Sag mal, Lara. Jasmin Schneider

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Sag mal, Lara - Jasmin Schneider

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und ins Bad zu schlüpfen. »Soweit ich weiß, verdächtigen sie den Journalisten aus dem zweiten Stock«, informierte sie ihn auf dem Weg.

      »Den Alki?«, Robert lachte gehässig – und verschwand.

      Ein Telefon klingelte. Nein, eigentlich war es kein Klingeln, es glich mehr einem Jaulen. Es war als dränge die scharfe Klinge eines Messers in einen Klumpen Watte ein. Und wieder… und wieder… und wieder. In ihrem Kopf klopfte es, die Funken in den geschlossenen Augen tanzten. Ihr war schlecht, der Geschmack im Mund wenig verheißungsvoll. Carla Morgenstern hoffte nur, ihr Kopf möge nicht zerplatzen.

      Langsam erhob sie sich, das Gesicht verzerrt wie nach einem schrecklichen Unfall. Hatte sie vergessen, den Anrufbeantworter einzuschalten? Ihr schwindelte und Speichel schoss in ihren trockenen Mund. Wenn sie diese Pfütze hinunterschluckte, musste sie kotzen.

      Carla war nackt. Ihr ausgemergelter Körper hing grau und faltig an ihrem Hals, kaum die Kraft wert, sich aufzurichten. Sie tastete nach dem Glas auf ihrem Nachttisch und spie den abgestandenen Speichel hinein. Angewidert beobachtete sie, wie er sich mit dem Rotweinrest vermischte.

      Wo war dieser beschissene Hörer? Sie schaute sich blinzelnd um. Ein paar Meter vom Bett entfernt, lag er auf der Erde. Ihr war wirklich hundeelend. Das Karussell in ihrem Magen erreichte gleich seinen Höhepunkt. Wenn es nur nicht aus ihr herausbrach, dann war alles gut. Man musste nur die ersten zehn Minuten des Tages überstehen, den Rest schaffte man dann irgendwie.

      Sie glitt vorsichtig zu Boden, wo sie auf allen vieren in die Richtung des Telefonterrors kroch. Ihre knochige rechte Hand mit den langen, gepflegten Fingernägeln, ergriff das Mobilteil. Carla ließ sich seitlich fallen.

      »Morgenstern«, raunte sie unfreundlich.

      »Hallo Mama«, antwortete es kaum hörbar. Räuspern. Noch ein Räuspern.

      »Lara«, stellte Carla fest und verfluchte ihre Stimme. Sie klang wie ein Reibeisen. Die Stimme einer alternden Bardame. Und so kalt, dass es sie selbst fröstelte.

      »Ja.«

      Stille.

      Carla Morgenstern erhob sich langsam vom Boden. Sie wollte sich aufsetzen, aber ihr wurde schwarz vor Augen und sie fiel wieder zurück. Dabei knallte ihr Kopf auf etwas, das am Boden lag. Sie fluchte laut in Italienisch, ihrer Muttersprache.

      »Was ist passiert?«

      Carla war nicht nach Antworten, sie rollte auf den Bauch und kam mithilfe ihres freien Arms zum sitzen. Sie musste mal.

      »Hallo?«

      »Ja doch!«, schon wieder so unfreundlich.

      Mühsam kam sie auf die Füße. Nur nicht auf den rebellierenden Kreislauf achten, das Vakuum im Kopf ignorieren, den Schmerz unter ihren Zehen… einfach nur aufstellen und tief atmen.

      »Mama?«

      »Jaja«, sagte Carla nun ein wenig milder, wie sie fand.

      Sie versuchte sogar zu lächeln, was aber nicht gelang, als sie einen Blick auf ihren nackten Körper im Spiegel gegenüber erhaschte. Carla hasste Spiegel.

      »Mama, was ist nun?«

      »Ich habe mir Geld vom Geschäftskonto überwiesen«, antwortete Carla auf dem Weg ins Badezimmer, »mein Auto.« Drüben roch es sauer. Offenbar war sie schon einmal hier gewesen.

      »Tatsächlich…«, Laras Stimme klang nicht im geringsten vorwurfsvoll, trotzdem ärgerte sich Carla.

      »Es ist auch mein Geld«, schnappte sie gereizt. Wenn sie sich ärgerte, hörte man auch heute noch ihren italienischen Akzent. Sie mochte das.

