Gelebt. Josephine Odrig

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Gelebt - Josephine Odrig

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dort verteilt hatte. Auch die Küche war zu wischen. Es gab wirklich so viel zu tun. Sie schloss die Augen.

      Aber eigentlich konnte sie das alles doch mit ihren Kindern gemeinsam machen. Und bis neun war es noch viel Zeit. Martha rutschte tiefer in ihre Kissen, rollte sich auf die Seite und gönnte ihren Gliedern noch ein wenig Ruhe. Ihr Kopf arbeitete indes auf Hochtouren. Aber zum Glück gab es genügend zu planen für den heutigen Tagesablauf.

      Eine Stunde später war Martha beim Anziehen. Sie frühstückte eine Kleinigkeit, trank ihren Tee und putzte Zähne. Danach nahm sie sich zunächst den Geschirrspüler vor. Das Ausräumen ging langsam voran. Und als sie die schmutzigen Gläser eingeräumt hatte, musste sie zunächst eine Pause einlegen. Sie setzte sich auf die Bank in der Diele. Und schon fielen ihr wieder etliche Dinge ein, die sie noch zu erledigen hatte. Doch ihr Atem ging noch zu schnell und ihr Rücken schmerzte.

      So wanderte ihr Blick zum Geschenketisch. Sie hatte wieder eine Menge bekommen. Viel zu viele Süßigkeiten, etliche Blumen und Kleidung. Doch was sollte man einer alten Frau auch anderes schenken? Sie brauchte nichts. Vor allem keine Süßigkeiten. Na, ihre Damen von der Rommeerunde würden sich freuen. Und all die anderen gelegentlichen Gäste.

      Sie nahm den Stapel Post in die Hand und blätterte durch. So viele Menschen hatten an sie gedacht. Goldene Schnapszahlen und Zahlenräder zierten die Karten. Doch dann hielt sie den Brief in der Hand. Ihr wurde plötzlich flau im Magen. Schnell legte sie den Stapel beiseite. Den Brief steckte sie unter den Haufen Zeitschriften, der neben ihr auf der Bank lag. Bloß weit weg. Wie kam der denn zwischen die Glückwunschpost? Ihr war immer noch übel. Sie stützte ihren Kopf auf die Hände. Starrte vor sich hin. War plötzlich ganz weit weg. Die Übelkeit verwandelte sich in einen dicken Kloß im Hals. Dort hing er. Und machte sich breit. Und als er drohte, höher zu klettern, stand Martha mit einem entschiedenen Seufzer auf. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und versuchte sich an den schmutzigen Schalen, in denen am vorigen Abend Naschereien dargeboten wurden. Sie lenkte ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Einräumen der Spülmaschine.

      Dann fiel ihr Blick auf den riesigen Rotweinfleck. Das war ihr gestern Nacht passiert. Als alle Gäste gegangen waren. Sie hatte versucht, ihn zu entfernen. Aber so richtig geglückt war es nicht. Sie entschied, dass genau jetzt der passende Moment war, es nochmals zu versuchen. Sie schrubbte mit einer Aggressivität und Entschlossenheit auf dem Boden herum, dass ihr ganz schwindelig wurde. Doch nicht lange, dann musste sie ihre nächste Pause einlegen. Sie saß auf dem Boden, den Kopf an den Türrahmen gelehnt und hoffte, ihre einst so große Energie möge wiederkehren. Doch das tat sie nicht. Vielmehr musste Martha ihren Körper zum Weitermachen zwingen. Sie fühlte sich einfach nur schlapp. Martha stellte fest, dass sie heute mehr Pausen einlegen musste. Abgesehen davon, dass sie seit geschätzt zehn Jahren am Tag nur noch die Hälfte dessen schaffte, was sie früher täglich zustande gebracht hatte. Damit hatte sie sich allmählich abgefunden. Dennoch wurde die Dimension eine neue. Diese Langsamkeit, dieses „ich-will,-aber-ich-kann-nicht“. Es deprimierte sie, ihre Kraft nach und nach schwinden zu sehen.

      Martha setzte von Neuem an, den Fleck zu beseitigen. Vielleicht sollte sie es nochmal mit Salz probieren? Aber der Fleck musste doch weggehen. Marthas Fingerknöchel wurden weiß. Ihre Arme schmerzten. Sie atmete noch schneller. Geh endlich weg! Ich will Dich nicht auf meinem guten Teppichboden. Verschwinde! Weg mit Dir! Ich will Dich nicht! Weg! Doch der Fleck schien sich eher zu verbreitern, als dass er an Farbe verlor. Martha schrubbte weiter. Und immer weiter. Sie schien rasend vor Wut. Oder Traurigkeit. Oder Schmerz. Dieser beschissene Brief. Ich will ihn nicht. Ich will es nicht! Geh weg! Sie schmiss den Lappen in die andere Ecke der Diele. Martha war so erschöpft, dass sie sich wieder an den Türrahmen lehnte und die Augen schloss.

      So saß sie, bis ihr Sohn mit seiner Frau kam.

