Wo ist deine Heimat?. Andy Hermann
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Veras Bedenken wurden mit diesen Worten nicht zerstreut, stattdessen begann in ihr Panik aufzusteigen.
„Ich muss doch erst mal das Abitur machen und dann möchte ich Medizin studieren, da ist heiraten noch viel zu früh“, entgegnete sie mit schwacher Stimme.
„Wir heiraten erst, wenn du dein Abitur hast, das verspreche ich“, warf sich Ali in die Brust, „Mein Vater hat gesagt, Ausbildung ist wichtig. Ich habe kein Problem damit, wenn du das Abitur hast“. In Wahrheit dachte er „ich habe ein Problem damit“, sagte es aber nicht.
„Nächsten Freitag, da sind deine Eltern mit dir gemeinsam bei meinen Eltern eingeladen, damit wir uns kennenlernen können. Du wirst sehen, dann lösen sich alle Probleme ganz von alleine.“
Das war in einer Woche und am Montag davor begann für Vera wieder die Schule. Eine Sekunde lang dachte sie, was ihre Freundinnen wohl dazu sagten, wenn sie einen türkischen Verlobten hätte, der sie nach dem Abitur heiraten wolle. Was ihre Mutter dazu sagen würde, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Dann hatte sie sich wieder gefasst und wollte sichergehen, dass sie nichts falsch verstanden hatte.
„Du meinst also, wir sollten nach meinem Abitur so richtig heiraten, zusammenziehen und Kinder in die Welt setzen. Ist es das, was du mir heute sagen willst?“
Ali begann zu strahlen: „Genau, das wollte ich sagen, aber du hast das jetzt so schön zusammengefasst, viel besser als ich das kann.“
„Und darf ich das jetzt als dein JA verstehen“, hakte er nach.
„Und mein Medizinstudium?“, wollte Vera wissen.
„Kein Problem, wenn du zuhause bei den Kindern bist, hast du ja Zeit zum Studieren. Der Haushalt ist ja gleich erledigt, und wenn du Hilfe brauchst, dann hilft dir meine Mutter, die kennt sich mit Haushalten perfekt aus. Und Geld ist auch kein Problem, meine Eltern sind wohlhabend, und deine Eltern werden ja auch etwas beisteuern, das versteht sich ja von selbst, wenn die einzige Tochter unter den Schleier kommt.“
Das war jetzt eindeutig zu viel für Vera, hier wurde über ihr restliches Leben bestimmt, ohne dass sie überhaupt gefragt worden war, geschweige denn, dass sie hätte mitreden können.
„Ich komme noch lange nicht unter den Schleier, und unter einen türkischen schon gar nicht, und deinen Haushalt kannst du von deiner Mutter führen lassen, ich bin nicht deine Haushälterin“, begann Vera heftig zu werden.
Sie dachte, sie hätte Ali geliebt, aber was sie hier hörte, das klang doch zu sehr nach islamischem Mittelalter, und dabei hätte sie gedacht, Ali sei anders. Kein so ein islamischer Macho.
Sie war vom Tisch aufgestanden, bekam sich wieder unter Kontrolle und sah Ali ganz ernst an.
„Ich dachte, wir könnten zusammen sein, ohne großes Theater, einfach wir beide und sonst niemand. Damit wir uns näher kennenlernen und uns lieben können. Dann sehen wir ja, ob wir zusammenpassen, oder nicht. Ich will mich jetzt noch nicht fix binden, das hat doch noch Zeit bis nach meinem Studium. Ich meine heiraten, Kinder kriegen und all diese Sachen.“
Ali unterbrach sie: „Du liebst mich nicht, sonst würdest du versuchen, mich zu verstehen. Bei uns zählt die Tradition, es geht nicht, dass wir auf Dauer zusammen sind und unsere Familien kennen sich nicht, oder sind nicht einverstanden. Früher haben das alles nur die Eltern alleine entschieden, da hat der Bräutigam die Braut erst bei der Hochzeit das erste Mal gesehen. Meine Eltern sind da viel moderner, sie haben mir die Freiheit gelassen, dich kennen zu lernen und haben nichts dagegen gesagt und nichts verboten. Aber jetzt müssen wir die Sache offiziell machen, wenn du mich liebst, dann müssen wir verlobt sein und bald heiraten, so ist das einmal, das gehört sich so und das wird auch so bleiben.
