Ziegelgold. Tom Brook

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Ziegelgold - Tom Brook

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Wohlig wärmte er seine Hände an der heißen Tasse und sah sich um.

      Er war schon häufiger bei Tims Großvater, aber er entdeckte immer wieder skurrile Dinge in der Küche des alten Herrn. Auf der Fensterbank stand zum Beispiel in einem Meer von Kakteen eine Gondel aus Plastik mit dem Schriftzug 'Venezia'. Die ehemals schwarze Farbe war von der Sonne bereits völlig ausgeblichen und von dem einst stolzen Gondelier waren nur noch die Füße übrig. Alex Blick schweifte weiter über eine blau-weiße Porzellan-Windmühle mit nur drei Flügeln, die 'Tulpen aus Amsterdam' spielen konnte. Lustig war auch der komische weiße Hund auf einem roten Sack, der einen Knoten im Ohr hatte und einen Kussmund machte. „Guter Geschmack ist Glückssache“, pflegte sein Vater beim Anblick solcher Dinge gerne zu sagen. Während Tim mit seinem Großvater ein angeregtes Gespräch über seine letzte Lateinarbeit führte und sich Hoffnungen auf einen Zehn-Euro-Schein machte, betrachtete Alex gelangweilt eine Reihe von Familienfotos an der Wand. Es waren die üblichen Motive: Hochzeiten, Taufen, Einschulungen, Konfirmationen und so weiter. Tims Opa schien eine Menge Kinder und unzählige Enkel zu haben, dachte Alex. Anscheinend ließ sich aber außer Tim kaum ein Enkel bei ihm sehen. Plötzlich blieb sein Blick an einem Bild hängen, das so gar nicht in diese Reihe passte.

      Das Foto war augenscheinlich sehr alt, denn es war schwarz-weiß, stark vergilbt und hatte einen altmodischen Holzrahmen. Es zeigte zwei junge Menschen mit Fahrrädern, die sich an den Händen hielten. Der junge Mann hatte eine merkwürdig aussehende Mütze auf dem Kopf und eine viel zu kurze Hose. Das Mädchen trug einen Rock und eine helle Bluse und hatte zwei lange Zöpfe. Aber es waren nicht die jungen Menschen, die Alex' Aufmerksamkeit erregten, sondern der Hintergrund des Bildes: Es war die alte Ziegelei! Sie sah völlig anders aus, als Alex sie als Ruine kannte, aber die beiden markanten Schornsteine erkannte er sofort.

      Alex stand auf und betrachtete das Bild aus der Nähe. „Gefällt dir das Foto, Alex? Das ist mein Vater mit meiner Mutter, kurz bevor sie geheiratet haben. Also Tims Urgroßeltern. Das müsste so Mitte der zwanziger Jahre gewesen sein“, sagte Tims Großvater, als er sah, dass sich Alex für das Foto interessierte. „Das ist doch die alte Ziegelei im Hintergrund“, mischt sich Tim ein. „Ja, das ist sie, dort haben die beiden gearbeitet. Dein Uropa war dort als Brandmeister in der Ziegelei beschäftigt. Das war damals eine der besten Anstellungen im Dorf. Und deine Oma hat bis zur Hochzeit im Haushalt der Deependaals bedient.“ „Deependaal? Komischer Name“, murmelte Tim und betrachtete das Bild, das sein Opa jetzt von der Wand nahm und versonnen betrachtete.

      „Tja, die Familie gibt es auch nicht mehr. Sie kam vor rund hundert Jahren aus Holland in unsere Gegend und baute die Ziegelei auf. Mein Vater erzählte uns als Kindern gerne von dieser Familie. Keiner wusste, woher genau sie kam und woher das viele Geld stammte, mit dem sie die Ziegelei gründete. Einige vermuteten, dass der alte Henk Deependaal ein reicher holländischer Reeder und Kaufmann war, der ein Vermögen mit Salpeter in Südamerika verdient hatte. Angeblich hatte er in Chile einen angesehenen Kaufmann um eine Schiffsladung betrogen und musste aus Holland fliehen, weil er die Ehre der holländischen Kaufleute beschmutzt hatte. Aber so genau wusste das niemand.“

      „Hört sich nach einem interessanten Typ an“, meinte Tim. Sein Großvater schaute ihn an. „Typ? Ja, so sagt man heutzutage wohl. Die Familie Deependaal war immer sehr geheimnisvoll. Sie kam nicht in unsere Kirche, feierte nicht mit uns im Dorf und sie ließ sich überhaupt nur sehr selten blicken. Mein Vater erzählte immer gerne von dem Tag, als die Deependaals ein nagelneues Auto kauften. Das war im Sommer 1914, kurz vorm Ausbruch des ersten Weltkrieges, dein Uropa war gerade neun Jahre alt. In Kleiborg gab es damals kein anderes Thema. Ein weißer Mercedes mit einem Spitzkühler und außenliegenden, verkleideten Auspuffrohren. So etwas kannte man damals nur aus Berlin. Aber hier bei uns? Das wäre so, als wenn heute ein UFO in Kleiborg landen würde.“

      Alex und Tim grinsten sich an. Tims Opa war schon etwas wunderlich. Was ist an einem Mercedes denn schon besonders, dachten sie. „Ja, ja, ihr lacht. Aber damals konnten sich das nur sehr, sehr reiche Leute leisten. Meine Mutter, also deine Uroma hat oft erzählt, dass sie viele Stunden mit dem Putzen des Silberbestecks verbracht hat und dass das gute Porzellan der Familie Deependaal aus Meissen kam. Das war die teuerste Porzellanmanufaktur der Welt“, sagte Tims Opa leicht verärgert und hängte das Bild wieder auf.

