Und Gott schaut zu. Erich Szelersky

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Und Gott schaut zu - Erich Szelersky

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selbstgebaute Bombe in das Gebäude der Gewerbekammer warfen. Er war nur ein Opfer des Anschlags auf eine Einrichtung der preußischen Besatzer. Daraufhin entschloss sich Maria Szlapszi, mit den Kindern von Krakau wegzuziehen.

      Viele Möglichkeiten eines Umzuges gab es für sie nicht. Nur eines war für sie klar. Sie wollte ins preußische Hoheitsgebiet, und da bot sich Schlesien an. In Langenbielau lebte eine Cousine und so fiel ihre Entscheidung schnell. Sie verkaufte Möbel und Hausrat an Mendel Seligmann, einen jüdischen Händler, der im Krakauer Judenviertel lebte. Es spricht für die liberale Haltung der Krakauer Bevölkerung zu dieser Zeit, dass die jüdische Gemeinde eine eigene Synagoge und einen eigenen Friedhof hatte, die weder von der österreichischen noch von der napoleonischen Besatzungsmacht fünfzig Jahre zuvor angerührt worden waren. Mendel Seligmann war Kaufmann und hatte nichts zu verschenken, doch er erkannte die Not der Witwe mit ihren minderjährigen Kindern und zahlte etwas mehr als andere. Am Abreisetag packte Maria vier Koffer und ein paar Säcke zusammen und verließ das Haus mit Ziel Poststation, wo sie die Kutsche in die neue Heimat nehmen wollte. Die beschwerliche Reise auf den nur teilweise gepflasterten Straßen dauerte vier Tage.

      In Langenbielau wurden sie erwartet, denn Maria hatte ihre Ankunft in einem Brief angekündigt. Ihre Cousine stand an der Station als die Kutsche ihr Ziel erreichte. Ihre Begrüßung war herzlich und Maria glaubte sich in Geborgenheit. Endlich wieder, denn seit Gregors Tod hatte sie nur in Sorge gelebt, wie sie sich und ihre Kinder durchbringen sollte. Sie bekam eine Rente von der preußischen Regierung, aber die würde auf Dauer nicht reichen, um sich und die Kinder zu versorgen.

      Nach der Begrüßung nahm ihre Cousine ihr zwei Koffer ab und führte sie zu einem kleinen Gasthof.

      »Hier kannst Du wohnen. Ich habe Dir ein Zimmer bestellt.«

      Maria verschlug es die Sprache. Sie hatte erwartet, dass sie bei ihrer Cousine für eine kurze Zeit unterkommen würde, nicht lange, aber eben so lange, bis sie eine Lösung für sich und die Kinder gefunden hatte. Wortlos folgte sie in den Gasthof und betrat ihr Zimmer.

      »Macht fünf Silbergroschen in der Woche, im Voraus zu zahlen.«

      Übertölpelt entnahm Maria ihrem Portemonnaie fünf Groschen und zahlte den Mann aus. Dann verabschiedeten sich die Cousinen. Alleine mit den Kindern auf dem Zimmer kamen ihr die Tränen. Hier konnte sie nicht bleiben. Sie musste schnell eine Lösung finden.

      Am Tag darauf ging sie zum Haus ihrer Cousine. Auf ihr Klopfen öffnete ein kleines Mädchen von höchstens fünf Jahren die Türe. Maria erschrak. Dem Körper des Kindes konnte man ansehen, dass es schon länger nichts Ordentliches mehr gegessen hatte. Das Gesicht war ausgezehrt, die Augen lagen in tiefen, dunkel umränderten Höhlen und der Blick des Kindes zeugte von der großen Not, die es litt, ohne zu wissen, wie ihm eigentlich geschah. Es hielt seine Mutter ängstlich an der Hand und blickte sie wortlos an, und seine Blicke durchdrangen die Mutter bis in ihre Seele.

      Maria trat ein. Der Raum war dunkel. An der Wand stand ein Schrank und in einer Ecke war eine offene Feuerstelle, in der kein Feuer brannte, obwohl es schon Herbst und kalt war. Der Mann ihrer Cousine und ein kleiner Junge arbeiteten an den Webstühlen. Für einen Moment blickte der Mann hoch und betrachtete argwöhnisch den Gast, ohne ihm jedoch weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Aus der Dunkelheit der Stube löste sich die Gestalt des Jungen. Marias Cousine fasste auch ihn an die Hand. Dann gab sie Maria ein Zeichen, ihr in den hinteren Raum des Hauses zu folgen. Das kleine Mädchen und der Junge blieben ängstlich zurück. Durch die geschlossene Tür hörte Mariaden eintönigen Takt der Handwebstühle. Nachdem die beiden Frauen sich gesetzt hatten schauten sie sich wortlos an. Maria kam es vor, als würde sich das gesamte Elend dieser Welt in dem Blick ihrer Cousine konzentrieren. Sie wagte nicht, etwas zu sagen oder gar zu fragen, doch ihre Blicke waren Fragen genug.

