Gelebt. Josephine Odrig

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Gelebt - Josephine Odrig

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nur das glitzernde Licht zwischen den zarten Blättern zählte. Momente, in denen nur sie allein im Schutz der Weide das Leben in sich einsog und alles herum vergaß.

      Sie hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und betrachtete die alte, knorrige Weide. Was hatte sie schon alles gesehen? Wie viel Wasser hatte ihre Wurzeln bereits umspült? Das Mädchen setzte sich auf und betrachtete die zerfurchte Rinde des Baumes. Und plötzlich zog vor ihrem inneren Auge ihr eigenes Leben vorbei. Das vergangene und auch das zukünftige. Und dann kam das ihrer Mutter. Und ihrer Großmutter. Und ihrer Kinder. Und es war wie in einer Geschichte, die den Bogen über mehrere Generationen spannte. Ihr wurde die Vergänglichkeit, ihre eigene, aber auch diejenige allen Lebens auf der Welt, bewusst. Sie war ein klitzekleiner Teil, ein kleines Wesen auf dieser großen Welt im Rad der Zeit. Und dennoch fühlte sie sich nicht unbedeutend. Im Gegenteil, nur wenn alle Teile da waren und die Welt so erlebten, wie sie war, mit allem was dazugehörte, nur dann hatte die Erde und das Leben auf ihr einen Sinn. Das war das Beste und Größte, was es für den Menschen gab: sein Leben.

      Sie hatte sich auch schon oft die Frage gestellt, wo sie vor ihrer Geburt gewesen sein mochte. „Quark im Schaufenster“, pflegte ihre Mutter dann zu sagen. Doch was sollte das sein? Und wo? Saß sie davor ebenso wie nach Lebensende auf dem Schoß Gottes? Oder daneben? Aber wie sollte das gehen, gab es doch so viele Menschen, die ebenfalls ein Anrecht darauf hatten. Und was machte sie dort überhaupt den ganzen Tag? Oder war Zeit relativ? Ihre Gedanken drehten sich immer mehr und die Fragen gingen immer tiefer.

      So stand sie mit einem Ruck, der alle Grübeleien abschütteln sollte, auf und ging zum Bach. Sie stellte sich mit ihren nackten Füßen in das kühle Nass und ließ das Wasser sanft ihre Knöchel umspielen. Das war eine Liebkosung der Natur, die sie vor allem an solch heißen Tagen in vollen Zügen genoss. Sie setzte sich auf den großen Stein am Ufer und stützte den Kopf auf die Hände. Sie starrte in das Wasser und verfiel fast in eine Art Trance, ausgelöst durch die sanften Wellen des dahinplätschernden Wassers. Der Duft des Weizens stieg ihr in die Nase, gefolgt von einer Mischung aus Nässe, frischem Gras und Weidenrindengeruch. Ein Schmetterling tanzte knapp an ihrem Knie vorbei, dem Wasserlauf folgend. In der Ferne hörte sie eine Kuh rufen. Ein kleines Stöckchen trieb im Wasser. Im Wind umspielte ihr Haar sanft ihr Gesicht.

      Ein Moment, den sie für sich mit dem Herzen fotografierte, umschloss und gut aufbewahrte, sollte es jemals anders werden.

      TEIL 1

       Pflaumenbaum

      In Nachbars Garten im Pflaumenbaum

      da rauschte leise der Wind

      Er ließ mich träumen von der Zeit

      als ich noch war ein Kind

      Wie oft saß ich in diesem Baum

      Ein Spielzeug war’s für mich

      Der gleiche Wuchs so groß und frei

      erinnert mich an dich

      Geschaukelt hab ich oft an ihm

      und fiel auch mal herab

      bekam da leider keine Luft

      da lief die Oma Trab

      Das Klettern fiel mir niemals schwer

      mit Lust war ich dabei

      das kann ich leider niemals mehr

      die Jugend ist vorbei

      Gedanken wandern nur zurück

      beim Anblick dieses Baums

      die schöne Zeit ist nun vorbei

      es bleibt nur noch ein Traum.

