Wo ist deine Heimat?. Andy Hermann
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Читать онлайн книгу Wo ist deine Heimat? - Andy Hermann страница 4
„Ich bin hier geboren“, erwiderte Ali mit leichten Unmut in der Stimme. „Mein Großvater ist aus der Türkei eingewandert, schon mein Vater ist hier geboren.“
„Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen, es hätte ein Kompliment sein sollen.“
Noch immer standen sie über ihre Räder gezwungenermaßen viel zu nahe zusammen. Vera überlegte, wie sie jetzt ohne peinliche Verrenkungen von ihrem Rad runterkäme ohne an Ali anzustreifen, da die Räder so ineinander verhakt waren, dass sie sie nicht auseinanderbekämen, ohne vorher abzusteigen.
Beide machten einige hilflose Versuche abzusteigen, ohne den jeweils anderen zu berühren, dann sahen sie sich an und mussten beide plötzlich lachen. Denn die Sache war ja zu komisch, wie sie da an der Straßenecke mit ihren Rädern verhakt standen und keinen Abstand einnehmen konnten. Wenn sie ein Bekannter so sähe, der würde sich was Schönes denken.
Endlich schaffte es Ali, seinen Fuß über den Sattel zu schwingen, ohne Vera dabei zu streifen. Nun war es auch ein Leichtes für Vera, sich von ihrem Rad zu befreien.
Nachdem sie ihre Räder getrennt hatten, ging es an die Schadensbesichtigung. Beide Vorderräder waren so kräftig verbogen, dass eine Weiterfahrt ohne Reparatur nicht möglich war. Und beide Räder waren bis eben fast fabrikneu gewesen.
Vera dachte an ihr Taschengeld, das würde teuer werden. Zwei neue Vorderräder waren zu bezahlen.
Aber von neuen Rädern wollte Ali nichts wissen, er habe einen Freund, der kenne jemanden in einer Fahrradwerkstatt, das sei kein Problem, die kriegen das hin.
Denn er wollte Vera wiedersehen, hatte aber keine Ahnung wie, und so war ihm die Fahrradwerkstatt eingefallen.
Vera wollte protestieren, aber warum, denn eigentlich wollte sie Ali auch wiedersehen, gestand sich den wahren Grund aber nicht ein.
Die Tennisstunde war ohnehin schon gelaufen, zu Fuß würde sie es nicht schaffen und direkten Bus gab es keinen. Sie schickte eine SMS an den Tennislehrer, in der sie einen Fahrraddefekt angab. Für den konnte sie ja schließlich nichts.
Ali hatte zur Elbe gewollt, um sich die großen Containerschiffe anzusehen, die dort ständig vorbeifuhren. Auf so einem Schiff wollte er einmal Offizier sein.
Vera und Ali schoben ihre Fahrräder dann nebeneinander her und gingen langsam in Richtung Veras Zuhause. Ali ging einfach neben ihr her und sie erzählten sich zwanglos aus ihrem Leben.
Irgendwie fand Vera, das könnte endlos so weitergehen. Doch bald waren sie vor ihrer Villa angekommen und Ali meinte beeindruckt: „Wow, in so einem Schloss wohnst du.“
Vera war peinlich berührt, denn sie dachte, eine solche Villa würden sich Alis Eltern vermutlich nie leisten können.
„Halb so wild, das Haus ist uralt, nur außen frisch gestrichen.“
„Du brauchst dich nicht zu verstecken, ich sehe doch, was ich sehe, den Garten, die Doppelgarage, den gepflegten Rasen und die Sonnenschirme, deine Eltern müssen reich sein.“
„Nein, nur wohlhabend, wir sind nicht reich, da gibt es ganz andere Villen“, wollte Vera ihren Luxus entkräften.
„Ich wäre auch gerne so reich“, entgegnete Ali entwaffnend ehrlich.
Dann verabredeten sie sich für den nächsten Tag wegen der Fahrradreparatur und Ali verabschiedete sich von Vera auf höflichste Art und Weise, so richtig altmodisch.
Vera schob ihr kaputtes Rad möglichst rasch und unauffällig in den Schuppen hinter dem Haus, wo die Räder und Gartengeräte aufbewahrt wurden und beschloss, möglichst nichts über Ali, den Unfall und die missglückte Tennisstunde zu Hause zu erzählen.
