Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

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Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch

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Gedanke der Geliebtenrocha­de schien nicht zu weit hergeholt zu sein. „Was meinen Sie“, sagte einmal der Vorstand eines Unternehmens zu Leon Pe­trollkowicz, „was sich auf der obersten Etage alles abspielt. Um die Spielgefährtin zu halten, werden oft Unsummen eingesetzt und ganz neue Positionen geschaffen.“

      Leon Petrollkowicz grübelte und grübelte. Er musste jetzt alles tun, um sein Geschäft über Wasser zu halten. Gesund­heitlich ging es gottlob schneller als vermutet bergauf. Immer katastrophaler wurden aber die finanziellen Umstände. Leon hatte einen gewaltigen Unkostenapparat zu bewältigen und in den letzten Monaten sogar sein Privatvermögen zur Sicherung der Firmenkredite einbringen müssen. Wie würde er aus dem Würgegriff der Banken wieder raus kommen, ohne massiv Schaden zu nehmen? Noch hatte er einige Pfeile im Köcher. Besonders Dr. Hüttel durfte ihn nicht im Stich lassen. Eine PR-Kampagne für den Global Player könnte ihn mit einem Schlag von allen Nöten befreien. Dr. Hüttel hatte sich für den Neujahrsempfang des Industrieclubs in Düsseldorf angesagt, und Leon Petrollkowicz könnte ihn spätestens dort unter vier Augen sprechen. Bis dahin müsste er alle Kräfte sammeln, um die Firma wieder auf Kurs zu bringen. In dieser schwie­rigen Situation half ihm am meisten sein Mitarbeiter Martin von Alzheim. Sie gingen beide immer wieder die verfahrene Geschichte durch und arbeiteten an Modellen zur Krisenbe­wältigung. Man wollte sich mit allen Mitteln dem Schicksal entgegenstemmen.

      Eines Tages klingelte es Sturm an seiner Wohnungstür. Anna öffnete, musste ein amtliches Schreiben entgegennehmen und quittieren. Sie legte es ihrem Mann auf den Schreibtisch. Als Leon Petrollkowicz abends heimkam und in sein Arbeitszim­mer ging, starrte er ungläubig auf den Absender „Amtsgericht Neuss“. Er öffnete den Brief. In ihm stand lapidar, dass nach einer bestimmten Frist seine Eigentumswohnung zwangsver­steigert würde.

      Dies war für Leon Petrollkowicz der Anfang vom Ende. Wie konnte das passieren? Im letzten halben Jahr zeichnete sich das Fiasko zunächst überhaupt nicht ab, dann höchstens als Gewitterwolken am Horizont. Er hatte Freunde bei den Banken, in der Industrie, die immer wieder auf ihn zukamen und ihm größere oder kleinere Aufträge gaben. Man schätzte seine Expertise und seine Offenheit, die immer auch zugleich Unbestechlichkeit signalisierte. Warum hat man ihn plötzlich fallen lassen? Seitdem diese Emma wie eine bösartige Glucke um sich biss und ihn offenbar aus der Bahn zu werfen versuch­te, gelang ihm nichts mehr. Und hinter dieser Frau steckte Dr. Maibohm, der irgendetwas gegen ihn im Schilde führte. Nicht aufgeben, sagte er sich immer wieder. Bald würde er Dr. Hüttel treffen. Ein einziger PR-Auftrag von CAR für seine Fir­ma könnte alles zum Guten wenden. Dann bräuchte er nicht mehr die Bank von Maibohm und könnte die unangenehme Intrigantin endlich an die Luft setzen. Was sollte er aber ma­chen, wenn es nicht klappte?

      Leon Petrollkowicz hatte, wie gesagt, mehrere Professionen: Er war als Medienfachmann ein angesehener Mittelständler; er war Journalist und Publizist und könnte sich zur Not beim Rundfunk oder irgendeiner Zeitung verdingen. Die Zeichen der Zeit standen aber nicht für alle Branchen auf Prosperität. Eine schwache Regierung und eine schwächelnde Weltkonjunktur hatten das Land stark gebeutelt. Durch einen immer schmaler werdenden Annoncenteil gerieten viele Zeitungen zunehmend in eine Schieflage. Sie entließen Redakteure und stellten keine neuen ein. Was sollte er sich hier erhoffen?

      Blieb die Kunst, die brotlose Kunst. Leon Petrollkowicz hatte die letzten zehn Jahre keinen Urlaub gemacht, sondern war an die Sommerakademie nach Salzburg gegangen. Dort hatte er mit vielen Künstlern zusammengearbeitet, gelitten und gestritten und es zu erstaun­lichen Resultaten gebracht. Ausstellungen in einigen Groß­städten beflügelten ihn, spülten aber kaum Geld in die Kasse. Die Sammler und Galeristen gingen, wie Petrollkowicz bei je­der sich bietenden Gelegenheit monierte, nur nach den gro­ßen Namen. Und wenn sie an diese nicht herankamen, dann mussten es zumindest Meisterschüler einer Akademie sein. Zerfließende Pinselstriche waren dann Meisterwerke, unbe­holfene Männchenmalereien ein genialer Infantilismus. Zum Unglück der unsachverständigen und unvoreingenommenen Beschauer gab es immer irgendwelche Kunstkritiker, die jede Banalität in Weihrauchwolken hüllten und erst durch ihre verbale Ausdruckkraft veredelten. Hätte sich Leon Petrollko­wicz ganz der Malerei widmen können, wäre er in Kombinati­on mit seinem Marketinggeschick vielleicht zu einer gewissen Größe aufgestiegen. So aber brachte er nur Qualität, und das zählte auf dem Kunstmarkt reichlich wenig.

