Wo ist deine Heimat?. Andy Hermann

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Wo ist deine Heimat? - Andy Hermann Das Seelenkarussell

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aus der es für ihn kein Entrinnen mehr geben konnte.

      Kapitel 6

      Vera blinzelte und öffnete ganz langsam die Augen. „Wo bin ich“, murmelte sie undeutlich.

      Rings um sie war alles hell und weiß. Vera versuchte sich zu erinnern, was geschehen war, aber sie hatte irgendwie einen Filmriss. Sie wollte doch in die Innenstadt und sich mit ihrer Mutter zum Einkaufen treffen, aber wieso hat sie das nicht gemacht. Was war geschehen und wieso lag sie hier jetzt tatenlos herum. Ihr Kopf tat ihr weh und sie nahm ihre Umgebung wahr, wie durch einen Weichzeichner gefiltert. Alles wirkte gedämpft und wie in weiche Watte gepackt.

      Eine Tür ging auf und eine Frau in einem weißen Mantel kam herein.

      Vera erkannte in ihr eine Krankenschwester. Und als Vera jetzt den Kopf leicht drehte, sah sie die medizinische Ausrüstung, die man hinter ihrem Bett aufgebaut hatte. Mehrere miteinander wild verkabelte Monitore flimmerten und zeigten ihre Werte an. Blutdruck, Herzschlag und vieles mehr.

      „Ah, sehr gut, Sie wachen langsam auf“, erklärte die Schwester, „nur schön langsam, nicht überanstrengen“.

      „Wo bin ich, was ist passiert, ich kann mich nicht erinnern, wieso bin ich hier?“

      „Sie haben großes Glück gehabt, Sie haben nur eine Gehirnerschütterung und sonst keine Verletzungen, Sie werden in wenigen Tagen wieder heimgehen können.“ „Ach ja, Sie sind hier bei uns im Marienkrankenhaus, da sind Sie gut aufgehoben, wir kümmern uns um alles.“

      „Aber was ist passiert, warum habe ich eine Gehirnerschütterung?“, wollte Vera wissen.

      „Die Erinnerung kommt ganz langsam, nichts überstürzen, Sie müssen sich jetzt schonen“, lenkte die Schwester ab.

      Vera war viel zu erschöpft, um jetzt viele Fragen zu stellen. Sie gab sich mit der Erklärung der Schwester zufrieden. Und die Infusionslösung, an die man sie angeschlossen hatte, tat das ihre, um Vera in einen sanften traumlosen Dämmerschlaf zu geleiten.

      Als sie wieder die Augen öffnete, saß Georg, ihr Vater neben ihrem Bett. Er sah so ganz anders aus, als sonst. Vera kannte ihren Vater immer nur gepflegt und rasiert. Meistens trug er gutsitzende Anzüge mit altmodischen Schlipsen. Doch jetzt war er unrasiert und mit zerzaustem Haar. Er trug einen seiner uralten Segelpullover zur Jeans. So würde ihn Mama doch gar nicht aus dem Haus lassen, was war passiert.

      „Schön, dass es dir gut geht“, brachte ihr Vater hervor und versuchte ein Lächeln, welches ihm so gar nicht gelang.

      Nun war Vera plötzlich hellwach. Was war passiert, sie wollte es jetzt wissen.

      „Du hattest einen Unfall,“, erklärte ihr Vater, „du musst dich schonen.“

      Doch Veras Energien waren zurück und sie widersprach mit kräftiger werdender Stimme: „Ich will endlich wissen, was passiert ist, keiner sagt mir was und ich weiß nur, da war dieses überfüllte Einkaufszentrum, da wollte ich mich mit Mama treffen. Dann ist alles weg. Bin ich von einem Auto angefahren worden, erzähl´ endlich. Wie lange bin ich schon hier.“

      Ihr Vater sah ernst drein: „Jetzt ist Sonntagabend, du liegst seit Freitag hier. Du bist mit dem Kopf auf den Steinboden gekracht, sowas kann böse ausgehen, du hast echtes Glück gehabt.“

      Plötzlich hatte ihr Vater Tränen in den Augen, als er fortfuhr:“ Zehn Meter haben dir das Leben gerettet.“

      Vera spürte eine unbestimmte Angst in sich aufsteigen. Da war etwas, was ihre Kehle zuschnürte, man wollte ihr nicht alles sagen.

      „Wo ist Mama?“, fragte sie tonlos.

