Der Tanz der Heuschrecken. Ulrich Fritsch

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Der Tanz der Heuschrecken - Ulrich Fritsch

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kam doch anders. Die Inderin stürzte die Schar der Wartenden für lange Minu­ten in ein Nirwana der Ratlosigkeit. Sie wollte ihre Kartoffel mit der Scheckkarte bezahlen und wunderte sich, dass die Ver­käuferin auf bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht eingestellt war. Sie rannte zum nächsten Geldautomaten. Die nunmehr verwaiste Kartoffel wurde aber nicht an Leon Petrollkowicz weiterverkauft, sondern auf die Seite gelegt, weil es die letzte Kartoffel dieser Backserie war und die Inderin betonte, dass ihr und nur ihr „dieses Mahlzeit“, wie sie sagte, zustand. Und so wartete Leon Petrollkowicz eben, bis die nächste Backse­rie fertig war, ohne zu murren, er war schließlich weder frau­en- noch ausländerfeindlich, machte sich nur gelegentlich so seine Gedanken. An diesem Tag hatte sich wohl alles gegen ihn verschworen, aber er versuchte es einigermaßen gelassen zu nehmen. Schließlich redete er sich sogar ein, dass es ein erfolgreicher Tag gewesen sei, weil er dieser blöden Megäre im Büro endlich die Zähne gezeigt und sie damit in die Schran­ken gewiesen hätte. Er wollte kämpfen, koste es, was es wolle. Eines Tages würde dieses Weib sich im Staube der Straße vor ihm krümmen, um Verzeihung bitten, und er würde sie gna­denlos abweisen. Er bahnte sich einen Weg durch die Avenue der Gastarbeiter, wie er die Schadowstraße gerne nannte, und fuhr nach Hause. Per Handy gab er seinen Mitarbeitern noch einige Anweisungen.

      Kapitel 3

      Leon Petrollkowicz hatte in Meerbusch bei Düsseldorf ein wunderschönes Zuhause. Er wohnte in der Poststraße, keine der ganz noblen Straßen wie die Hindenburgallee, wo sich die ganz Reichen eingenistet hatten und auch Dr. Maibohm eine Prunkvilla besaß, aber in einer schönen Straße im Ortsteil Bü­derich. Seine Wohnung hatte über zweihundert Quadratmeter. Sie war repräsentativ, aber nicht protzig, sondern trotzig. Mit ihr wollte er zeigen, dass er es zu etwas gebracht hatte, als um­sichtiger, kompetenter Unternehmer, und wenn es sein mus­ste, sollte sein Eigentum auch Neid hervorrufen. Schließlich war er wie viele andere tüchtige Firmengründer, die sich dem harten Wind des Wettbewerbs stellten, ein Aushängeschild der Marktwirtschaft. Allen Widrigkeiten zum Trotz wollte er über­leben und andere ermuntern, es ihm gleichzutun. Mit dieser Einstellung brauchte man sich seines Lebensstandards nicht zu schämen. Dazu gehörte, sich Personal zu leisten, ein edles Auto zu fahren, schöne Reisen zu machen, in gute Restaurants zu ge­hen, Klamotten zu kaufen, die Lebensgefährtin zu verwöhnen und seine kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen.

      Leon Petroll­kowicz ärgerte sich darüber, dass viele ganz anders dachten. Sie wollten herrlich leben, ohne selbst ein Risiko einzugehen. Und das Rezept lautete: Hohe Managergehälter, opulente Bonus­zahlungen. Oder die andere Variante: Mehr Staat, höhere So­zialleistungen, koste es was es wolle. Aber wer sollte dies alles bezahlen? Mittelständler, die produktiv im Wirtschaftsprozess standen und die Staatskasse auffüllten, wurden für ihre Lei­stung nicht belohnt, sondern mit hohen Steuern bestraft. Sie waren die Buhmänner, die Kapitalisten, die in Villenvororten residierten und angeblich kein Herz für die Nöte des Volkes hatten. So, als wollten die linken Regierenden ihren Unmut über die Arroganz der Reichen auch noch akustisch zum Aus­druck bringen, donnerten die Flugzeuge im Fünfminutentakt über das Villenviertel. Leon Petrollkowicz trotzte aber all die­sen Widrigkeiten.

      Der Jungunternehmer dachte besonders über seine Pap­penheimer in der Industrie nach. Für ihn waren die Topma­nager keine Unternehmer, weil sie letztlich kein Risiko trugen. Sie verdienten Millionen, und wenn sie die Firma in den Ruin gewirtschaftet hatten, bekamen sie noch einmal einige Mil­lionen Abfindung. Weltweit gab es diese schwarzen Schafe. Wenn Petrollkowicz einschlafen wollte, dann zählte er diese schwarzen Schäflein, und manchmal fand er auch nach Stun­den noch keinen Schlaf. Wie ungerecht und kompliziert war doch diese Welt. Und er war in den Fängen der Mächtigen. Auf der einen Seite strangulierte ihn der Staat mit Steuern, auf der anderen glaubte er sich dunklen Machenschaften der Industrie und der Banken ausgesetzt. Oder sah er nur Gespen­ster?

