Gelebt. Josephine Odrig

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Gelebt - Josephine Odrig

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dass sie einen Teil ihres Lebens vor der Kindergartentür ab- und dafür den anderen Teil hinter der Tür überstreifte. All ihre Gedanken zur Arbeit waren nicht mehr wiederzufinden. Stattdessen kreiste ihr jetzt im Kopf, wo denn Linas zweiter Schuh geblieben war, ob sie auch alles eingepackt hatten und wie die Nachmittagsgestaltung ausfiel. So wandelte Thela für den restlichen Tag im Mutter- und Hausfrauenkleid umher und genoss den anderen, den „Mutter-Stress“.

      „Hallo, mein Schatz“, Thela küsste ihren großen Sohn auf die Wange und drückte ihn. „Hast Du schon die Hausaufgaben fertig?“ Jonas schüttelte den Kopf. Er war jetzt sieben Jahre alt und besuchte die zweite Klasse. „Wann sollte ich die denn machen? Bin doch eben erst reingekommen! Und im Hort hat Sandro wieder so viel Blödsinn gemacht. Es war wieder so laut. Und dann mussten wir noch die Autotunnel fertig bauen!“ Thela nickte. Sie schaute auf die Uhr und rechnete nach. Noch eine Stunde, dann würde auch Jo zu Hause sein. Bis dahin sollte sie vielleicht ein wenig Hausarbeit erledigen, sodass sie die Kinder im Auge hatte. An Hinsetzen und Ausruhen war sowieso nicht zu denken.

      „Mama, ich hab Hunger!“ Jonas ließ sich rücklings über die Couchlehne fallen und versuchte sich im Handstand. Dabei krachte er, wie zu erwarten, vom Sofa hinunter, gerade so neben den Couchtisch. Er sprang gleich wieder auf und lachte sein „Ich-mache-gerade-Blödsinn-und-finde-das-toll-Lachen“. „Mama, spielst Du mit mir und Lore?“, Lina stand in der Tür und hielt ihre Puppe in der Hand. Sie schaute Thela mit ihren großen Augen erwartungsvoll an und … „Mama, ich will was eeesseeen!!!“, Jonas sprang zum zweiten Mal in einer halsbrecherischen Haltung vom Sofa und rannte zu ihr. Er konnte nicht gehen. Jonas musste immer rennen. Als müsste er immer der erste sein – auch dort, wo niemand sonst war.

      „Jonas, hör auf mit dem Springen und schrei mich nicht so an! Du bekommst gleich ein Brot.“ An Lina gewandt sagte Thela: „Du, ich habe jetzt keine Zeit. Schau mal, dass Du was alleine spielst. Oder magst Du mir helfen? Ich habe noch viel zu tun.“ Lina schüttelte den Kopf und schaute sie böse an. „Vielleicht kannst Du ja später mit Jonas spielen. Wenn er seine Hausaufgaben gemacht hat. Und Papa kommt dann auch bald.“ Thela wandte sich in Richtung Küche: „Ach übrigens, wir müssen noch etwas vorbereiten. Oma hat doch morgen ihren Geburtstag. Jonas, kannst Du schon ein Lied oder ein Gedicht?“ Jonas folgte ihr schmollend in die Küche. „Och nein, nicht schon wieder was lernen! Außerdem will ich was Süßes!“

      Im Wohnzimmer ertönte ein spitzer Schrei und dann packte Lina die höchsten Töne ihrer Wut aus. Thela stöhnte innerlich und sehnte Jos Feierabend herbei.

      Fünfzehn Minuten zu spät. Für Thela, die Unpünktlichkeit hasste, wieder eines dieser Ärgernisse, die das Familienleben mit sich brachte. Es machte sie rasend, dieser Stress vor einem Termin, einer Feier oder einer großen Fahrt. Immer wieder die notwendige Organisation, Planung und Hektik. Immer wieder Stress. Wenn sie irgendwann einmal beide Kinder aus dem Haus hatten – was wäre das für eine Ruhe. Und endlich keine Unordnung mehr.

      Sie hatte sowieso schon Halsschmerzen gehabt, jetzt ging die Tendenz zur Stimmlosigkeit. Dieses ständige anweisen, schimpfen, reden. Immer wieder dasselbe. Immer wieder die gleichen Litaneien. Wahrscheinlich war genau dies die Kunst der richtigen, der guten Erziehung: Nicht aufgeben!

      Jedenfalls waren sie jetzt endlich angekommen. Mit fünfzehn-minütiger Verspätung wohl gemerkt. Als sich die Haustür öffnete und Thela ein wenig später den gedeckten Kaffeetisch entdeckte, war ihr klar, dass Oma Martha auch dieses Mal ungeduldig gewartet hatte. Und wie immer waren sie die Letzten.

      Thela sollte es einmal schaffen, bei einer Feier den Kaffeetisch schon gedeckt zu haben, wenn die ersten Gäste erschienen. Vielmehr war sie jedes Mal froh, wenn im Bad alle Armaturen getrocknet waren und sie den Putz-Look gegen festliche Kleidung getauscht hatte. Auch das würde sich – hoffentlich – mit dem Auszug der Kinder bessern. Irgendwann einmal.

