Sag mal, Lara. Jasmin Schneider
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Zu ihren Hinterlassenschaften gehörte außerdem ein Stadthaus in München. Es war die Aufgabe der Hausverwaltung Umminger sich darum zu kümmern. Karl Umminger, ein älterer, überkorrekter Herr mit stark bayerischem Akzent, hatte seit gestern drei mal geschrieben. Seine Notizen enthielten nicht mehr als die Bitte, ihn so schnell wie möglich zurückzurufen. Lara seufzte. Ihre Arbeitszeiten hatten sich durch den Schuljahreswechsel von Mittwoch auf Montag verschoben. Aber das akzeptierte er offensichtlich ebenso wenig, wie ihre Entscheidung, den Dachstuhl des Münchener Hauses zu einem Penthouse umzubauen. Wieso war sie eigentlich trotz ihrer beträchtlichen Leibesfülle für die meisten Menschen unsichtbar?
»Braune Scheiße!«. Martin Born, unter den zwölf Leistungskursteilnehmern der älteste und einzig wirklich talentierte, schaute nicht von seinem schwarzen Skizzenbuch auf, als sich Lara schockiert zu ihm umdrehte. Wie üblich zeichnete und wischte er, ohne dabei auf die Verfärbung seiner Hände zu achten, die seit Beginn der Doppelstunde im Einsatz, bereits die Farbe des Nagellacks annahmen, der von seinen Nägeln pellte. Martin sonderte sich zu sehr von den anderen ab, als dass er wirklich Freunde unter ihnen gehabt hätte. Trotzdem folgte seiner Bemerkung ein erleichtertes Raunen.
Lara wusste nicht, wie sie reagieren sollte, nahm Luft, setzte zu sprechen an. Es machte nicht den geringsten Sinn, Rembrandts Werke zu verteidigen, wenn es eigentlich darum ging, den Unterrichtsfluss zu stören. Sie atmete wieder aus, ließ sich auf einen Stuhl in der Nähe nieder. »Theorie mag für Sie alle öde sein, aber diese Informationen sind notwendig für das Gelingen Ihres Abiturs«, begann sie, nur um wieder abzubrechen. Sie war die Lehrerin, sie musste ihre Arbeit nicht verteidigen, zumal sie sich wirklich Mühe gegeben hatte, ihren Vortrag interessant zu gestalten. Außerdem war es Born, der sie unterbrochen hatte, nicht die anderen. Auf ihn musste sie sich jetzt konzentrieren. »Was genau mögen Sie an Rembrandt nicht, Herr Born?«
Martin legte die Zeichenkohle beiseite und betrachtete sein Werk, bevor er es mit Löschpapier abdeckte. Seine Finger rieb er an der Innenseite des grauen Kapuzenpulli sauber, den er über einer abgewetzten Jeans trug. Dann lehnte er sich weit im Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Rembrandt«, antwortete er selbstsicher, »ich finde Rembrandt komplett Scheiße, Frau Morgenstern, braune Scheiße, um genau zu sein«, er nahm die Arme wieder nach vorne, schlug eine neue Seite in seinem Skizzenbuch auf und begann, erneut darin zu kritzeln. »Kein Wunder, dass ihm alle weggestorben sind«, fügte er hinzu. Die meisten seiner Mitschüler lachten. Nur ein paar Mädchen rollten mit den Augen.
Laras gequälter Gesichtsausdruck lichtete sich. Mit der letzten Bemerkung konnte sie etwas anfangen. Vielleicht würde sie Martins Interesse an ihrem Vortrag doch noch wecken können, indem sie ihn mit einbezog. »Herr Born«, begann sie und stand auf, um an seinen Tisch zu treten, »dafür, dass Sie Rembrandt SCHEISSE…«, das Wort betonte sie, als bekäme sie davon eine Krankheit, »… finden, wissen Sie aber ziemlich viel über ihn.« Sie räusperte sich, eine hilflose Geste, und betrachtete Martins neue Skizze.
Ohne Mühe erkannte sie in den wenigen Strichen auf dem Papier Rembrandts Portrait auf einem massigen Frauenkörper in einem korrekten Zweiteiler. Sie wurde rot. Den Dutt hätte Rembrandt gar nicht gebraucht, man hätte auch so sofort auf Lara Morgenstern getippt.
Born machte sich nicht die Mühe, die Zeichnung zu verstecken. Im Gegenteil. Er schaute sie aus seinen mit Kajalresten beschmierten Augen an. Sie waren so braun wie ihre eigenen. Lara schluckte, überlegte tapfer. Sie musste irgend etwas sagen. »Das Gesicht haben Sie gut getroffen, Herr Born«, presste sie schließlich hervor. Immerhin ein guter Konter.
Borns Tischnachbar lachte unverhohlen.