      Dann setzte sie ihren nackten Körper auf die Toilette, wo sie in aller Ruhe ihre Blase entleerte. Ja, das hasste ihre Tochter! Und Carla grinste verschlagen.

      »Mama«, Lara sprach nicht weiter. Man konnte ihre Scham aus dem Hörer kriechen sehen.

      Ganz das Verhalten der Morgensterns, dachte Carla verächtlich und sah ihre Schwiegermutter Lieselotte vor sich. Groß, hager, fast burschikos, lange schmale Finger, honigfarbenes, wassergewelltes Haar, blaue Augen – eine typische Preußin, penibel zurecht gemacht und von allem Menschlichen peinlich berührt. Lara mochte etwa vier mal Lottes Umfang haben, aber diese Art der Morgensterns, die konnte sie nicht wegessen.

      »Ja bitte?«, näselte Carla theatralisch und zog den Abzug, »wie meinen?«, dann lachte sie scharf, doch als sie daran war, den Hörer an den Nachlauf zu halten, tat es ihr plötzlich leid so schäbig zu sein.

      »Ach Scheiße, Lara, entschuldige«, hastig rannte sie aus dem Bad hinaus auf den Korridor. »Ich brauche neue Reifen für den Winter, muss zur Inspektion, das Übliche halt.«

      »Schon, Mama, es ist nur…«, wieder brach sie ab.

      »Was ist?«, Carla köchelte schon wieder. Wieso konnte sie nicht einmal mit ihrem eigenen Kind reden ohne sich dermaßen aufzuregen? Ihre Familie würde sich ihrer schämen.

      Lara seufzte und nahm ein paar Mal tief Luft. »Na ja, es wäre schön gewesen, wenn du mir vorher Bescheid gegeben hättest, das ist alles.«

      Jetzt ärgerte sie sich noch mehr. »Es ist auch mein Geld, Lara! Erinnerst du dich? Der Typ, der damals den Unfall hatte… du warst, glaube ich, dabei« - eine bittere Pause, »Rudolf Morgenstern, das war mein Mann! Alles klar?«

      »Ja, ich habe überlebt, schon klar«, Laras Stimme versagte.

      Carla spürte einen Stich im Herzen. Eigentlich war das einer der Sätze, den sie endgültig aus ihrem Repertoire streichen wollte. Aber in Situationen wie dieser, konnte sie meist nicht anders. Sie brauchte ihre ganze Kraft, Lara nicht offen die Schuld an seinem Unfall zu geben. Hätte die dumme Kuh nicht dringend Eislaufen müssen, dann wäre das alles niemals passiert. Aber wie sagte ihr Therapeut so schön? Das Kind kann nichts dafür, der Vater ist einem Tier ausgewichen und mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Brückenpfeiler gedonnert. Er war sofort tot. Das Kind hatten sie retten können.

      Carla schluckte schwer. Ihr Herz brannte noch immer, wenn sie daran dachte, es tat weh – auch jetzt noch, nach neunundzwanzig Jahren.

      Aus dem Telefonhörer in ihrer Hand tönte das Besetztzeichen, neben ihrem Herzen das einzige Geräusch, das sie in diesem Moment wahrnahm. Die Frage war nicht, wie lange sie das noch aushielt, die Frage war, wozu sie es tat. Nicht, dass Lara sich selbst und ihre Bedürfnisse jemals vor die eines anderen Menschen gestellt hätte – bestimmt nicht – aber sie merkte ganz tief drinnen, dass etwas nicht stimmte. Ganz kurz nach dem letzten Mal, als sie merkte, dass etwas nicht stimmte, fand sie sich in einer Klinik wieder. Man hatte sie ruhig gestellt und an ein Bett gebunden. Ihre Freundin Renate erzählte ihr später, sie habe wild um sich geschlagen, und nicht mehr aufgehört zu weinen. Renate und Lotte Morgenstern seien deshalb zu dem Entschluss gekommen, es sei besser den Notarzt zu verständigen. Die damals zehnjährige Lara durfte ganze vier Monate nicht mehr nach Hause.

      Es war nicht auszudenken, was geschah, wenn ihr das heutzutage passierte! Mit dem Gewicht in der Öffentlichkeit zusammenzubrechen und weinend um sich zu schlagen, machte vielleicht eine Ruhigstellung, aber sicher keinen Abtransport möglich.

      Es hatte geklingelt. Schon dreimal. Ganz mechanisch drückte Lara den Türöffner. Sie wartete in

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