Und Gott schaut zu. Erich Szelersky

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Und Gott schaut zu - Erich Szelersky

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dem Brief lagen einige Kladden, alle sorgfältig beschriftet. Ich öffnete die Kladde mit der Aufschrift 1. Ein vergilbtes Foto fiel heraus. Vorsichtig, in Sorge, es könnte zerbrechen, hob ich es auf und betrachtete es. Ich hatte es zuvor noch nie gesehen. Dann las ich die Zeilen, die mein Vater geschrieben hatte.

      Mein lieber Sohn,

      auf der Fotografie ist Dein Großvater Willi Szlapszi, mein Vater, zu sehen. Du wirst Dich sicher noch erinnern. Er starb 1964 an einem Herzinfarkt.

      Von den Jahren im KZ hat er sich nie mehr richtig erholt. Auf dem Foto ist er noch ein kleiner Junge. Daneben sind seine Brüder Paul, Walter und Karl und seine kleine Schwester Elisabeth. Die Frau mit dem ausladenden Hut; das ist Deine Urgroßmutter Henriette, und der Mann mit der Melone ist Dein Ur-Großvater, Gustav Szlapszi. Ich habe versucht, im Laufe der Jahre etwas über unsere Familie herauszufinden. Es war nicht leicht, denn vieles ist im Krieg verloren gegangen, doch das, was ich finden konnte, habe ich aufgeschrieben. So bekommt der Nebel der Vergangenheit Konturen und die Zukunft erhält ein Gesicht. Mit jedem Blick in die Vergangenheit sehen wir uns selbst mit den Augen derer, die damals gelebt haben, denn wir waren deren Zukunft so wie unsere Kinder und Enkel unsere Zukunft sind.

      Einen Moment zögerte ich und überlegte, ob dies der geeignete Augenblick sei, zu lesen, was Vater mir zu sagen hatte. Dann lehnte ich mich zurück und begann zu lesen:

      Vorgeschichte

      Deine Ur-Ur-Großeltern

      Krakau 1848

      Ich beginne mit meinen Aufzeichnungen in Krakau. Dort hat unsere Familie einmal gelebt.

      Das war in der Zeit der nationalen Bewegungen. Auch die Polen strebten nach einem geeinten Vaterland.

      »Jeszcze Polska nie zgineta.«

      »Noch ist Polen nicht verloren.«

      Überall in den Straßen von Krakau war das von Jozef Wybicki ein paar Jahrzehnte zuvor nach der dritten polnischen Teilung komponierte patriotische Kampflied, in dem zum bewaffneten Widerstand gegen die Besatzungsmächte aufgerufen wird, zu hören. Polnische Nationalisten zogen fahnenschwenkend durch die Straßen und forderten die Wiederherstellung des polnischen Nationalstaates.

      Die alte polnische Königsstadt Krakau war ein Hexenkessel. In dieser Zeit, etwa zwischen 1830 und 1850, lebte hier unsere Familie, Dein Ur-Urgroßvater Gregor Slapszi, seine Frau Maria, seine Tochter Martha und Gustav, Dein Urgroßvater.

      Ich weiß nicht, ob und wie lange wir schon vorher in Krakau ansässig waren, das ließ sich nicht mehr feststellen, aber sicher belegt ist, dass Dein Ur-Ur-Großvater, Gregor Szlapszi bis zu seinem Tod im Jahr 1849 als preußischer Beamter in der Verwaltung in Krakau gearbeitet hat.

      Die alte polnische Königsstadt hatte damals schon eine wechselvolle Geschichte hinter sich, doch seit dem Wiener Kongress 1815 waren die Verhältnisse besonders verworren. Russland hatte ein Königreich Polen proklamiert, das weite Teile des polnischen Territoriums umfasste und zu dessen König sich der Zar selbst ernannt hatte. Österreich und Preußen konnten diesen Machtzuwachs des Zarenreiches nicht verhindern. Als es um Krakau ging waren sie jedoch unnachgiebig. Da alle drei Staaten gleichermaßen Anspruch auf die zweitälteste Universitätsstadt Mitteleuropas erhoben, kam als Kompromiss ein sehr künstliches Gebilde, die Republik Krakau zustande, die in den darauffolgenden Jahren immer wieder Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen wurde.

      Krakau wurde unter das Protektorat Österreichs, Russlands und Preußens gestellt. Die Betroffenen wurden nicht gefragt. Achtundachtzigtausend Menschen lebten damals in der Stadt, fast ausschließlich Polen. Die Amtssprache war polnisch, man dachte polnisch, fühlte sich polnisch und sehnte sich nach der Wiederherstellung des polnischen Nationalstaates, den die Großmächte mit seiner Zerschlagung zwischen 1772 und 1795 vernichtet hatten.