      Seine Lebensgefährtin Anna merkte in diesen Tagen, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihr Partner kam ihr so verändert vor. Während er normalerweise mit Oliver, ihrem Sohn aus ei­ner früheren Beziehung, über Schule, Freizeit und Belanglosig­keiten des Alltags plauderte, war er in letzter Zeit schweigsam und zog sich öfter als gewohnt in seine Höhle, in diesem Fall in sein Arbeitszimmer, zurück. Er sinnierte, grübelte, führte Selbstgespräche, war schnell gereizt, kurzum, er war mit sich und der Welt nicht zufrieden.

      Seine Lebensgefährtin litt unter dieser angespannten Kon­stellation, zumal Leon sich nur selten über seine beruflichen Probleme äußerte.

      „Anna“, sagte er eines Tages zu ihr, „was wäre, wenn wir arm wären?“

      Sie antwortete ausweichend: „Tu mir das nicht an.“

      Leon hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Sie lebte in der schönsten Kleinstadt im Umkreis von Düsseldorf, hatte viele anspruchsvolle Freundinnen, spielte gerne Bridge und Golf, manchmal auch Tennis, ging gerne auf dem großen Boulevard in Düsseldorf bummeln, kaufte sich gerne schicke Sachen, ging häufig ins Konzert oder Theater, liebte teure Restaurants und hatte einen Partner, der ihr das alles ermöglichte. Dabei war sie kein Luxusweibchen. Sie sonnte sich nicht im Wohlstand, sondern hielt dieses Leben für etwas Gottgewolltes. Gott lieb­te eben die Seinen und bescherte ihnen das kleine Paradies schon auf Erden. Um diesen Standard nicht für selbstver­ständlich zu halten, vergällte einem der Herr den einen oder anderen Tag mit vielen kleinen Widrigkeiten, die aber alle­samt nur zu dem Behufe auftauchten, die schönen Seiten des Lebens noch schöner zu finden. Denn wo kein Schatten ist, ist auch kein Licht.

      Anna dachte aber nicht nur an sich, sondern teilte die Sor­gen ihres Partners. Was sie über diese Emma Hengstenberg gehört hatte, musste auch sie im höchsten Maß beunruhigen.

      „Warum gehst du nicht wieder für ein paar Wochen nach Salzburg?“, fragte sie zwischendurch.

      Anna wusste, dass sie mit diesem Vorschlag Leon auf schö­nere Gedanken bringen konnte. Sie hatte schon vor Jahren dafür gesorgt, dass er an der Internationalen Sommerakade­mie für Bildende Kunst seinem großen Talent, der Malerei, nachging. Leon war einige Male dort und war so erfolgreich, dass er daheim zunächst kleinere, dann größere Ausstellungen durchführen konnte und die Fachwelt ihn nicht ganz ignorier­te. Und das hieß etwas. Schließlich interessierten sich Kunst­kritiker und Galeristen schon seit Jahrzehnten nicht mehr da­für, was Qualität bedeutete, sondern nur für den Marktwert eines Künstlers. Die meisten in der Zunft verstanden ohnehin nichts von Kunst, sondern plapperten nur das nach, was die Protagonisten der Szene zu einem Tafelbild oder einer Instal­lation, einer Stele oder einem Gipsabdruck zu sagen hatten. Wie sollten sie auch einen Pappkarton, einen Schuh, eine Fet­tecke oder einen onanierenden Jüngling auf einer ausgefran­sten Leinwand künstlerisch einordnen? Dies taten die Wissen­schaftler an den Akademien und Universitäten, in den Muse­en und Kunstzeitschriften.

      Leon war als Maler wenig bekannt, dafür verstand er aber etwas vom Marketing. Wenn er den Galeristen versprach, dass der Geldadel einer Stadt zu seiner Vernissage käme, dann öffneten sie schon mal ihre Pforten. Manche wollten das Geschäft aber gar nicht erst abwarten, sondern forderten vorab Garantien für einen Mindesterlös. Leon machte dieses Spielchen nicht mit und verwies auf die Qualität seiner Arbeiten. Einmal wurde er sogar durch einen wirklichen Fachmann bestätigt. Tobias Dominikus, Kunstkri­tiker aus Düsseldorf, war von seinen Bildern begeistert. Er hat­te selbst Kunst studiert, war Meisterschüler von Josef Beuys und verlegte sich dann auf die Kunstkritik, weil sich keiner für seine Werke interessierte. Er schwor sich, nur auf seine innere Stimme zu hören und jeder Einflussnahme von außen zu wi­derstehen. Er wurde auf diese Weise nicht wohlhabend, aber angesehen, und sein Urteil hatte Gewicht. So kam es, dass Leon auch im Kunstbetrieb etwas bekannter wurde.

      „Salzburg?“ Leon überlegte. Er würde sicherlich irgend­wann wieder malen, zumal er großartige Ideen hatte, aber im Augenblick stand ihm nicht der Sinn danach. Er konnte in dieser Situation seine Firma keinen Tag im Stich lassen.

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