Die Suizid-App. Peter Raupach
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Berger konnte es…bis heute.
Zuerst hatten ihn diese Worte belastet. Doch bereits auf dem Rückflug nach Deutschland, weit über den Wolken, ließ die Spannung nach und er versuchte, seine Arbeit in der UCD als eine Art Wohltätigkeit zu sehen.
Doch all dies war, das wusste Berger, nur die halbe Wahrheit.
Monate später erfuhr Berger, dass es bei der Erprobung neuer auf das Gehirn einwirkender Medikamente nicht nur um irgendwelche Nebenwirkungen ging, die es zu minimieren galt. Es ging um die Minimierung der akuten Suizidgefahr von Kranken, die sich einer Behandlung mit modernen Medikamenten gegen Depressionen unterzogen. Allerdings waren in den letzten Jahren weniger stark die normalen Kranken in den Fokus der Arzneimittelforschung gerückt als vielmehr die stetig wachsende Anzahl von Soldaten mit posttraumatischem Syndrom.
Bei dieser Art der Forschung konnte von einem wachsenden Markt und somit von einer sicheren Rendite ausgegangen werden. Zum anderen war man sich der gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Forschung und Entwicklung sicher, da diese Soldaten unter Umständen eine akute Gefahr für die Gesellschaft darstellen konnten. Sie hatten Kämpfen und Töten gelernt, konnten mit modernen Waffen umgehen und fanden sich plötzlich in einer zivilen Gesellschaft wieder, die in großen Teilen mit allem Militärischen schon seit Jahrzehnten gebrochen hatte. Traumatisiert, kaum verstanden, wenig anerkannt, suchten diese Soldaten beginnend seit dem letzten Golfkrieg, später wegen der Konflikte in Afghanistan und anderswo auf der Welt, verstärkt die dafür zuständigen Therapiezentren auf. Davon gab es aber zu wenige. Die eigentlich dafür zuständigen militärischen Einrichtungen waren per se aber nicht dafür vorgesehen, den ehemaligen Soldaten monatelang auf die Wiedereingliederung in die zivile Gesellschaft vorzubereiten. Sie hatten und haben, wie zu allen Zeiten in der Armee, dafür zu sorgen, die Kampffähigkeit ihrer Militärangehörigen wieder herzustellen.
Es war für Berger mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass die Zahlen, die ihm Schönfeld vor Jahren vorrechnete, schon lange für diese Art Klientel, also die traumatisierten Soldaten, nicht mehr zutrafen. Die in den Fachinformationen und Beipackzetteln dokumentierten Informationen galten für zivile Durchschnittsbürger, nicht aber für trainierte junge Kampfmaschinen, denen man ihre Aufgabe weggenommen hatte. Nicht zehn Patienten hatten und folgten suizidalen Absichten unter der Einnahme der neu entwickelten Medikamente, sondern hunderte. Lag es am Durchschnittsalter, an den durchgemachten Traumen? Niemand wusste es. Doch dies alles durfte niemals publik werden, deshalb entschied man sich bei der UCD andere, völlig andere Wege zu gehen…Doch diese werden, zumindest zu Beginn, noch mehr…noch vielmehr Tote kosten, wusste Berger.
Und er würde mit daran schuld sein!
Erst vor einem halben Jahr forderte Schönherr in einer Beratung vor einem ausgesuchten Kreis, zu dem auch Berger gehörte:
„Was ich in dieser Phase, zur Beantragung der Zulassung bei den Behörden, brauche, sind bessere Zahlen bei den Nebenwirkungen! Machen Sie das irgendwie, haben Sie mich verstanden? Und…und hören Sie,…falls ein Proband einen Unfall erleidet oder von mir aus unauffindbar ins Ausland übersiedelt, zählt er offiziell nicht mehr zur Studie und wird auch in der Statistik nicht mehr berücksichtigt. Also, wie gesagt, in der jetzigen Situation können wir nichts mehr am Wirkstoff ändern, der schon in der Pipeline ist, sondern nur noch an den Zahlen. Ist Ihnen das klar? Hier geht es nicht um Ihren Arsch, sondern um Millionen von Entwicklungskosten!“
Während an Berger all dies gedanklich vorüberzog, versuchte er telefonisch, eben jenen Mann in New York City zu erreichen, für dessen Geld, so schien es ihm heute, er seine Seele geopfert hatte. Ja, denn er hatte nicht nur seine Moral abgelegt, sondern sich ganz in den Dienst der Sache gestellt, so wie er es immer getan hatte, wenn es um die Erreichung eines Ziels ging. Diese Eigenschaft wurde von Machtmenschen, wie Schönherr, nur allzu gern ausgenutzt. Doch wenn Berger nun vor sich selber endlich ehrlich war, dann konnte er die ganze Schuld nicht nur auf die eine Charaktereigenschaft schieben, sondern es war vielmehr auch seine Eitelkeit, die ihn antrieb. Eitelkeit ist eine der großen Todsünden, dachte Berger, wie konnte er diesen Spruch seines alten Pfarrers aus Kindheitstagen nur vergessen haben.