      Erika Renger

      Kapitel 1

       Februar 2016, bei Nürnberg

      Thela stellte die Musik lauter. Sie lenkte den Wagen rückwärts aus der Parklücke und fuhr zum Ausgang, schob die Karte in den Schlitz, wartete und entnahm sie wieder. Langsam öffnete sich die Schranke. Sie legte den ersten Gang ein und fuhr auf den Fußweg vor. Ein Radfahrer zwang sie zum Halten. Dann kam eine lange Reihe Autos und Lkws. Nach gefühlt fünf Minuten konnte sie sich endlich in den Straßenverkehr einreihen. Es war 15 Uhr und jede Menge Fahrzeuge waren unterwegs. Dankbar, dass sie auf diese Weise vom Arbeitsstress abgelenkt wurde, ließ sich Thela von der Autoschlange mitschieben. Die Musik spielte eines ihrer Lieblingslieder aus den 90ern. Sie sang mit, während sie das Auto durch die Stadt lenkte.

      Zehn Minuten später war sie auf der wenig befahrenen Bundesstraße angelangt und so schweiften ihre Gedanken wieder zur Arbeit. Sie hatte ein völlig unnötiges Meeting mit ihren Kollegen gehabt, in dem heftig diskutiert worden war. Allerdings ohne Ergebnis. Stattdessen zog es sich in die Länge. Thela war dann einfach gegangen. Zum Glück hatte sie einen anerkannten Grund dafür. Aber das Meeting warf sie, neben den drei Mandantengesprächen heute, zeitlich zurück. Sie hatte eine Klage einzureichen. Und Montag lief die Frist ab. Nur leider konnte sie bis jetzt weder die notwendigen Recherchen betreiben noch den Text verfassen. Also hatte sie die Wahl: Abgabe einer völlig unzureichenden Klageschrift, Wochenendarbeit oder die Hoffnung, dass sie es Montag schaffen würde. Immerhin konnte vielleicht Jo am Montag die Kinder übernehmen. So bliebe ihr wahrscheinlich noch genug Zeit – wenn nicht etwas dazwischenkam. Was nicht abwegig war. Immerhin war Februar. Und ihr Hals kratzte schon wieder gewaltig.

      Sie hasste diesen Termindruck. Normalerweise gab sie notwendige Schriften etwas vor Fristende ab. Aber gelegentlich hatte sie so viel zu tun, dass sie es einfach nicht eher schaffte. Denn im Gegensatz zu den meisten ihrer Kollegen konnte sie selten Überstunden machen. Obgleich Jo ab und zu die Kinder übernahm, auch er musste seine Arbeitszeit schaffen. Und ihre Eltern hatten auch zu tun. So blieb es an ihr, sich um die Kinder zu kümmern. Was ihr ja Spaß machte. Nur hatte der Tag ab und zu einfach zu wenig Stunden.

      Wahrscheinlich sollte sie Jo vor die Wahl stellen: Entweder Wochenendarbeit und er kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt oder sie konnte Montag lange machen. Denn eine unzureichende Klageschrift nur zur Fristwahrung einzureichen, das wäre nicht ihr Stil und würde gegen ihre Prinzipien laufen.

      Im Radio ertönte der Gong zur Anzeige der Nachrichten. Wieder stand die deutsche Flüchtlingspolitik an erster Stelle. Dieses Mal debattierten die Abgeordneten das „Asyl II“-Paket im Bundestag. Die Nachzugsproblematik.

      So interessant und zugleich schwierig dieses Thema sein mochte, die Nachrichten zeigten Thela an, dass sie wieder einmal zu spät kam. Sie stellte ihr Auto vor der KiTa ab und beeilte sich, noch vor Anspringen der automatischen Türverriegelung im Kindergarten anzukommen. Doch leider blieb ihr auch dieses Mal ein peinliches Klingeln nicht erspart.

      Lina kam auf ihre Mutter zu gerannt und ließ sich in deren Arme fallen. „Hallo, Mami. Der Tobi hat mich heute geärgert. Immer will er mich fangen…“, und schon sprudelten die Worte nur so hervor. Ohne Unterbrechung erzählte Lina ihr vom gesamten Kindergartentag. Solch unwichtige Sachen, ob sie heute draußen waren, ob sie ihr Mittag vollständig aufgegessen oder heute geschlafen hatte, blieben natürlich unerwähnt. Vielmehr wurden nur die wichtigen Details ausführlich berichtet: Welche ihrer Freundinnen dieses Mal das Prinzessinnenkleid tragen, wer heute zum Prinzen auserwählt wurde und welch köstliches Essen sie den Erzieherinnen vorgesetzt

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