»Vielen Dank Frau Morgenstern«, antwortete Born belustigt, ließ vom Büchlein ab und setzte sich wieder breit grinsend in seinem Stuhl zurück. Blonde Haare mit dunklerem herauswachsendem Ansatz verdeckten sein linkes Auge. Frau Morgenstern hatte er nun schon zum zweiten Mal besonders betont.
Ihr war bewusst, sie hätte besser den Mund gehalten. Doch war es eben diese Einsicht, die sie dazu brachte, ohne Verstand drauf los zu quatschen, während sie mit hinter dem Rücken verschränkten Armen zurück nach vorne schritt. »Herr Born«, hörte sie sich sagen und wusste nicht, wie der Satz weiter gehen sollte, »sehen Sie, Rembrandt…«
»Herr van Rijn«, unterbrach er sie, »oder besser noch Herr Rembrandt Harmenzoon van Rijn, wenn es edel klingen soll, Frau Morgenstern.« – wieder diese Betonung – »Sie nennen mich ja auch nicht Martin.« Großes Gelächter. Lara war stehen geblieben, drehte sich aber noch nicht nach ihm um. Martin nutzte die Zeit um hinzuzufügen, »keiner Ihrer Kollegen tut so affig, nur Sie, Frau Morgenstern.«
Die Zustimmung, die Martin durch einige der Mitschüler zuteil wurde, verärgerte Lara nun doch. Sie zog die Augen eng, wandte sich um und gab scharf zurück: »Vielleicht liegt es daran, dass ich Rembrandt als Freund bezeichnen würde, Herr Born.«
Wieder Lachen, jemand sagte »Action!«, und machte ein klackendes Geräusch. Lara kam sich vor wie in einem Zirkus. Wie konnte sie sich nur so eine Blöße geben?
Born hüstelte gekünstelt. Ein Anflug von Spott klebte in seinen Mundwinkeln. Mit der Präzision eines erfahrenen Jägers platzierte er seinen Blattschuss. »Tja Frau Morgenstern, wenn Sie auch sonst niemanden haben…«.
Das türkische Bistro Antalja in der Danziger Straße 168 verdankte den großen Andrang seinem geschäftstüchtigen Besitzer Sadum Umut, der nach dem Tod seines Vaters Sedettin das Oberhaupt einer fünfköpfigen Familie geworden war. Er war der einzige Sohn Sedettins, dem sonst nur Töchter und ein Gemüseladen in der Rheinstraße in Berlin-Steglitz beschieden waren. Anders als sein Vater es gut geheißen hätte, war Sadum unverheiratet und nur wenig an seinen türkischen Landsmänninnen interessiert. Deshalb hatte er vor ein paar Jahren sein Bistro-Projekt im Prenzlauer Berg verwirklicht, weil er sich hier einerseits bessere Chancen, weil weniger Konkurrenz, und andererseits frische deutsche Mädchen ausmalte. Vor allem die vielen Studentinnen hier oben, die im Sommer leicht bekleidet sein Bistro aufsuchten, hatten es Sadum angetan. Einer von ihnen war er eine Zeit lang nachgestiegen. Sie hieß Hanna, war mittelgroß und ganz schlank mit kleinem, süßen Busen und studierte Psychologie, was Sadum sehr erregte. Er hatte sich vorstellen müssen, wie dieses Mädchen in ihn hineinsehen konnte während sie es taten.
Leider hatte Hanna niemals angebissen, doch statt ihrer stand irgendwann ihre schlechte Kopie vor ihm und fragte, ob er Hilfe in der Küche gebrauchen könne. Diese andere Hanna studierte gar nichts, sondern schlug sich mit einem Balg und Sozialhilfe durch ein kleines schmutziges Leben weiter unten in der Nähe der Bötzowstraße. Sie schien auch leichter zu haben als seine Studentin und so nickte er bloß, obwohl seine Schwester Mahfer Hilfe genug war und zudem kaum etwas kostete. Aber dafür zeigte die ihm auch nicht ihre Titten, wenn sie hinten im Kühl- und Lagerraum ihr eigenes Shirt auszog und das mit dem Aufdruck »Bistro Antalja« überstreifte.
Sadum genoss eben diesen den Anblick, als die Hannakopie schnarrte: »Du sollst nicht immer so glotzen! Hast wohl noch nie Titten gesehen, he!?«
Zu ihm hingedreht hob das Mädchen sein Shirt erneut und legte einen hübsch geformten Busen über einer hervorstehenden Rippenpartie und einem nach innen gewölbten Bauch frei. Sadum liebte es, wie sich ihre Riesennippel in der Kühlkammer zusammenzogen. Er biss sich auf die Unterlippe. Ihm war das keinesfalls peinlich. Frauen wie die da waren es nicht wert, dass man sich abwandte. Es waren Schlampen und so musste man sie behandeln.
Jackie ließ ihr Shirt wieder fallen und wollte an Sadum vorbei hinaus gehen, aber er versperrte ihr den Weg. »Halt!«, gebot er und hob seine rechte Hand wie ein Verkehrspolizist.
»Vergiss