Gelebt. Josephine Odrig

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gelebt - Josephine Odrig страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Gelebt - Josephine Odrig

Скачать книгу

Magen knurrte. Wahrscheinlich war es bereits nach zwölf. Tatsächlich bestätigte dies ein heimlicher Blick auf die Uhr. Sie würde von dem Ehepaar noch Näheres zum Willen der Mutter herausfinden müssen. Ein paar Fakten noch, damit sie Nachforschungen anstellen konnte. Den Rest würde sie nach dem Mittagessen angehen – soweit dann noch Zeit verblieb bis zum Abholen von Lina. Morgen konnte sie sich dann auch noch an die Anforderung der Krankenakte machen. Aber sie merkte schon, wie ihr Gehirn langsam den Dienst versagte. So ganz ohne Nervennahrung ging es eben doch nicht. Sie hatte Hunger!

      „Gut, dann gehen wir nochmal näher auf das Thema mutmaßlicher Wille ihrer Mutter ein. Aber vorher sollte ich Ihnen etwas mitteilen: Ein solches Verfahren, dass wir hier anstreben, hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Ich meine, normalerweise gibt es das Begehren anders herum – als Entschädigung für falsche oder fehlende ärztliche Behandlung. Dass aber ein Arzt angeklagt wird, zu viel getan zu haben, wurde meines Wissens noch nie verhandelt. Nichts desto trotz ist dies ein sehr wichtiges und meines Erachtens seit langem überfälliges Problem, was endlich auch von den Gerichten entschieden werden sollte. Ihr Verfahren würde einen Meilenstein darstellen. Das Urteil wäre dann auch für andere, ähnlich gelagerte Fälle eine maßgebliche Grundlage. Deswegen kann ich Ihnen aber auch keine genaue Prognose über den Ausgang des Verfahrens geben. Es kann sein, dass sie gewinnen und damit Geld erhalten, es kann aber auch sein, dass sie alle Prozesskosten – einschließlich derer des Arztes – tragen müssen. Oder die Kosten werden aufgeteilt. Je nachdem wer den Prozess gewinnt beziehungsweise in welchem Umfang. Relativ sicher ist, dass der Fall aufgrund seiner Brisanz und fehlender Präzedenz bis zum BGH durchgespielt werden wird. Außer sie oder der Arzt brechen zum eigenen Nachteil eher ab.

      Bitte lassen Sie dies einen Moment wirken. Ich verlasse kurz das Zimmer, besprechen Sie sich in Ruhe und danach teilen Sie mir mit, ob Sie diesen schwierigen und langwierigen Weg bestreiten wollen oder nicht. Das hatte ich Ihnen ja bereits letztes Mal erläutert, wie nervenaufreibend ein Prozess werden kann. Aber zumindest das finanzielle Risiko ist durch Ihre Rechtsschutzversicherung ja abgedeckt.

      Überlegen Sie also, ob wir weiter machen sollen – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass ich nach ihren Erzählungen zum Willen Ihrer Mutter und den anderen Voraussetzungen auch davon ausgehe, dass das Verfahren erfolgreich enden könnte. Gut, dann bis gleich.“

      Thela nickte den beiden zu und verschwand in Richtung Küche. Zumindest eine Kleinigkeit sollte sie zu sich nehmen, damit sie gegenüber ihren Mandanten nicht launig und ausfällig wurde.

      Kapitel 4

      „Na, Hallo. Das ist aber eine schöne Überraschung“, Michael klang wirklich erfreut, ihre Stimme zu hören. Seit sich vor mehreren Jahren ihre beruflichen Wege gekreuzt hatten, bestand ein regelmäßiger Kontakt. Aufgrund der örtlichen Entfernung jedoch vorwiegend telefonisch.

      „Ja, ich dachte, Du brauchst so kurz vor der Mittagspause noch eine kleine Abwechslung. Deswegen überfalle ich Dich heute auch gleich. Ich habe hier nämlich einen wirklich interessanten Fall liegen, bei dem ich gerne Deine Meinung hören würde. Von der bin ich zeitweise ganz schön abhängig“, manchmal musste sich Thela sehr zurückhalten, nicht zu viel mit ihm zu flirten.

      Michael lachte kurz auf. Dieses Lachen war einer der Gründe, weshalb sie so gerne mit ihm telefonierte. Am besten stundenlang. Und ohne Punkt und Komma, meist von einem Thema zum nächsten springend.

      „Es geht um die Beweisführung beim mutmaßlichen Patientenwillen. Bei der Patientin wurde eine Magensonde eingerichtet. Wer bei dieser Maßnahme wann die Beweislast hat, ist ja juristisch schon klargestellt. Nun habe ich aber den Fall, dass der Sohn der Patientin behauptet, die Sonde war im letzten Jahr nicht mehr medizinisch indiziert. Und dies hätte der Arzt ihnen mitteilen müssen, da sie dann die künstliche Ernährung einstellen lassen hätten. Da mir bei diesem Fall der mutmaßliche Wille der Patientin noch ein wenig Magenschmerzen bereitet, habe ich Hoffnung, dass wir das Problem damit umgehen können, dass der Wille nicht von uns zu beweisen ist. Besteht aus Deiner Sicht die Möglichkeit, dass der Arzt hier ausnahmsweise den Willen der Patientin beweisen muss, dass sie eine Fortführung der künstlichen Ernährung gewollt hätte? Dann könnte ich mir nämlich die Arbeit ersparen, den Willen herauszufinden. Dahingehend hatte sich die Mutter nämlich zu Lebzeiten nicht schriftlich geäußert.“

