Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch страница 9

Автор:
Серия:
Издательство:
Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch

Скачать книгу

Boss seine Stabsabtei­lungen. Er war schließlich für das Großkundengeschäft zustän­dig und musste den Kontakt zu den Spitzenleuten pflegen und nicht unbedingt zu den Dienstleistern im Umfeld seiner Bank.

      Leon Petrollkowicz war in einer prekären Situation. Der Werbechef der Staatsbank war ein übler Genosse. Man mun­kelte, dass er zuweilen die Ausschreibungen so geschickt mani­pulierte, dass eben einer seiner Freunde und Helfer zum Zuge kam. Leon Petrollkowicz musste also nicht ihn, sondern den Chef der Bank überzeugen, dass er in Stil, Kreativität und Ko­sten den Mitbewerbern überlegen war. Dieser Weg war zunächst einmal verbaut. Seine Wut, sein Hass auf Emma Hengstenberg, war nicht mehr zu kontrollieren. Er rannte in das Zimmer sei­ner Kollegin, baute sich vor ihr auf und legte wutentbrannt los:

      „Sie perfide Person! Was fällt Ihnen ein, mein mühsam aufgebautes Unternehmen kaputt zu machen! Was wollen Sie überhaupt hier? Wenn man Sie in der Bank nicht mehr ge­brauchen kann, dann suchen Sie sich einen anderen Job, aber lassen Sie uns mit Ihren bösartigen Intrigen in Ruhe! Ihnen haben wir es zu verdanken, wenn wir den nächsten Auftrag vielleicht nicht mehr bekommen. Damit gefährden Sie die Ar­beitsplätze vieler Mitarbeiter. Wie können Sie es wagen, mich quasi als Trunkenbold hinzustellen und einen meiner wich­tigsten Termine platzen zu lassen? Ausgerechnet Sie, die sich jeden Morgen schon einen Whisky hinter die Binde kippt, natürlich schön kaschiert mit Orangensaft, damit es keiner merkt! Ich werde Sie wegen übler Nachrede belangen und Sie rausschmeißen!“

      Emma Hengstenbergs Gesichtsfarbe änderte sich, soweit man das unter der Puderschicht überhaupt feststellen konnte, nur geringfügig, ihre eiskalten blauen Augen waren nur noch als Schlitze auszumachen, ihr Busen bebte leicht und signali­sierte ihrem aufgebrachten Gegenüber, dass sie sich als Frau missverstanden fühlte.

      „Woher wissen Sie? Aber egal. Ihr Ausbruch zeigt doch nur, dass ich mit meiner Entscheidung richtig lag, Sie in diesem Zu­stand nicht auf wichtige Kunden loszulassen. Wenn Sie nüch­tern sind, können Sie sich bei mir entschuldigen. Ich habe übrigens ein Tonband laufen. Also übernehmen Sie sich nicht mit Ihren Verwünschungen.“

      Auch das noch. Dieses Weib dachte strategisch, aber nur in einer Richtung. Nicht etwa, wie man das Unternehmen för­dern könnte, sondern nur, wie man eigene Unzulänglichkeiten vertuschen, die Gegner desavouieren und sich bei allen Kun­den und einflussreichen Personen im Lande ins rechte Licht rücken könnte. Darüber dachte sie den ganzen Tag nach. Sie spannte Stolperdrähte, und wenn der Gegner hinfiel, sorgte sie wie im Falle des letzten Auftritts dafür, dass sein Wutge­schrei für Dritte festgehalten wurde.

      Leon Petrollkowicz rannte zurück in sein Zimmer. Er warf sich auf die kleine Couch in der Raucherecke, sprang aber gleich wieder hoch und lief ins Freie. Er erstickte fast vor Wut und überlegte für Sekunden, ob er nicht umkehren und die­sem Weib fristlos kündigen solle. Aber er ließ den Gedanken gleich wieder fallen. Ohne das Votum der Gremien konnte er ohnehin nicht handeln, und außerdem musste er aufpas­sen, dass seine Aktionen ihm nicht mehr als dieser Intrigantin schadeten. Nein, er musste endlich anfangen, nicht mit der Axt, sondern mit machiavellistischen Volten die Gegnerin mit ihren Hintermännern in Schach zu halten.

      Hintermänner? Fest stand, dass ihr früherer Boss, der all­gewaltige Dr. Dr. h.c. Alexander Maibohm dieses Weib in sei­ne Firma gedrückt hatte. Er wollte es, Punktum. Die Bank war nicht nur wichtigster Kunde, sondern auch Drahtzieher zu allen tatsächlichen und potentiellen Auftraggebern. Ohne sie lief gar nichts. Wenn einer in diesem Konzert mitmischen wollte, musste er die Usancen kennen und sich ihnen unter­ordnen. Das geringste Aufmucken, und sei es noch so be­rechtigt, war tödlich. Man musste im Gegenteil durch einen vorauseilenden Gehorsam die Intentionen der Auftraggeber erkennen und so tun, als hätte man immer nur ihre Ziele im Auge gehabt und immer und ewig bis zur Selbstaufgabe dazu beitragen wollen, dass sie auch in der Praxis durchgesetzt würden. Leon Petrollkowicz musste wissen, was Dr. Maibohm mit seiner Firma vorhatte. Wollte man ihm im Interesse ei­ner übergeordneten Strategie zu Leibe rücken, dann würde er gnadenlos überrollt. Die Tatsache, dass ihm Emma Heng­stenberg aufs Auge gedrückt wurde, geschah ja nicht nur zu dem Zweck, diese für gewisse Aufgaben ungeeignete Person auf ein Abstellgleis zu schieben. Er wollte die Lage mit seinen Freunden durchsprechen, um vor Überraschungen gefeit zu sein. Was ihn stutzig machte war, dass sich seine Geschäfts­freunde auffallend zurückhaltend verhielten, so als wollten sie auf keinen Fall in etwas reingezogen werden. Verschwiegen sie ihm etwas? Er hatte ein ungutes Gefühl, in dem er durch das arrogant selbstsichere Auftreten dieser Person noch bestärkt wurde.

