Sag mal, Lara. Jasmin Schneider

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Sag mal, Lara - Jasmin Schneider

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alles, denn da war ja noch Jonnie. Aber in zwei oder drei Jahren konnte man den auch schon mal allein lassen.

      Momentan störte aber nach wie vor die Alte vom Jugendamt Jackies Träume. Wie ein Bluthund wachte Sabine Kaiser darüber, dass Jackie auch ja keinen Spaß am Leben hatte. Nicht genug, dass sie und Jonnie jeden Montag diese alberne Gruppe besuchen mussten, nein! Einmal im Monat musste Jackie auch noch in ein Röhrchen pinkeln. Wenn die Schweine einen akuten Verdacht hatten, zapften sie ihr sogar Blut ab. Es war echt wie im Mittelalter oder so.

      »Wenn du nicht reich bist, behandeln die dich wie einen Sklaven«, hatte Daniel damals schon immer gesagt. Daniel war der heißeste Jonnie-Vater-Anwärter. »Kaum hammse dich aufm Kieker und schon musste innen Röhrchen schiffen.«

      Er hatte Recht behalten. Aber Daniel war ja sowieso super intelligent gewesen. Was der alles gelesen hatte! Solschenizyn, Karl Jaspers, Jim Morrison und so. Jackie war sich immer ganz blöd bei ihm vorgekommen, aber er hat sie nie aufgezogen deshalb.

      »Bist ja noch jung, Kleine«, hat er immer gesagt und sie in den Arm genommen.

      Überhaupt war Daniel so ganz anders als alle Jungs, die Jackie bis dahin kennengelernt hatte. Nicht gerade stark, dafür aber so zärtlich, dass ihr immer ganz anders wurde, wenn er sie berührte. Damals, in der Kurfürstenstraße, haben sie alle Mädels um ihn beneidet. Jeden Abend hat er sie dort abgeholt und zu einem Döner eingeladen. Dabei hat er ihr seine Gedichte vorgelesen und gesagt, sie sei zu gut für die Arbeit, die sie da machte. Aber sie brauchte eben das Geld. Geile, alte Böcke gab es wie Sand am Meer und Jackie war immerhin selbständig.

      Das leuchtete Daniel ein. »Echte Künstler gehen auch erst mal durch die Scheiße«, war seine Antwort und Jackie fühlte sich verstanden. »Nur so finden sie die Erleuchtung!«

      Später erweiterte Daniel seinen Horizont am liebsten mit Speedball, einer Mischung aus Koks und Heroin. Das Zeug wurde gespritzt, weshalb er es anfangs auch nicht so häufig tun wollte. »Wenn du erst mal auf dem Zeug drauf bist«, hatte er gesagt, »ist alles zu spät, Jack, dann kaschen sie dich und das Spiel ist aus.«

      Auch da hatte Daniel Recht behalten. Er war losgezogen, um ihnen beiden einen Schuss zu besorgen, als das Abbruchhaus in der Köpenicker gestürmt wurde. Jackie konnte nicht mehr abhauen, weil sie so sehr was brauchte. Sie brachten sie in eine Entzugsklinik und erklärten ihr hinterher, sie sei schwanger.

      Die Kaiser hatte ihr angeboten, das Baby zur Adoption frei zu geben. Aber da Jonnie das Einzige war, das Jackie von Daniel geblieben war, entschied sie sich clean zu bleiben. Und so steckte man sie zusammen mit dem Jungen in ein Mutter-Kind-Programm. Bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag lebte Jackie mit anderen jungen Müttern und deren Kindern auf einer Art Bauernhof in der Lausitz, wo sie alle Frondienst leisten mussten und lernten, wie man Kinder erzieht.

      Jonnie war einfach zu erziehen gewesen, er war schon immer ziemlich still. Aber er wuchs von Anfang an nicht richtig. Außerdem war er total oft krank. Die Ärzte führten seine schlechte Konstitution natürlich auf Jackies Drogenkonsum zurück. Angeblich hätte ja auch das Kind den Entzug mitgemacht, hieß es, so ein Esokram von der Jugendamtsfraktion halt.

      Daniels Teddyaugen hatte Jonnie leider nicht geerbt. Er hatte typische Baehr-Augen. So leicht hervortretende Murmeln, die in einer Art Hauttasche steckten und wie durch ein Wunder nicht heraus fielen. Wenn Jonnie sie bewegte, zuckte der Hautsack um die Murmeln und das sah dann aus wie bei einem Gecko. Und Geckos fand Jackie unheimlich süß.