      In dieser Zeit zunehmender patriotischer Gesinnung entwickelte sich Krakau zu dem maßgeblichen Zentrum des polnischen nationalen Widerstandes.

      Gregor Szlapszi war einer der Beamten in preußischen Diensten.

      Die politische Lage in den 1840-er Jahren war eine hochexplosive Mischung und so war es auch nicht verwunderlich, dass es immer wieder zu Aufständen kam. Um der Revolten Herr zu werden, wurde die Polizei unter österreichische Leitung gestellt. Als das auch nichts half besetzten russische, österreichische und preußische Truppen Krakau. Die Soldaten befanden sich in einer Art Kriegszustand. Überall in der Stadt wurde patroulliert und kontrolliert, und wer sich verdächtig machte wurde verhaftet. Die Lebensverhältnisse waren sehr schwierig und sie wurden noch schwieriger.

      Im Februar 1846 konnte ein Volksaufstand nur von zusätzlich herbeieilenden österreichischen Truppen niedergeschlagen werden. Daraufhin lösten die drei Besatzungsmächte die Republik Krakau kurzerhand auf.

      In der Hoffnung, die Ruhe auf diesem Wege besser sicherstellen zu können, annektierte das Kaiserreich Österreich Krakau und gliederte die Stadt in das Kronland Galizien ein. Anfangs beruhigte sich die Lage, doch als die Österreicher 1849 die Burganlagen auf dem Wawel in eine Festung zum Schutz gegen die panslawischen Pläne der Russen, zu deren Grenze es nur ein paar Kilometer waren, umbauten, kam es erneut zu Unruhen.

      Auf dem Wawelhügel, einem Ausläufer des Tschenstochauer Juragebirges, hatte der polnische König residiert. Dort jetzt die verhassten Besatzungssoldaten zu sehen war eine Provokation für jeden patriotischen Polen. Täglich gab es Anschläge. Besonders die neu errichteten Kasernenmauern waren immer wieder Ziel von Aktionen.

      Die Auseinandersetzungen mit den polnischen Nationalisten und die Bedrohung durch die Russen in Verbindung mit der Sorge um einen Krieg, der in dieser Lage durchaus hätte ausbrechen können, machte unserer Familie das Leben noch schwerer. Sie lebten in ständiger Sorge um ihr Leben und ihre und ihrer Kinder Zukunft. So hatten sie noch ein Jahr zuvor als bekennende Katholiken völlig ungehindert die Kirche besuchen können, um gemeinsam mit den polnischen katholischen Gläubigen die Messe zu feiern. Dies war anders geworden. Man verwehrte ihnen als Glaubensbrüder den Eintritt zwar nicht, doch von einem freundlichen Miteinander konnte selbst in der Kirche keine Rede mehr sein, im Gegenteil, Hass schlug ihnen ständig, und sogar in der Kirche, entgegen.

      Gregor Szlapszi und seine Familie waren preußisch, sprachen deutsch und legten Wert auf ihre preußische Staatszugehörigkeit. Für die Polen gehörten sie der verhassten Minderheit einer Besatzungsmacht an. Was aber für Gregor Szlapszi und seine Familie noch schlimmer war; ihnen fehlte als Preußen auch der Rückhalt der österreichischen Behörden, die zuerst an die Sicherheit ihrer Landsleute dachten und die im Sinne ihrer Regierung handelten, wenn sie die Lebensverhältnisse preußischer Beamten nicht erleichterten, sondern eher noch erschwerten. Nachdem man Schlesien im Siebenjährigen Krieg vor nicht einmal hundert Jahren an Preußen verloren hatte, war man in Wien fest entschlossen, Galizien und Krakau, das seit der ersten Teilung Polens 1772 zu Österreich gehörte, der Habsburger Krone zu erhalten. Und wenn die preußischen Beamten weggingen, würden immer mehr Verwaltungsaufgaben österreichischen Staatsbediensteten zufallen. Etwaige Ansprüche aus Potsdam würden somit immer unwahrscheinlicher.

      Gregor Szlapszi verließ die Wohnung nur noch wenn es absolut notwendig war. Seiner Frau und den Kindern verbot er, die Wohnung zu verlassen. Morgens ging er, für eine Droschke fehlte ihm das Geld, aufmerksam seine Umgebung beobachtend, in die Gewerbekammer, wo er in der Abteilung für die Genehmigung und Überwachung gefährlicher Anlagen, wozu damals auch der Betrieb der Eisenbahn gehörte, tätig war.

      Gregor Szlapszi befand sich mit seiner Familie zwischen den Fronten. Trotzdem erfüllte er seinen Dienst mit preußischer Gründlichkeit. Im Herbst 1851 wurde

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