Kapitel 3
Ali hatte Wort gehalten und am nächsten Morgen das Rad von Vera mit einem kleinen Lieferwagen abgeholt. Ali war schon neunzehn und hatte den Führerschein. Er arbeitete nebenbei bei seinem Vater im Betrieb mit, wollte das Abitur aber irgendwann nachholen.
Sein Vater hatte einen kleinen Bäckerladen von seinem Vater, Alis Großvater, geerbt und diesen mit viel Fleiß und Geschick zu einer Bäckereikette mit zwanzig Filialen, verstreut im Großraum Hamburg, ausgebaut.
Alis Großvater war in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus Ostanatolien mit einem Gastarbeiterkontingent nach Deutschland gekommen und hatte als Arbeiter bei einer der großen Hamburger Werften begonnen. Vom einfachen Hilfsarbeiter hatte er es bis zum ausgebildeten Schweißer geschafft. Dann konnte er gesundheitlich nicht mehr, sein Rücken machte Probleme, er musste den gut bezahlten Schweißer Job aufgeben und erwarb mit seinem letzten Geld einen in Konkurs gegangenen Bäckerladen samt Backstube.
Da er zwar Schweißen gelernt hatte, aber nach zwanzig Jahren in Deutschland kaum Deutsch sprach, war der Bäckerladen nur für türkische Kunden interessant.
Aber in der Nachbarschaft gab es inzwischen genug türkischstämmige Einwanderer und das Geschäft blühte rasch auf.
Seine Frau, die er aus Anatolien hatte nachkommen lassen, war ihm dabei eine große Hilfe. Seine beiden Söhne und seine beiden Töchter halfen ebenfalls im Laden tatkräftig mit, so dass bald die Kunde in der Straße lief, bei ihm gebe es das beste türkische Fladenbrot und die süßesten Ciloglu und Halawa, eine Art süßen Aufstrich, weit und breit.
Hassan, als ältester Sohn und Vater von Ali, übernahm schließlich den Laden, als sich der Großvater zur Ruhe setzte und baute ihn mit viel Geschick und auch durch seine Verbindungen in der türkischen Community zu der ansehnlichen Bäckereikette aus, die es heute gibt.
Hassan hatte ein Gespür für das Geschäftliche, obwohl er nur die Bäckerlehre bei seinem Vater gemacht hatte. Aber er konnte schon besser Deutsch und mit dem Magistrat verhandeln, wenn es um die Genehmigung für weitere Filialen ging. Seinen Bruder und seine beiden Schwestern hatte er im Betrieb angestellt, aber Entscheidungen traf nur er alleine, denn er war ja jetzt der Familienälteste.
Ali war der älteste Sohn von Hassan und sollte natürlich einmal den Betrieb übernehmen, zeigte aber wenig Lust dazu. Er wollte viel mehr die Welt sehen und andere Länder kennen lernen.
Sein Vater wollte ihn im Geschäft sehen, das war praktischer, als nutzlos in der Welt herumzustreifen. Als Kaufmann könne er helfen, den Bäckereibetrieb größer zu machen, neue Filialen zu gründen und das Vermögen der Familie zu mehren.
Das alles und noch vieles mehr erzählte Ali Vera, wenn sie sich heimlich trafen. Denn es war eine merkwürdige Art von Beziehung zwischen den beiden entstanden.
Die Fahrräder waren bald repariert und niemandem in Veras Familie war aufgefallen, dass ihr Vorderrad kaputt gewesen war. Doch sie hatte Ali danach wiedersehen wollen und ihn ganz direkt nach seiner Mobilnummer gefragt, was diesen heftig verwirrt hatte. Denn dass ein Mädchen die Initiative ergriff, kam in seinem Umfeld einfach nicht vor. Mädchen hatten schön brav zu Hause zu bleiben und zu warteten, bis sie an der Reihe waren und verheiratet wurden.
Aber bei Vera war für Ali alles anders. Er freute sich darauf, mit ihr zusammen sein zu können und mit ihr einfach nur zu plaudern.
So saßen sie in den Ferien einfach Nachmittage lang zusammen am Elbstrand und unterhielten