tätig und natürlich stand er in laufender Verbindung mit den Berliner Genossen.

      Er berichtete im November 1930 Schröder und Schwab von einer Zeitschrift, die ein ideales Diskussionsforum für sozialistische Gedanken biete. Unter der Überschrift ‚Marxistische Arbeiterzeitung‘ wende sich dieses von Studenten in Bochum herausgegebene Blatt mit dem Namen ‚Der Rote Kämpfer‘ an die interessierte Öffentlichkeit.

      Reichenbach war davon überzeugt, dass die kommunistische Zukunft von den Jungen gestaltet werde. Die Unzufriedenheit mit der SPD und ihrer Rolle im Reichstag war mit Händen zu greifen. Diese Menschen müsse man erreichen. Nichts anderes versuchten sie schließlich in der SWV seit vielen Jahren.

      Er

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