Dann endlich erreichte er Schönherr. Doch das Telefonat war kurz und für Berger, innerhalb der wenigen Sekunden des Gespräches, eine Art Schlussstrich. Er hatte schon vor sich zu viel Schuld aufgeladen. Jetzt war ihm die Rückendeckung entzogen worden, er spürte es. Das alles würde er nun nicht mehr länger ertragen können. Während er mit diesen Gefühlen kämpfte, suchten seine Hände in der Schublade seines Schreibtisches.
Ivon hatte in der Zwischenzeit, von Berger fast unbemerkt, das Arbeitszimmer betreten. Mit über der Brust verschränkten Armen stand sie ein paar Schritte vom Schreibtisch entfernt und starrte vorwurfsvoll auf ihren Mann.
Als der nach dem Telefonat zu ihr hochschaute, änderte sich sofort ihr Gesichtsausdruck.
„Okay, okay…aber ich musste doch mit New York telefonieren“, sagte Berger leise, in einem resignierenden Tonfall.
„Wie siehst Du eigentlich aus? Du bist ja schneeweiß im Gesicht…ist Dir nicht gut?“, fragte Ivon beunruhigt und ging besorgt schauend auf ihren Mann zu.
„Lass sein, Ivon, ich habe nur etwas Ärger…kann uns höchstens diese Villa und mich ein paar Jahre hinter Gittern kosten…“, meinte Berger leise. Er drehte sich langsam mit dem Arbeitssessel zum großen Fenster und schaute nun doch auf einen der letzten zartrosafarbenen Strahlen der untergehenden Sonne. Ivon hörte ihren Mann in Richtung des Fensters sagen:
„Da rast ein alles zerstörender Komet auf unsere kleine, so schöne Welt zu, meine liebe Ivon…Willst Du wirklich länger mit einem Verbrecher verheiratet sein?“
Dann schwang der Arbeitssessel wieder zurück. Berger hielt sich eine Pistole an die Schläfe und sagte zu seiner Frau, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte:
„Lebe wohl, meine Ivon!“
Der Schuss klang ohrenbetäubend und der Geruch nach Blut war plötzlich allgegenwärtig.
Ivon hörte selbst ihre Stimme nicht mehr, da sie vom lauten Knall der Pistole taub war. Während sich ihr gelbes Abendkleid langsam orange vom Blut ihres Mannes färbte, stammelte sie immer wieder dieselben Worte: „Ich habe Dir doch immer gesagt…eine Waffe in der Wohnung bringt Unglück…ich habe es Dir doch immer…gesagt…eine Waffe…“
Unterwegs
Es war mittlerweile dunkel geworden und die Straße glänzte regennass. Felix zog den Reißverschluss seiner Jacke bis an den Hals und stellte seinen Kragen hoch. Der Kopfschmerz wurde nun von einer leichten Übelkeit abgelöst.
Felix hing seinen Gedanken nach. Weshalb reden heute alle von Suizid, dachte er, während er aufstoßen musste. Auf einem Straßenschild las er den Namen Steinweg. Ja, der Weg wird steinig werden, aber dann geht es mir in der Ewigkeit besser, dachte er.
Wenn man sich umbringt braucht man kein Essen mehr und es wird einem auch nicht mehr übel. Bei den Tabletten versagt die Leber, wahrscheinlich hat man dadurch wahnsinnige Schmerzen. Doch die Schmerzen halten sicher