„Aber ihr seid doch gar nicht so religiös“, warf Vera ein.
„Stimmt, wir gehen selten zum Freitagsgebet, aber Muslims sind wir schon. Das ist nicht nur die Religion, das ist unsere Tradition und unser Lebensstil, und dass ist es, worauf es ankommt. Ich bin Türke, und ich bin stolz darauf, auch wenn ich jetzt hier in Hamburg lebe. Und wenn du mit mir zusammen sein willst, dann musst du das schon akzeptieren. Ich gebe ja auch viel auf, ich verzichte auf den Schiffsoffizier und bleibe an Land bei dir. Ich arbeite in der Bäckerei und wir sehen uns jeden Tag, wenn ich nach Hause komme.“
„Ich dachte, du bist Deutscher“, entfuhr es Vera.
„Ja, auch, was die Staatsbürgerschaft betrifft, aber ich fühle mich immer noch der Türkei verbunden, denn meine Familie und alle Verwandten sind von dort, auch wenn viele jetzt hier leben. Wir sind nun einmal Türken und bleiben Türken.“
„Und du erwartest, dass ich meinen Lebensstil aufgebe und den türkischen ganz selbstverständlich annehme, nur weil das bei euch so Tradition ist“, erklärte Vera ganz ruhig.
„Wie die Familie lebt, bestimmt der Mann, das ist seit der Zeit des Propheten so, und das wird sich auch nicht ändern. Jeder bekommt seine Rolle und du kannst dich nicht beklagen, denn du bist schließlich ein Mädchen und das war immer so und wird immer so bleiben.“
„Schade, dass es so ist, und du es nicht ändern willst, ich hätte dir mehr zugetraut“, erwiderte Vera, in der ein Entschluss herangereift war.
„Aber das Gute an der Sache ist, dass du so ehrlich warst und die Wahrheit gesagt hast. Das erspart uns viele fruchtlose Diskussionen und Streit. Dafür mag ich dich und die Erinnerung an diesen Sommer, die kann uns niemand mehr nehmen.“
Zwei kleine Tränen rannen über die Wange von Vera. Es fiel ihr gewiss nicht leicht, aber es ging nicht anders. Alis Tradition ließ keine anderen Möglichkeiten zu.
„Aber jetzt trennen sich unsere Wege für immer, und ich wünsche dir von Herzen, dass du ein Mädchen aus der Türkei findest, die so ist, wie du dir das vorstellst. Ich bin es nicht.“
Ali war wie vor den Kopf geschlagen, damit hatte er nicht gerechnet, Vera wusste doch, dass er Türke und Muslim war, wieso plötzlich dieser Rückzieher. War er ihr etwa zu minder, gab es da noch jemanden anderen? Ali verstand die Welt nicht mehr und rief laut aus: „Vera, ich liebe dich, was habe ich falsch gemacht. Verlass mich nicht, ich brauche dich doch. Das kannst du doch nicht tun.“
Einige Gäste an den Nachbartischen drehten daraufhin ihre Köpfe in ihre Richtung.
Vera, die neben dem Tisch stand, an dem Ali noch immer saß, hoffte nur, dass es von den Nachbarn keine dummen Meldungen über Ausländer gäbe, doch da nichts weiter geschah, ließ das allgemeine Interesse auch gleich wieder nach.
Da Ali keine Anstalten machte, aufzustehen, bedankte sie sich für das Eis und steuerte auf den Ausgang zu.
Erst da sprang Ali auf, ließ einige Euro am Tisch liegen und lief ihr nach.
Draußen vor dem Lokal wollte er Vera aufhalten und hielt sie am Arm fest. Sie riss sich los und beschleunigte ihre Schritte. Ali war knapp hinter ihr. „Überleg es dir doch noch einmal“, rief er ihr nach.
„Hör auf, mich zu verfolgen, du machst es nur noch schlimmer“, zischte sie zurück.
Das sah Ali auch ein und blieb stehen, aber er hatte ja ihre Nummer, er konnte sie jederzeit anrufen.
Das tat er dann auch so häufig, dass zwei