      „Was ist denn aus der Familie geworden?“ Alex wurde neugierig. „Tja, die Sache ist genauso merkwürdig wie die Familie selbst. Den alten Henk Deependaal fand man Mitte der dreißiger Jahre erschossen in einem seiner Trockenschuppen, wo die Ziegelrohlinge vor dem Brennen getrocknet wurden. Die Sache wurde nie so richtig aufgeklärt. Wilde Spekulationen gibt es noch bis heute. Sein Sohn Cobus führte die Ziegelei weiter. Am Ende des zweiten Weltkrieges haben englische Soldaten dann die Ziegelei besetzt. Sie brauchten Hallen und Schuppen für ihre Soldaten und Fahrzeuge. Die Offiziere beschlagnahmten auch die Villa der Deependaals. Von der Familie hat nie wieder jemand etwas gehört. Wirklich vermisst hat sie aber wohl auch niemand. Die Ziegelei stand nach dem Krieg eine Weile leer und wurde dann von den Backsteinwerken Unterweser bis in die siebziger Jahre betrieben. Die Erdölkrise 1973 hat dann das Aus für fast alle Ziegeleien hier in der Umgebung bedeutet.“ Tims Opa zündete sich seine Pfeife an und verschwand kurz in einer Rauchwolke. „Aber das ist alles schon so lange her“, brummte er mit der Pfeife im Mund und schaute etwas wehmütig aus dem Fenster hinaus.

      „Wir müssen weiter, Opa“, brach Tim das Schweigen und stand auf. Alex hätte gerne noch etwas von der geheimnisvollen Familie gehört. Seufzend stand er mit seinem Freund auf. Die beiden bedankten sich für den Kakao und verabschiedeten sich.

      „Du, was ist eigentlich Salpeter?“, fragte Alex seinen Kumpel, als sie draußen waren. Der sah ihn fragend an. „Ein Gewürz, glaube ich.“ Alex schüttelte den Kopf. „Gewürze kommen doch meistens aus Asien und nicht aus Südamerika.“ „Na und? Wen interessiert's?“, gab Tim patzig zurück und lief zur Straße hinunter. Auf dem Weg zurück redete keiner ein Wort. Vor Tims Elternhaus trennten sich die Jungen. Tim wollte noch zu Onkel Theo, um ihm den Verlust des Familienerbstücks zu beichten.

      Als Alex zu Hause ankam, saßen seine Eltern am Küchentisch und tranken Kaffee. Sein Vater las gerade in einer Fachzeitschrift für exklusive Uhren. Für den Fall, dass er mal im Lotto gewinnt, wolle er vorbereitet sein, sagte er mal aus Jux, als Alex sich einmal darüber lustig gemacht hatte. „Na Großer, wie sieht's aus?“, begrüßte er seinen Sohn jovial und schlug ihm dabei kräftig auf die Schulter. Alex Vater 'macht in Zähnen', wie er es selbst gerne ausdrückte. Er war Handelsvertreter für zahntechnische Werkzeuge und von Montag bis Freitag in ganz Norddeutschland unterwegs. „Gut, Sonntag ist das Spiel gegen die Bremer. Kommt ihr mit? Falke sagte, wir brauchen jede Unterstützung.“ „Klar! Ich hoffe, ihr gewinnt!“ sagte sein Vater. „Wie war denn deine Woche? Habt ihr Arbeiten zurückbekommen?“ Typisch Eltern, dachte Alex genervt, als würde das Leben nur aus zurückgegebenen Klassenarbeiten bestehen. „Ja, den Deutschaufsatz. War 'ne Drei“, nuschelte er, da er sich drei Amaretto-Kekse auf einmal in den Mund schob. „Na ja, das war ja nicht so toll. Was hat denn Tim?“, mischte seine Mutter sich in das Gespräch ein. Mit der Frage nach Tims Zensur war Alex' Bereitschaft auf ein Gespräch auf ein Minimum gesunken. „Weiß nicht“, war seine knappe Antwort. Natürlich wusste er, dass Tim nur knapp an der 'Eins' vorbeigeschrammt war. Aber das musste er seinen Eltern ja nicht auf die Nase binden. Außerdem fand er den ständigen elterlichen Vergleich mit den Leistungen seines besten Freundes einfach nur abtörnend.

      „Was macht der Mustang?“, fragte er betont beiläufig. Alex wusste nur zu gut, wie man seinen Vater von unangenehmen Themen wie Schule, Gitarre üben oder Aufräumen abbringen konnte. Man musste ihn nur nach seinem 1966er Ford Mustang fragen, an dem er fast jeden Samstag mit seinem besten Freund Martin herumschraubte. Dabei könne er sich am besten entspannen, sagte er immer, wenn sich Alex' Mutter beklagte, dass man ihn kaum zu sehen bekäme.

      Über das Gesicht seines Vaters huschte ein Lächeln. „Ich hoffe, dass wir morgen den Vergaser wieder einbauen können.

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