      Jetzt saßen alle fröhlich am Tisch und genossen die Köstlichkeiten, wie etwa die leckere Eierschecke. Das Rezept hatte Martha aus ihrer Heimat mitgebracht und variierte es bei jeder Feier: einmal Dresdner Eierschecke pur, dann mit Mohn und ein andermal mit Stachelbeeren. Und alles schmeckte köstlich.

      Thela blickte sich um und stellte zufrieden fest, dass sowohl Lina als auch Jonas ruhig auf ihren Plätzen neben den Großeltern saßen und ihre Kuchenstücke und Kekse verdrückten. Zuvor hatten sie ihre Lieblingsoma Heidi und ihren Lieblingsopa Thomas ausgelassen begrüßt und sie mit Erzählungen über Schule, Kindergarten, Freunde und Co. überschüttet. Diese freuten sich jedes Mal sehr, wenn sie Zeit mit ihren Enkelkindern verbringen konnten. Und für Thela und Jo war es eine enorme Erleichterung.

      „Na, meine liebe Thela, wie geht es Euch denn so?“ Oma Martha blickte sie erwartungsvoll an und erst jetzt registrierte Thela, dass sie angesprochen wurde. Sie erzählte ein wenig von ihren Kindern. Ein paar Anekdoten gab es da immer zu berichten. Aber Oma interessierte sowieso alles, was ihre Urenkel anging. Allerdings war sie auch den ganzen Tag allein. Den dadurch angestauten Redeschwall bekam Thela zu spüren, als sie anfing von ihrem Job zu berichten. Martha unterbrach sie dann und informierte sie wie so oft über ihre unzähligen Termine – Ärzte, Geburtstage, Rommeerunden. So beherrschte also bald sie das Gespräch und Thela freute sich, einmal nicht reden zu müssen. Ihr Hals würde es ihr danken.

      Später wurden wie immer Spiele gemacht. Die Kinder waren eifrig bei der Sache. Besonders die „stille Post“ ließ beide mehrfach losprusten. Auch Martha genoss es. Sie machte jeden Spaß mit, schien sich prächtig zu amüsieren und lachte lauter als alle anderen. Das steckte bald die ganze Gesellschaft an, sodass es insgesamt eine sehr lustige Runde wurde. Thela dachte hinterher, sie hatten wohl lange nicht mehr eine so vergnügliche Familienfeier gehabt. Auch den einstudierten Vorträgen der Kinder merkte man ihren anfänglichen Protest nicht an. Martha freute sich, wie zu erwarten, wieder sehr über ihre Urenkel. Auch wenn Thela meinte, ein wenig Wehmut in Marthas Blick erkannt zu haben, als Jonas sein einstudiertes Lied zum Besten gab.

      Kapitel 2

      Als Martha aufwachte, wusste sie nicht, wo sie sich befand. Sie öffnete die Augen. Alles war dunkel. Nur durch die schmalen Schlitze der Rollläden drang das spärliche Licht der Straßenlaternen.

      Jetzt fiel es ihr wieder ein. Natürlich, wo sollte sie auch sein. Seit Jahren war sie jeden Morgen in ihrem Haus aufgewacht. Wieso sollte es heute anders sein? Und dann kam ihr der gestrige Tag wieder vor Augen. Ihr Geburtstag. 77 Jahre. Ganz schön alt. Und doch staunte sie manchmal, dass es immer mehr Menschen wurden, die jünger waren als sie und immer weniger, die älter waren. Dabei konnte sie sich noch so gut an längst vergangene Ereignisse erinnern. Als wäre das gestern gewesen und nicht ihr 77. Geburtstag.

      Martha wollte aufstehen. Wie immer war es viel zu früh am Tag. Aber ihr Kopf drängte. Doch ihr Körper rebellierte. Jedes ihrer Körperteile schien zu schreien: Ich bin müde! Lass mich noch schlafen! Sie spürte, dass ihre Arme und Beine einfach nicht wollten. Sie wollten einfach liegen bleiben. Ruhe haben. Das Nichtstun genießen.

      Martha überlegte, was sie heute alles zu tun hatte. Es war so viel aufzuräumen. Die Essensreste waren zum Glück schon verstaut. Doch das Geschirr wartete, in der Spülmaschine und daneben. Tische und Stühle mussten wieder an ihre Plätze. Und gegen neun Uhr kamen Thomas und Heidi zum Helfen. Bis dahin wollte sie schon einen großen Teil geschafft haben. Sie musste also aufstehen.

      Martha setzte sich auf und lehnte sich an das Kopfende des Bettes. So saß sie und schaute zum Fenster. Kein Laut von draußen. Ruhe. Dunkelheit. Nicht einmal die Finsternis entfernte sich langsam. Sie blickte auf die Uhr. Kein Wunder – es war kurz nach sechs. Es würde noch gut eine Stunde dauern bis es hell wurde. Sie rutschte ein Stückchen in ihre Kissen zurück. Ihre Arme fühlten sich an, als würden sie heruntergezogen. Wieder ins Bett hinein. Und den Beinen erging es ebenso. War sie gestern tatsächlich keinen Marathon

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