Die Suizid-App. Peter Raupach
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Читать онлайн книгу Die Suizid-App - Peter Raupach страница 4
„Was nimmst Du eigentlich zur Zeit?“, fragte Roland, während er den kläglichen Rest seiner Zigarette an der Hauswand ausdrückte.
„Du meinst, welches Medikament ich nehme? Ich nehme zurzeit gar nichts. Aber mein Arzt hat mir so‘n Zeug mitgegeben. Das Mittel hat keinen richtigen Namen. Es war eine Zahl…warte, ich hab‘s, 463, ja genau. Alles ohne Beipackzettel. Ich glaube, die Ärzte halten uns alle für Idioten. Schluck und frage nicht, so ist deren Devise“, antwortete Felix.
„Du, die Zahl, die habe ich schon mehrfach gehört. Hier waren schon eine Reihe von Typen. Jeder von denen hatte schon mindestens das fünfte Präparat. Dann tönten sie, dass sie neuerdings 463 bekommen hätten. Ja und was soll ich Dir sagen, keiner kam das nächste Mal wieder zur Gruppe. Ich habe keinen von denen je wieder hier gesehen. Vielleicht hast Du Schwein und bei Dir klappt‘s ja auch mit dieser Wunderheilung“, meinte Roland, während er sich eine neue Zigarette anzündete.
„Eh, Roland, nicht noch eine, wir müssen wieder rein.“
„Na gut, aber eins machen wir noch. Hier!“, sagte Roland und hielt Felix grinsend einen Flachmann mit Schnaps vor die Augen. Aus welcher Tasche er den gezogen hatte, blieb für Felix ein Rätsel.
„Okay, aber nur zwei Schluck.“
Von da an waren die beiden in jeder Pause die Letzten.
Bei den folgenden Treffen trat genau das ein, was auch Roland gegenüber Felix schon angedeutet hatte.
Es kamen Leute zur Selbsthilfegruppe, die nach anfänglichem Zögern begannen, sich vor völlig fremden Menschen zu öffnen und über ihre Probleme zu reden. Die gerade aktuelle Medikation spielte dabei immer eine große Rolle. Relativ schnell wurde Felix so etwas wie ein Spezialist in Sachen Nebenwirkungen der verschiedensten Arzneimittel gegen eine Depression. Aber er wusste auch, dass das alles für ihn nur graue Theorie war, denn er selbst nahm bisher nichts.
Leider kamen keine Leute zu Wort, die das Medikament mit der Bezeichnung 463 eingenommen hatten. Es waren schlichtweg momentan keine in der Gruppe. Felix hatte nun für sich entschieden, solange zu warten, bis einmal jemand auftauchen würde, der Erfahrungen mit eben jenem Medikament gemacht hatte.
Beim Rauchen in der Pause fragte Felix einmal Roland:
„Sag mal, weshalb bist Du eigentlich schon solange hier in der Gruppe? Was suchst Du hier? Sorry, aber entschuldige, Du kommst mir völlig gesund vor. Ich meine…“
Roland fing an zu lachen und meinte dann voll Heiterkeit:
„Echt, echt? Ich bin normal? Ne, Du hast gesagt, ich komme Dir völlig gesund vor! Herrlich! Ach Du bist wirklich goldig! Mann, hätten wir uns bloß schon früher kennen gelernt, ne echt wirklich!“
„Du hast mir meine Frage nicht beantwortet. Ist ja auch nicht schlimm, dachte nur…“
„Okay, okay. Ich versuch‘s zu erklären. Also, es stimmt, ich habe keine mittelschwere oder schwere Depression. Ein Arzt hat bei mir mal eine leichte Depression diagnostiziert. Ich habe mir das nie durch eine Zweitmeinung bestätigen lassen. Ich habe dann nicht nur abends mein Quantum an Alkohol getrunken, sondern auch mittags und schon ging es mir besser.“
„Und was hast Du in die Aufnahmepapiere geschrieben?“
„Ich sage Dir, dem Reißmann kannst du ohnehin nichts vormachen, der hat schnell kapiert, dass ich in der Gruppe für etwas gut bin. Ich bin das Stückchen Normalität für Euch, sorry, den Kranken. Aber eigentlich scheine ich mehr für Reißmann und seine, wie soll ich sagen, für seine Studien zu sein. Ich denke, ich bin das Placebo in dieser Gruppe. Ihr schluckt alle fleißig Eure Mittelchen, bekommt Blut abgenommen und ich schlucke Alkohol in überschaubaren Mengen, genauso wie es der brave Bürger draußen auch macht.“
„Wieso Blut abgenommen, ich denke das ist hier‘ne Selbsthilfegruppe?“
„Okay, dann weißt Du es eben jetzt. Sobald Du beginnst, dein Medikament einzunehmen, wird in regelmäßigen Abständen eine kleine Blutprobe genommen. Da machen bisher auch alle ganz lieb mit, denn sie erfahren, ob ihnen das Mittel wirklich gut tut oder eben auch nicht.“
Die wenigen Stunden in der Selbsthilfegruppe taten Felix jedenfalls, wie er selbst meinte, gut. Er legte wieder mehr Wert auf sein Äußeres.