      Thela hoffte, Michael möge ihr zustimmen und die Beweislast auch bei dem Arzt sehen, ihr somit also einige Arbeit ersparen. Nicht, dass seine Ansicht im Fall irgendein Gewicht hätte. Er war zwar Richter, aber weder in der zuständigen Instanz noch am örtlich zuständigen Gericht. Insoweit war seine Antwort nur ein Abtasten, wie der zuständige Richter das Problem in ihrem Fall möglicherweise juristisch einordnen würde. „Ich verstehe“, Michael dachte kurz nach: „Das ist eine gute Frage. Der Fall ist mir in dieser Form noch nicht über den Weg gelaufen. Er ist wirklich interessant und soweit ich weiß, auch noch nie verhandelt wurden.“ Thela konnte dies nur bestätigten. Also fuhr Michael fort: „Würde es um die Einrichtung einer Sonde gehen, was ja regelmäßig verhandelt wird, dann wäre die Beweislast klar bei der Patientin bzw. hier bei dem Sohn. Dieser müsste beweisen, dass der Wille der Mutter gegen eine künstliche Ernährung lauten würde.“ Michael leitete sich die Antwort auf Thelas Frage Schritt für Schritt her und legte dabei seine so angenehme Ruhe an den Tag. „Nun ist die Mutter aber schon angeschlossen. Eigentlich ist dieser Fall doch in etwa vergleichbar mit den Fällen, in denen sich zum Beispiel der bestellte Betreuer und der Sohn um die Einstellung der künstlichen Ernährung streiten. Und bei diesen Fällen muss auch derjenige beweisen, der behauptet. Also zum Beispiel der Sohn, dass seine Mutter keine künstliche Ernährung mehr gewollt hätte. Es dürfte auch hier egal sein, ob der Sohn gegen den Betreuer klagt und die Mutter noch ernährt wird oder ob der Sohn gegen den behandelnden Arzt der inzwischen toten Mutter klagt, wie in Deinem Fall.“ Michael schien es zu bedauern, dass er ihr nichts Besseres bieten konnte. „Das habe ich mir auch fast so gedacht. Da ändert wohl auch der Umstand recht wenig daran, dass wir beweisen würden, dass eine medizinische Indikation fehlte. Ich meine, man könnte sich den Fall doch auch so legen, dass bei fehlender Indikation die Sondenernährung eingestellt werden muss. Es sei denn, der Arzt kann beweisen, dass der Wille der Patientin dagegensteht bzw. hier gestanden hat. In diesem Fall müsste der Arzt beweisen“, Thela klammerte sich an ihre Hoffnung. Doch auch wenn sie ihre Argumentation recht gelungen fand, am Erfolg vor Gericht hatte sie trotzdem ihre Zweifel. So sah es auch Michael: „Ein guter Gedanke ist das schon. Aber ich glaube nicht, dass es vor Gericht standhält. Trotzdem, probieren kannst Du es ja. Ich meine, dafür bist Du doch Anwältin geworden. Immer kämpfen!“ Thela hörte ihn schmunzeln. Wahrscheinlich hatte er gerade Bilder vor Augen. Bei dieser Vorstellung – Thela mit verbissener Miene und Schwert in der Hand (und vielleicht noch Waage in der anderen und Binde vor den Augen) – musste selbst sie lachen. Auch wenn ihr die Aussicht auf noch mehr Recherche nicht so sehr zusagte. „Ich werde wohl die Schwester mal befragen, ob sie mir da bessere Informationen geben kann. Vielleicht kann sie mir helfen. Immerhin war sie ja fast ständig bei ihrer Mutter.“ Thela hatte sich damit abgefunden. Denn insgeheim hatte sie sowieso die ganze Zeit damit gerechnet, die Recherchen zum mutmaßlichen Willen vertiefen zu müssen. Das war nur immer so mühsam.

      Aber jetzt wollte sie lieber noch ein wenig das Gespräch genießen. Sie vernahm das vertraute Rattern am anderen Ende der Leitung. Michael war also wieder dabei, seine Runden um den Schreibtisch zu drehen. Es war so eine Angewohnheit, wenn er telefonierte. Er lief im Zimmer hin und her und dabei ratzte das Telefonkabel am Tisch entlang. Und wahrscheinlich hielt er gerade das Kabel um seinen Finger gewickelt. Mal auf, mal ab, auf und ab.

      Ihr fiel das Buch ein, welches sie gerade las. Sie wollte mit ihm darüber reden. Ihn fragen, ob er es auch gelesen hatte. Trotz aller beruflichen und familiären Verpflichtungen versuchte Thela, regelmäßig Bücher zu lesen. Sie liebte das Lesen seit ihrer Kindheit. Das war der eine Grund. Und der andere war, dass sie so mit Michael über die Sache reden konnte, die beide liebten. Über Bücher verständigten sie sich. Bücher waren für sie

Скачать книгу