      Der Grund, aus dem Lara Morgenstern es an diesem Samstag schaffte, bis um acht im Bett zu bleiben, lag auf der Hand. Sie hatte nicht die geringste Lust, den Anruf zu tätigen, der heute anstand. Um ihn weiter hinaus zu zögern, stand sie auf und begann mit ihrer Morgenroutine: Rechner starten, den Kaffeeautomaten einschalten und während die Technik ihre Arbeit verrichtete, duschen. Doch anstatt wie wochentags Emails zu beantworten, verschwand sie mit ihrem Kaffee und nassem Haar im Atelier.

      Eines ihrer so genannten Schichtenbilder war inzwischen so weit getrocknet, dass sie weiter daran arbeiten konnte. Alle ihre Werke, darunter auch Plastiken, bestanden aus Schichten. Schichten, die sie zerschnitt, zerwühlte, filigran frei legte oder aus denen sie mit bloßen Händen Stücke herausriss. In Laras sonst so geregelten Leben war ihre Kunst Ausdruck einer wilden Seite, die sie sich nach außen niemals zu leben getraut hätte.

      Sie arbeitete mehr als zwei Stunden, als es plötzlich klingelte. Zerzaust und selbst einem ihrer Gemälde ähnelnd, lief sie aus dem Atelier und durch das Wohnzimmer zur Wechselsprechanlage. Unten meldete sich niemand, dafür klopfte jemand an die Tür.

      Es war Robert – im Trainingsanzug. »Überraschung!«, jubelte er, küsste sie flüchtig und zog sie ins Schlafzimmer. »Wir müssen uns beeilen, sie glaubt, ich jogge.«

      Lara hasste solche Besuche. Sie trugen nur dazu bei, dass er sich hinterher besser, sie sich dafür aber noch einsamer fühlte.

      Bei einem seiner letzten Besuche dieser Art – es war an einem Wochentag vor etwa zwei Monaten – hatte er außerdem etwas getan, was Lara nachhaltig erschreckte. Nach vollbrachter Mission eröffnete er pfeifend, er habe den dritten Hinterhof von den Fahrrädern befreit, die sonst immer den Eingang zu Laras Aufgang blockierten.

      Lara erinnerte sich, wie ihr unter der Dusche schwarz vor Augen wurde. Sie wollte gar nicht so genau wissen, was Robert getan hatte, fragte aber dennoch, wie genau er das angestellt hatte.

      Robert legte ihr fürsorglich ein großes Badetuch um die Schultern, nachdem sie das Wasser in der Dusche abgestellt hatte. Erst dann lachte er unangenehm auf, schnippte mit den Fingern und meinte: »Na einfach so halt«, und ließ seinen rechten Arm durch die Luft segeln.

      Durch zehn Minuten Zärtlichkeiten hatte sie sich danach noch quälen müssen, bis er endlich gegangen war und sie sich hinunter in den Hof schleichen konnte. Darauf bedacht, nicht gesehen zu werden, glitt sie leise an der Wand vorbei und spähte mit angehaltenem Atem in die Hofeinfahrt. Es war tatsächlich kein Fahrrad mehr zu sehen. Sie pirschte weiter und schaute um die nächste Ecke. Und da lagen sie. Zu einem Berg gestapelt. Die Tat eines Wahnsinnigen!

      Laras Herz war kurz vor einen Stillstand. Schuld an dieser niederträchtigen Rache war doch sie allein! Hatte sie sich nicht bei ihm darüber beschwert, dass Nachbarn und vor allem die Angestellten aus den Büros ihre Fahrräder ohne Sinn und Verstand vor ihrem Eingang abstellten? Ganz so als sei sie überhaupt nicht da? Hatte sie sich nicht darüber so aufgeregt, dass sie schließlich geweint hat?

      Mehr mit dieser Erinnerung als mit Robert beschäftigt, brachte sie den Akt hinter sich, den sie heute trotz allem besonders befriedigend empfand. Hinterher schämte sie sich dafür, aber das war nichts Neues. Sie musste bloß noch mal kurz in die Wanne und alles wäre wieder in bester Ordnung.

      »Woran denkst du?«. Den nackten Oberkörper auf einen Ellenbogen gestützt, sah Robert sie zärtlich an.

      »An nichts«, log sie und wollte aufstehen.

      Er hielt sie am Arm fest und zog sie wieder zu sich. »Du hast abgenommen, weißt du das?«

      Lara lächelte. »Findest du?«

      »Finde ich. Seit der Sache mit den Fahrrädern.«

      Konnte er Gedanken lesen? Sie wurde rot.

      Er küsste sie sanft. »Leider muss ich jetzt wieder los.«

      Sie nickte, schaute geduldig zu, wie er sich anzog.

      »Hat dich eigentlich mal jemand auf die Sache angesprochen?«

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