Zuhause nach den Treffen angekommen, kümmerte er sich um seine Wäsche und fing sogar zu bügeln an. Wenn alles erledigt war, begann er sich zu langweilen. Dieses Gefühl kannte er schon lange nicht mehr. Während er immer häufiger an all die Lebensgeschichten und Schicksale der anderen Gruppenmitglieder dachte, nahm er den Zustand seiner Wohnung plötzlich auch wieder mit anderen Augen wahr.
Hier kann ich niemanden einladen, hier darf niemand rein, viel zu schmutzig und unaufgeräumt, dachte Felix bedauernd.
Nach zwei weiteren Tagen, die Felix als einen Zeitraum mit erdrückender Leere wahrnahm, brüllte er laut in Richtung Fernseher:
„Schluss jetzt!“
Sofort klopfte es von der Wohnzimmerdecke und jemand rief:
„Ruhe! Ich hab die Schnauze voll von diesem Haus. Ich habe Feierabend!“
Felix schwang sich von der Couch, das heißt er versuchte es und wollte aufstehen. Im selben Moment spürte er einen stechenden Kopfschmerz, sein Knie stieß hart an den kleinen Tisch vor ihm. Langsam rollte die leere Schnapsflasche auf dessen Rand zu. Felix wollte die Flasche halten, aber er war viel zu langsam. Scheppernd, aber ohne kaputt zu gehen, knallte die Flasche auf den staubigen Dielenboden.
„Ich habe Ruhe gesagt, sonst…“, rief die Stimme wieder von der Decke. Dann klirrte es über Felix, ähnlich wie eben bei ihm im Wohnzimmer.
Felix schleppte sich zum Fenster und hielt sich dabei seinen Kopf. Es war früher Nachmittag. Er machte das Fenster weit auf, hob die Gardine über den oberen Fensterrahmen zurück ins Wohnzimmer. Während er das Fenster geöffnet ließ, ging er in die Küche, um den Abfall nach unten zu schaffen.
Beim Anblick der Massen an leeren Flaschen und der vielen bis an den Rand gefüllten Abfallbeutel, hätte er sich beinahe wieder umgedreht, um von dem schier unlösbaren Vorhaben wieder abzulassen. Doch ein fixer Gedanke beherrschte ihn im Moment.
Es waren noch zehn Tage Zeit bis zum nächsten Treffen der Selbsthilfegruppe. Wie sollte er die überstehen, vor Langeweile? Felix konnte und wollte nicht mehr so weiter machen wie bisher.
Ob er es wirklich schaffen würde, seine Depression wieder los zu werden?, dachte Felix. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er sich dieser Frage in den zurückliegenden Wochen nie gestellt hatte. Woher kam dieser plötzliche Wandel?, fragte er sich nun doch.
Er nahm in jede Hand zwei Beutel mit Abfall und machte mit dem Ellenbogen seine Wohnungstür auf. Gerade als er rausgehen wollte, fiel ihm die Antwort auf seine Frage ein. Es war ganz einfach. Er hatte der Gruppe angekündigt, bei der nächsten Zusammenkunft über sich zu reden, sein Problem und so…, eben über seine Krankheit.
Das Medikament
Eines Tages, für Felix mochten es gute vier Wochen nach