      Emma Hengstenberg führte irgendetwas im Schilde, sonst würde sie versuchen, sich zu arrangieren. Sie kämpfte aber ge­gen ihn, und er wusste nicht, wie er diesen Kampf gewinnen sollte. „Der Himmel stehe mir bei“, sagte er sich an diesem Vormittag und schaute in dräuende Wolkenschwaden, die Sturm und Regen ankündigten. Immer wieder das gleiche Bild: Straßenmusikanten, Passanten mit großen Einkaufs-tüten, Bettler, vorbeieilende Manager mit und ohne Handy, Frauen mit und ohne Frisur, Zeitungsverkäufer und natürlich diese Fifty-Fifty-Obdachlosen, die ihre magere Zeitung für etwas Geld an den Mann oder an die Frau bringen wollten. Warum arbeiteten diese Menschen nicht? Sie könnten doch die Bürgersteige säubern oder sich als Wachattrappen vor die Geschäfte stellen! Wer arbeitete heute überhaupt noch? Neu­lich hatte er gelesen, dass fünfzig Prozent der Bevölkerung die anderen fünfzig Prozent über Wasser hielten. Fifty-Fifty also. Ein Witz? Herrlich, dieser Staat. Hier verhungert keiner, aber irgendwann geht die Wirtschaft den Bach hinunter.

      Was wird aus ihm? Kann er die Firma halten? Wenn nein, was macht er dann? Malen oder als Journalist arbeiten? Er las die Überschrift auf dem Blättchen des Fifty-Fifty-Verkäufers: „Künstler helfen Obdachlosen“. Leon Petrollkowicz fand es gut, dass sich viele aus dieser Szene für die Armen engagierten. Sollte er nicht auch so ein Blättchen kaufen und damit den Jungen von der Parkbank das Konto aufbessern? Er kaufte. Und in dem Au­genblick, da er aus der Hosentasche einige Euro fischte und dafür das Blatt entgegennahm, erfuhr er eine weitere Demü­tigung. Emma Hengstenberg lief gemessenen Schrittes an ihm vorbei und quittierte mit einem unverschämten Lächeln die Aktion ihres Kollegen.

      Sie grüßte nicht, sie sagte nichts, sie griente ganz einfach, so als wollte sie diesem Käufer des Fifty-Fifty-Blattes zu verstehen geben, dass er gut daran tue, sich schon mal mit diesem Milieu vertraut zu machen. So meinte jedenfalls Leon Petrollkowicz das Mienenspiel dieser Frau deuten zu müssen. En passent, versteht sich, aus den Augenwinkeln heraus, beobachtete er dieses unverschämte Weib, das von seiner unternehmerischen Aufbauleistung profitierte und ein fürstliches Gehalt einsteck­te. Und wofür? Um ihn zu desavouieren, vor den Augen seines besten Kunden zu kompromittieren, ihn quasi als Säufer hin­zustellen. Wohin ging sie eigentlich zu dieser Mittagsstunde? Es war nicht die normale Route zur Kantine der Cassa No­stra AG, ihrem früheren Arbeitsplatz, sondern die Richtung Parkhotel. Er folgte ihr. Warum Parkhotel? Hatte sie sich zum Schluss mit Louis Sinopret zum Essen verabredet? Aha! War es nicht denkbar, dass sie statt seiner jetzt selbst den Termin wahrnehmen wollte, um zu zeigen, dass sie es besser als er kön­ne? Wenn ja, dann hätte er ihr vielleicht teilweise Unrecht ge­tan. Aber letztlich war ihr Verhalten so oder so unentschuld­bar, weil sie seine Würde in den Schmutz gezogen hatte und er Mühe haben würde, diese Unverschämtheit aus der Welt zu räumen.

      Sie ging tatsächlich ins Parkhotel, aber dahin konnte er ihr nicht weiter folgen, ohne sich nicht zuviel zu vergeben. Er machte kehrt und marschierte die Schadowstraße hinunter zur Imbissbude, um sich dort wieder seine Kartoffel abzuho­len. So ungerecht konnte die Welt sein. Der Chef holte sich eine Kartoffel und seine Angestellte, die sie formaljuristisch schließlich war, ging in das feinste Hotel, um zu lunchen und anschließend in einem separaten Raum die Modalitäten der Imagekampagne zu besprechen. Natürlich, natürlich. Oder war es doch anders?

      Am Kartoffelstand stand wieder eine Frau vor ihm. Dies­mal eher ein indischer Typ. Er bewunderte das farbenfrohe Gewand, er sog den Duft der Haare in sich auf. Würde gleich wieder etwas Außerplanmäßiges passieren? Aber warum im­mer gleich so negativ denken? Vielleicht war alles ganz anders.

Скачать книгу