      »Das hast Du nicht erwartet«, begann die Cousine, die sich von den fragenden Blicken aufgefordert fühlte, etwas erklären zu müssen.

      »Du musst nichts erklären.«

      Maria legte die Hand auf die Schulter ihrer Cousine.

      »Doch, Maria; wir sind arm. Das war nicht immer so. Sicher, wir hatten nie viel, aber wir konnten uns immer sattessen. Seit ein paar Jahren wird es immer schlechter. Wir arbeiten und arbeiten. Fritz ist neun und arbeitet wie ein Mann, zehn Stunden und mehr am Tag. Selbst Elisabeth hilft schon, obwohl sie erst fünf ist. Es bricht mir das Herz. Aber wie sollen wir sonst die Mengen schaffen, die Herr Dierig von uns verlangt.«

      Sie hielt inne, denn sie sah Marias fragenden Blick.

      »Die Firma Dierig gibt uns das Garn und die Wolle, und wir weben daraus Leinen und Wollstoffe. So war es immer schon, soweit ich zurückdenken kann. Vor ein paar Jahren aber wurden uns die Löhne gekürzt. Auf einmal bekamen wir nur noch die Hälfte von dem, was wir früher bekommen hatten. Sie sagten, dass sie auf die modernen Maschinen umstellen würden und die würden schneller und besser weben als wir. Wir haben uns zuerst geweigert, für diese Löhne zu weben, doch dann hatten wir gar nichts mehr. Du hast vielleicht das große Gebäude am Ortsrand gesehen. Das ist die Fabrik, die Dierig gebaut hat. Darin stehen Maschinenwebstühle. Ich habe gehört, da gibt es keinen Menschen mehr drin. Wie das funktionieren soll weiß ich nicht; so ganz ohne einen Menschen. Wir versuchen jetzt, genauso schnell zu sein wie die Maschinen. Wenn wir überleben wollen müssen wir doppelt so viel Stoff weben wie früher. Das ist aber nicht zu schaffen, auch wenn wir Tag und Nacht weben, und die Kinder auch. Maria; wir verhungern, obwohl wir fleißig sind. Glaub mir, ich war immer fleißig; der Herr soll‘s bezeugen, aber mehr können wir nicht.«

      Sie weinte. Maria nahm sie in den Arm und tröstete sie, obwohl sie selbst nicht wusste, was aus ihr und ihren Kindern werden würde.

      »Wir können Dich nicht aufnehmen. Es reicht nicht einmal für uns. Kannst Du mich verstehen?«

      Maria nickte.

      »Vor ein paar Jahren«, ihre Cousine schluchzte und die Worte kamen nur zögernd aus ihrem Mund, »haben die Männer sich gewehrt. Sie sind nach Peterswaldau zu der Fabrik von der Firma Zwanziger gezogen, weil der die Weber noch mehr ausbeutet und dazu noch lügt. Er sagte, dass er für unsere Stoffe nichts bekommt und uns deshalb auch nicht richtigen Lohn geben kann. Aber das stimmt nicht. Der Pfarrer hat gesagt, dass Zwanziger sich gebrüstet hätte, noch immer mit unseren Stoffen gut gegen die Maschinenware aus England bestehen zu können, weil wir bessere Qualität hätten. Da sind die Männer los und haben vor der Fabrik vom Zwanziger gestanden und gefordert, bessere Löhne zu bekommen. Wir sind hinterher und haben unseren Männern beigestanden. Auch Fritz war dabei; wie viele Kinder. Der Zwanziger hat aber nur die Polizei gerufen und die hat Soldaten geholt. Und die haben geschossen. Stell Dir vor, auf Kinder auch. Elf von uns sind tot geblieben, viele verletzt. Den Alois, das ist mein Mann, haben sie nach Breslau gebracht und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Wie einen Schwerverbrecher. Nach einem halben Jahr haben sie ihn raus gelassen gegen hundert Peitschenhiebe. Man kann heute noch die Narben auf seinem Rücken sehen.«

      Sie begann erneut zu weinen.

      Maria wollte sie trösten, doch ihre Cousine wandte sich ab.

      »Geh jetzt Maria, wir haben schon zu lange gesprochen. Ich muss wieder an die Arbeit.«

      Sie machte eine ungelenke Bewegung in Richtung der Stube, wo ein Webstuhl auf sie wartete.

      Maria stand auf und ging. Als sie die Stube zur Türe der kleinen Kate durchquerte spürte sie die Blicke, die sie verfolgten. Draußen vor dem Haus rang sie nach Luft. Es kam ihr vor, als müsste sie ersticken. Die Sorge um ihre Kinder machte sie halb wahnsinnig. Wohin? Was soll werden?

      Es hatte sich in dem Dorf schon herumgesprochen, dass eine Neue angekommen war. Die

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