Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch
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Kapitel 3
Leon Petrollkowicz hatte in Meerbusch bei Düsseldorf ein wunderschönes Zuhause. Er wohnte in der Poststraße, keine der ganz noblen Straßen wie die Hindenburgallee, wo sich die ganz Reichen eingenistet hatten und auch Dr. Maibohm eine Prunkvilla besaß, aber in einer schönen Straße im Ortsteil Büderich. Seine Wohnung hatte über zweihundert Quadratmeter. Sie war repräsentativ, aber nicht protzig, sondern trotzig. Mit ihr wollte er zeigen, dass er es zu etwas gebracht hatte, als umsichtiger, kompetenter Unternehmer, und wenn es sein musste, sollte sein Eigentum auch Neid hervorrufen. Schließlich war er wie viele andere tüchtige Firmengründer, die sich dem harten Wind des Wettbewerbs stellten, ein Aushängeschild der Marktwirtschaft. Allen Widrigkeiten zum Trotz wollte er überleben und andere ermuntern, es ihm gleichzutun. Mit dieser Einstellung brauchte man sich seines Lebensstandards nicht zu schämen. Dazu gehörte, sich Personal zu leisten, ein edles Auto zu fahren, schöne Reisen zu machen, in gute Restaurants zu gehen, Klamotten zu kaufen, die Lebensgefährtin zu verwöhnen und seine kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen.
Leon Petrollkowicz ärgerte sich darüber, dass viele ganz anders dachten. Sie wollten herrlich leben, ohne selbst ein Risiko einzugehen. Und das Rezept lautete: Hohe Managergehälter, opulente Bonuszahlungen. Oder die andere Variante: Mehr Staat, höhere Sozialleistungen, koste es was es wolle. Aber wer sollte dies alles bezahlen? Mittelständler, die produktiv im Wirtschaftsprozess standen und die Staatskasse auffüllten, wurden für ihre Leistung nicht belohnt, sondern mit hohen Steuern bestraft. Sie waren die Buhmänner, die Kapitalisten, die in Villenvororten residierten und angeblich kein Herz für die Nöte des Volkes hatten. So, als wollten die linken Regierenden ihren Unmut über die Arroganz der Reichen auch noch akustisch zum Ausdruck bringen, donnerten die Flugzeuge im Fünfminutentakt über das Villenviertel. Leon Petrollkowicz trotzte aber all diesen Widrigkeiten.
Der Jungunternehmer dachte besonders über seine Pappenheimer in der Industrie nach. Für ihn waren die Topmanager keine Unternehmer, weil sie letztlich kein Risiko trugen. Sie verdienten Millionen, und wenn sie die Firma in den Ruin gewirtschaftet hatten, bekamen sie noch einmal einige Millionen Abfindung. Weltweit gab es diese schwarzen Schafe. Wenn Petrollkowicz einschlafen wollte, dann zählte er diese schwarzen Schäflein, und manchmal fand er auch nach Stunden noch keinen Schlaf. Wie ungerecht und kompliziert war doch diese Welt. Und er war in den Fängen der Mächtigen. Auf der einen Seite strangulierte ihn der Staat mit Steuern, auf der anderen glaubte er sich dunklen Machenschaften der Industrie und der Banken ausgesetzt. Oder sah er nur Gespenster?
Seine Lebensgefährtin Anna merkte in diesen Tagen, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihr Partner kam ihr so verändert vor. Während er normalerweise mit Oliver, ihrem Sohn aus einer früheren Beziehung, über Schule, Freizeit und Belanglosigkeiten des Alltags plauderte, war er in letzter Zeit schweigsam und zog sich öfter als gewohnt in seine Höhle, in diesem Fall in sein Arbeitszimmer, zurück. Er sinnierte, grübelte, führte Selbstgespräche, war schnell gereizt, kurzum, er war mit sich und der Welt nicht zufrieden.
Seine Lebensgefährtin litt unter dieser angespannten Konstellation, zumal Leon sich nur selten über seine beruflichen Probleme äußerte.