      Da setzte schlagartig ihre Erinnerung ein und sie sah das gelbe Ballkleid vor sich, dass ihr ihre Mutter hatte zeigen wollen. Und dann war sie davongerannt, und dann war der Erinnerungsfilm abgerissen.

      „Das Ballkleid, sie wollte mir das Ballkleid zeigen“, brachte Vera hervor und sah ihren Vater an, der seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.

      Er konnte nichts sagen, er brachte kein Wort heraus. Vera sah ihn entsetzt an und wusste Bescheid, sie würde ihre Mama nie wiedersehen.

      So vergingen lange Minuten des Schweigens. Vera hatte sich ins Kissen geworfen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Ihr Vater saß traurig neben dem Bett und dachte an Anke, die er nun endgültig verloren hatte.

      Sie hatten eine gute Ehe gehabt, sie hatten sich geliebt und vieles zusammen unternommen. Georg dachte an die gemeinsamen Segeltörns auf der Nordsee, die sie beide so geliebt hatten. Doch in den letzten Jahren waren sie beide viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Anke hatte ihre vielen Verpflichtungen, die ihr Leben so ganz auszufüllen schienen und war des Abends oft bei den karitativen und sozialen Veranstaltungen, die sie selbst mitorganisierte.

      Warum war das so gewesen, fragte sich Georg, dass sie in den letzten Jahren so wenig Zeit miteinander verbracht hatten.

      Es kam ihm nicht in den Sinn, dass Ankes Aktivitäten ihre Antwort auf seine Firmenkarriere war. Schließlich war er ständig durch Europa gejettet und hatte Geschäftsabschlüssen hinterhergejagt, die seiner Karriere dienlich und seinem Bonus nützlich waren. Dies hatte ihm Anfangs auch großen Spaß gemacht, er hatte sich wichtig und nützlich gefühlt. Schließlich sicherte und schuf er damit eine Menge Arbeitsplätze in der Niederlassung, die er leitete, und auch bei seinen Lieferanten. Doch irgendwann war das alles zur Last geworden, die er nicht abschütteln konnte, und dann musste er weitermachen, weil das einfach von ihm erwartet wurde. Gegenüber der Konzernleitung konnte man sich keine Schwäche erlauben und etwas in den Zielen zurückstecken. Da war eine Karriere dann sehr schnell zu Ende.

      Und jetzt saßen sie da und trauerten um Anke, die viel zu früh von ihnen gegangen war. Georg trauerte auch um die vielen verpassten Gelegenheiten, wo sie nichts miteinander unternommen hatten, da jeder nur „Seins“ im Kopf gehabt hatte.

      Schließlich hatte sich Vera wieder soweit gefangen, dass sie die unvermeidliche Frage stellen konnte: „Und wie ist es passiert“.

      „Ich weiß auch nichts Genaues, die Polizei ermittelt noch“, aber sehen wir nach“. Mit diesen Worten schaltete er den Fernsehapparat ein, der sich im Krankenzimmer befand.

      Es lief gerade eine Sondersendung. Es war ein Meer von Kerzen und Blumen am Rande der Hamburger Binnenalster zu sehen. Tausende Menschen mit brennenden Kerzen in der Hand hatten sich auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum versammelt und gedachten der zweiundfünfzig Toten, die dieser entsetzliche Terroranschlag mitten in der Weihnachtszeit gefordert hatte. Es sei der schlimmste Anschlag, der bisher je in Deutschland verübt worden ist, die Polizei fahndet unter Hochdruck nach den Hintermännern des Selbstmordattentäters.

      Sie schalteten auf einen anderen Kanal, dort das gleiche Bild, nur ein anderer Text des Kommentators.

      Sie schalteten auf den norddeutschen Nachrichtensender um. Der Sprecher brachte eben die neuesten Erkenntnisse der Ermittler: „Der Täter konnte nun von der Polizei identifiziert werden. Der Name wird wegen der laufenden Ermittlungen nicht bekanntgegeben. Es handelt sich um einen Deutschen, dessen Familie aus der Türkei stammt und in dritter Generation in Hamburg lebt. Nie ist von ihnen jemand durch Extremismus aufgefallen. Für die Polizei war der Täter bis zur Tat ein völlig unbeschriebenes Blatt. Es hat bisher noch keine Terrororganisation die Verantwortung für die Tat übernommen. Nach einem möglichen zweiten

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