      Kapitel 3

      „Guten Tag, Frau Häußler, Herr Häußler. Kommen Sie doch herein!“ Thela begrüßte das Ehepaar und deutete ihnen mit einer Handbewegung einzutreten. Sie wies auf zwei bequeme Stühle am Besprechungstisch. Auch wenn ihr Schreibtisch von Aktenbergen und kleineren und größeren Notizzetteln überhäuft war, so lag auf dem dunkelbraunen Holztisch nur eine recht dünne Akte. Thela war es wichtig, eine Mandantenbesprechung mit möglichst wenig Ballast auf dem Tisch, aber viel Behaglichkeit zu führen. So öffneten sich die meisten eher und erzählten mehr sachdienliche Details, was wiederum die Grundlage für eine gute Mandantenvertretung war.

      Das Ehepaar wirkte ein wenig entspannter als bei ihrem ersten Termin. Trotzdem sah Herr Häußler noch immer müde und traurig aus. Seine Frau hielt seine Hand und lächelte ein wenig. Aber auch sie wirkte vor allem abgespannt. Die Beiden hatten vergangenen Freitag ihr Büro aufgesucht, um die Möglichkeit einer Klage abklären zu lassen. Sie wollten gegen den Arzt der verstorbenen Mutter des Mannes vorgehen. Diese hatte ihre letzten Lebensjahre an einer PEG-Sonde verbracht, wurde also künstlich ernährt. Ansprechbar war sie schon lange nicht mehr gewesen. Vielmehr hatten sich Pflegerinnen im Heim um ihre täglichen und nächtlichen Bedürfnisse gekümmert, nicht dass sie davon etwas mitbekommen hätte.

      Nachdem sie einige Befindlichkeitsbekundungen ausgetauscht und Thela ihren Notizblock und Stift hervorgeholt hatte, setzte auch sie sich. Sie ordnete ihre Gedanken und begann: „Herr Häußler, Frau Häußler, ich fasse zunächst kurz die Fakten zusammen, die sie mir letzten Freitag erläutert haben. Danach besprechen wir die Klageaussichten.“ Das Ehepaar nickte zeitgleich. Plötzlich schien der Mann aus seiner Lethargie zu wecken und in seinem Gesicht spannten sich die Gesichtszüge an. Sein Kampfgeist erwachte. Thela hatte diesen bereits beim letzten Mal zu spüren bekommen. Der Mann hatte gelitten und seine Frau mit ihm. Jetzt wollten sie eine Entschädigung – zumindest für den unnötigen Teil.

      “Ihre Mutter, Herr Häußler, lag im Pflegeheim in Dresden, seit 2007. Dort wurde sie seit 2011 über eine PEG-Sonde künstlich ernährt. Noch im selben Jahr verlor sie ihr Bewusstsein. Bis 2015 erfolgte weiterhin die Ernährung über die Sonde bis ihre Mutter letztlich am 10.9.2015 verstarb. Habe ich mir diese Daten korrekt notiert?“, fragte Thela sachlich. Herr Häußler hatte ihr aufmerksam zugehört und nickte jetzt. „Dann haben Sie das letzte Mal erwähnt, dass sie in dieser Zeit sehr gelitten haben. Nicht nur, dass Sie regelmäßig zwischen Nürnberg und Dresden hin und her gefahren sind, um möglichst oft bei ihrer Mutter zu sein,“ Thela kam nicht zum Weitersprechen. „Meine Schwester wohnt noch in Dresden und ich wollte sie etwas unterstützen, zumindest psychisch“, fügte Herr Häußler angeregt hinzu. „Wissen Sie, wir hatten es als Kinder nicht immer einfach. Lettie, das ist meine Schwester, hat sich schon um unsere Mutter gekümmert, bevor sie ins Heim ging. Immer war sie an der Reihe mit waschen, Essen machen und all dem. Sie wissen es ja. Als Mutter dann im Heim war und das Thema mit der künstlichen Ernährung anging, hatte ich beruflich wieder etwas mehr Luft und versuchte Lettie mehr zu unterstützen. So sind wir“, er zeigte auf seine Frau und sich, „in den letzten Jahren viel öfter dort gewesen. Lettie war da schon ziemlich fertig. Sie hatte einfach keine Kraft mehr. Und so ging es uns dann zuletzt auch. Wissen Sie, es ist weniger das Körperliche, vielmehr die Psyche!“

      Thela nickte mitfühlend: „Vielleicht können Sie mir noch einmal kurz erläutern, was Ihr Anliegen und Ihre Beweggründe sind. Sie wollen den Arzt verklagen, weil er Ihre Mutter zu lange leiden lassen hat. Ist das so korrekt?“ „Naja…Ja, so ist es wohl auf den Punkt gebracht. Wissen Sie, unsere Mutter war immer eine hart arbeitende Frau. Sie hat uns trotz des fehlenden Geldes immer Essen auf den Tisch gebracht. Sie hat uns geliebt und es uns auf ihre Weise auch gezeigt. Auch später noch, als Vater schon gestorben war, hat sie sich um uns und unsere Familien gekümmert. Sie hatte ihr eigenes Leben, hat aber immer an uns gedacht. Sie ist bis ins Rentenalter fit gewesen, hat ihren Garten und das Haus geliebt und gut in Schuss gehalten. Natürlich, Unterstützung brauchte sie vor allem im Garten dann immer mehr. Aber sie kümmerte sich – um sich selbst und in gewisser Weise auch um uns Kinder. Und es war ihr größter Wunsch im Alter – also wenn sie alles erlebt und erledigt hatte – einfach einzuschlafen

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