„Anna“, sagte er eines Tages zu ihr, „was wäre, wenn wir arm wären?“
Sie antwortete ausweichend: „Tu mir das nicht an.“
Leon hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Sie lebte in der schönsten Kleinstadt im Umkreis von Düsseldorf, hatte viele anspruchsvolle Freundinnen, spielte gerne Bridge und Golf, manchmal auch Tennis, ging gerne auf dem großen Boulevard in Düsseldorf bummeln, kaufte sich gerne schicke Sachen, ging häufig ins Konzert oder Theater, liebte teure Restaurants und hatte einen Partner, der ihr das alles ermöglichte. Dabei war sie kein Luxusweibchen. Sie sonnte sich nicht im Wohlstand, sondern hielt dieses Leben für etwas Gottgewolltes. Gott liebte eben die Seinen und bescherte ihnen das kleine Paradies schon auf Erden. Um diesen Standard nicht für selbstverständlich zu halten, vergällte einem der Herr den einen oder anderen Tag mit vielen kleinen Widrigkeiten, die aber allesamt nur zu dem Behufe auftauchten, die schönen Seiten des Lebens noch schöner zu finden. Denn wo kein Schatten ist, ist auch kein Licht.
Anna dachte aber nicht nur an sich, sondern teilte die Sorgen ihres Partners. Was sie über diese Emma Hengstenberg gehört hatte, musste auch sie im höchsten Maß beunruhigen.
„Warum gehst du nicht wieder für ein paar Wochen nach Salzburg?“, fragte sie zwischendurch.
Anna wusste, dass sie mit diesem Vorschlag Leon auf schönere Gedanken bringen konnte. Sie hatte schon vor Jahren dafür gesorgt, dass er an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst seinem großen Talent, der Malerei, nachging. Leon war einige Male dort und war so erfolgreich, dass er daheim zunächst kleinere, dann größere Ausstellungen durchführen konnte und die Fachwelt ihn nicht ganz ignorierte. Und das hieß etwas. Schließlich interessierten sich Kunstkritiker und Galeristen schon seit Jahrzehnten nicht mehr dafür, was Qualität bedeutete, sondern nur für den Marktwert eines Künstlers. Die meisten in der Zunft verstanden ohnehin nichts von Kunst, sondern plapperten nur das nach, was die Protagonisten der Szene zu einem Tafelbild oder einer Installation, einer Stele oder einem Gipsabdruck zu sagen hatten. Wie sollten sie auch einen Pappkarton, einen Schuh, eine Fettecke oder einen onanierenden Jüngling auf einer ausgefransten Leinwand künstlerisch einordnen? Dies taten die Wissenschaftler an den Akademien und Universitäten, in den Museen und Kunstzeitschriften.
Leon war als Maler wenig bekannt, dafür verstand er aber etwas vom Marketing. Wenn er den Galeristen versprach, dass der Geldadel einer Stadt zu seiner Vernissage käme, dann öffneten sie schon mal ihre Pforten. Manche wollten das Geschäft aber gar nicht erst abwarten, sondern forderten vorab Garantien für einen Mindesterlös. Leon machte dieses Spielchen nicht mit und verwies auf die Qualität seiner Arbeiten. Einmal wurde er sogar durch einen wirklichen Fachmann bestätigt. Tobias Dominikus, Kunstkritiker aus Düsseldorf, war von seinen Bildern begeistert. Er hatte selbst Kunst studiert, war Meisterschüler von Josef Beuys und verlegte sich dann auf die Kunstkritik, weil sich keiner für seine Werke interessierte. Er schwor sich, nur auf seine innere Stimme zu hören und jeder Einflussnahme von außen zu widerstehen. Er wurde auf diese Weise nicht wohlhabend, aber angesehen, und sein Urteil hatte Gewicht. So kam es, dass Leon auch im Kunstbetrieb etwas bekannter wurde.
„Salzburg?“ Leon überlegte. Er würde sicherlich irgendwann wieder malen, zumal er großartige Ideen hatte, aber im Augenblick stand ihm nicht der Sinn danach. Er konnte in dieser Situation seine Firma keinen Tag im Stich lassen.