      Womit also sein Geld verdienen? Der mittelständische Un­ternehmer von einst bekam plötzlich Existenzängste. Er dachte in alle Richtungen und erinnerte sich jetzt auch an seine Zeit als Redakteur bei einem Rundfunksender. Damals zermürbten ihn aber die ewigen Diskurse in den Redaktionskonferenzen und gaben schlussendlich den Ausschlag, dem Journalismus den Rücken zu kehren. Allerdings war der Sprung in die freie Wirtschaft schwieriger, als er sich das vorstellte. Von Dr. Hüttel erhielt er den ersten Auftrag. Er gewann in seiner Einzigartig­keit der verbalen Präsentation fortan fast jede Ausschreibung und konnte schon in wenigen Jahren erheblich expandieren Und jetzt das. Er kam aus dem Grübeln nicht mehr heraus und bezog seine Anna mehr und mehr in seine Gedankengänge ein.

      Was ihm nur auffiel, war die deprimierende Kraftlosigkeit seiner Lieben. Sie registrierten widerwillig, dass ihr Leon nicht mehr der alte war und sie ihren üppigen Lebensstandard auf­geben mussten. Leon tröstete sich mit dem Gedanken, dass sein bester Geschäftsfreund Dr. Hüttel bald nach Düsseldorf kommen würde. Der Industrieclub hatte die ganze Prominenz aus Politik und Wirtschaft zum Neujahrsempfang eingeladen. Hier würde er ihn treffen. Ein anderer Termin war undenkbar. Leute dieses Kalibers vergaben so gut wie keine Termine an irgendwelche Bittsteller. Sie hatten Geschäfte zu machen und für die Peanuts ihre Fachidioten. Aber es gab Events, wo man sich traf. Und manchmal reichte ein kleines Tête à Tête, um wieder im Geschäft zu sein. Leon konnte auf dem Klavier der Konversation gut spielen und würde seinen Gönner bestimmt auf seine Situation einstimmen können. Aber bis dahin waren noch einige Wochen zu überbrücken.

      Anna und ihr Sohn taten sich mit der neuen Situation schwer. Sie waren es so gewohnt, auf Rosen gebettet zu sein, dass man die berufliche Erschütterung des Familienoberhaup­tes nicht so leicht verkraften konnte. Zwar redeten sie sich ein, dass Leon das Kind letztlich schon schaukeln würde, aber die täglichen Debatten über den Schicksalsschlag und die Andeu­tungen über Umzug, eventuelle Berufstätigkeit der Mutter, Ver­kauf eines Autos, Disziplinierung beim Telefonieren, Austritt aus Golf-und Tennisclub, Einschränkung bei der Garderobe etc. etc. zermürbten und ließen vor allen bei Anna eine Welt einstürzen. Sie genoss bis dato ein Luxusleben. Das war schon außergewöhnlich. Sollte das alles zu Ende sein? Man konnte es meinen, als Anna beobachtete, wie Immobilienhaie von den Balkonen der Nachbarhäuser aus die Lage der Eigentumswoh­nung begutachteten. Wenn es klingelte, machte man die Tür erst dann auf, wenn man sicher ging, dass kein Gerichtsvollzie­her, Banker oder Makler vor der Tür stand.

      Oliver war einigermaßen gefasst. Er rechnete sich aus, dass im Falle eines Umzugs auch die Schule gewechselt würde und er dann endlich wieder einen ihm genehmen Stunden­plan bekäme. So passte es ihm absolut nicht, dass seit Wochen Sport und Musik ausfielen und er stattdessen mit Mathe und Deutsch zugedeckt wurde. Er wollte Fußballer oder Musiker werden und deshalb auf seine Lieblingsfächer nicht verzichten.

      Leon Petrollkowicz war mehr als bekümmert. Früher gab er seiner kleinen Lebensgemeinschaft Halt. Sie war für ihn eine Insel der Unbeschwertheit, des Miteinanders und des glücklichen Erlebens. Das lenkte ihn von seinem Alltagsstress ab und gab ihm jene Fröhlichkeit und Unbeschwertheit, die letztlich der Schlüssel zu seinem souveränen Auftreten waren. Jetzt war alles anders. Das Verhältnis zu Anna und Oliver war angespannt, sein quälendes Grübeln überdeckte die an ihm so geschätzte Leichtigkeit des Umgangs mit Dritten. Er kannte das Problem: Wenn sein Umfeld merkte, dass er unsicher wur­de, verschlimmerte sich seine Lage umso mehr. Er wäre dann nicht mehr der Jäger, sondern der Gejagte.

      In seiner Firma erkannte man sehr schnell die neue Lage. Was den Mitarbeitern nur unklar blieb, war die Frage, inwie­weit sie selbst von eventuellen Veränderungen betroffen wä­ren. Da der Chef angeschlagen war und Emma Hengstenberg eine unglaubliche Siegesgewissheit ausstrahlte, bekam das Boot Schlagseite

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