Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2. Harald Hartmann

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Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2 - Harald Hartmann

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ins Möbelmuseum zu tragen. Ich sah, dass sie im Laufe der Jahre älter geworden waren. Sie waren zwar immer noch ebenso stark wie behaart, aber es war nicht zu übersehen, dass die Zeit an ihnen genagt hatte und vielleicht nicht nur die.

      Mit wichtiger Miene und einigen beeindruckenden Bewegungen meines Hüftgelenks bereitete ich mich auf meinen selbst ausgedachten Ministerpräsidentensprung in die Sänfte vor. Keiner der vier starken Burschen schenkte mir auch nur die geringste Beachtung. Wie immer gab es Wichtigeres, im Kreis stehen und rauchen, natürlich, so wie es sich gehörte für starke Burschen. Das beruhigte mich sehr, denn ich hatte nicht vor, mich auf irgendwelche neumodischen Sitten einzulassen. So etwas würde mich beim Regieren nur stören. Ich konzentrierte mich also ganz auf den Moment des blitzartigen Einfahrens dieses Sprunges in die untrainierten Muskeln meines nun nicht mehr toten Körpers. Leider war diese ganze Konzentrierei vergeblich. Denn der Blitzartige kam nicht, genau wie damals, als ich ihn ungeduldig mit einer roten Hose in der Hand auf dem Bahnsteig erwartete, und er mich hängen ließ. Ich war jetzt schon gespannt auf seine Ausrede, wenn er mir irgendwann einmal wieder über den Weg laufen würde. Ich war nämlich nicht nur ein großer Freund des blitzartigen Sprunges, sondern auch ein leidenschaftlicher Sammler von Ausreden aller Art. Ganze Aktenordner hatte ich damals, in meinem vorigen Leben, mit ihnen gefüllt. Die Vorteile einer solchen Sammlung überwogen bei weitem das Gewicht des Papiers, auf dem sie niedergeschrieben war, und speziell in meinem Beruf wogen diese Vorteile noch einmal besonders, weil zusätzlich ein Bonus obendrauf kam, dessen Höhe ich selbst bestimmen konnte. Ihr Wert war also unabsehbar.

      Also sprang ich natürlich nicht, was ja ohne den unentschuldigt fehlenden Blitzartigen auch gar nicht möglich war, sondern nahm ein Taxi bis zur Sänfte. Ich ließ mir eine Quittung geben, denn es handelte sich hier eindeutig um eine Dienstfahrt, und die konnte ich selbstverständlich von der Steuer absetzen. Ganz korrekt. Um diesen unangenehmen Zustand fortgeschrittener Korrektheit jedoch zu vermeiden, aß ich die Quittung auf, ohne auch nur mit der Wimper zu zögern. Das versetzte mich augenblicklich in einen Zustand ungezügelter, finanzieller Meditation. So gestärkt, konnte ich den Weg zur Sänfte selbständig fortsetzen, nachdem ich das Taxi verlassen hatte.

      Ruckartig öffnete ich die Tür der altmodischen Sänfte, um die Sau heraus zu lassen. Der Überraschungsfaktor lag im niedrigen einstelligen Bereich. Sie wusste nicht so recht. Es war ein schon etwas älteres Tier, immerhin aber war die Sau elegant gekleidet und von solch dicker Rippe, dass man sich alle Finger danach leckte. Ich gönnte ihr die Freiheit, doch sie war misstrauisch und wollte erst mal nicht heraus. Ich konnte sie gut verstehen. Sie hatte sicher zu lange in Sänften gelebt, und wusste nicht, warum sie sich auf die gefährliche Freiheit einlassen sollte. Ich ließ mich aber nicht erweichen und trieb sie ins offene Messer der Freiheit. Auch für eine Sau gab es keine Extrawurst. Vor der Freiheit waren eben alle gleich. Meine ehrlichen Worte hatten sie zutiefst überzeugt. Sie war ungewöhnlich schnell sehr klug geworden. Vor ihr musste ich mich in acht nehmen.

      Ich dachte kurz daran, ihr einen Ministerposten in meiner Regierung zu geben, aber ich wollte auch nichts überstürzen. Für meine Zwecke war es besser, noch zu warten, und sie im Gatter der Freiheit zu hüten, bis ich sie wirklich ganz gezielt einsetzen konnte, wenn ich einmal Persönlichkeiten von kräftiger Statur brauchte, zum Beispiel, um einen Minister in Urlaub zu schicken, der gar nicht Urlaub machen wollte. Mit einem Wort: Die Sau war mein As im Ärmel. Das gab mir ein unbeschreibliches Gefühl überlegener Souveränität, weil keiner etwas davon wusste, besonders nicht die Sau. Und das war auch gut so für mich.

      Es gab ja genügend Beispiele, die sehr anschaulich zeigten, was alles passieren konnte, wenn man zu viel wusste. Deshalb war es für alle ein großes Glück, dass ich mir meiner hohen Verantwortung für ihr Wohlergehen voll bewusst war. Ich sagte einfach nicht mehr als unbedingt nötig, eher sogar weniger, um so alle vor den Gefahren des Zu-viel-Wissens zu schützen. Ich wünschte ihnen, dass sie niemals begreifen mussten, was ich für sie tat. Nur dann würden sie mich noch mehr lieben können als damals, während meiner ersten Regierungsperiode. Vielleicht waren dann sogar nicht einmal mehr Wahlen nötig, und wir konnten uns die teuren, langen und ermüdenden Wahlkämpfe ersparen. Das Wahlvolk lechzte nach solch qualitativ hochwertigen Utopien, und ich war dazu auserkoren, sie ihnen, zu einem für sie unangenehm natürlichen Preis, zu verkaufen.

      2

      Ich betrat nun die Sänfte und ließ mich auf die gut gepölsterte Sitzbank sinken. Natürlich hatte ich ohne die Sau viel mehr Platz. Arm- und Beinfreiheit waren nicht nur bequem sondern auch sehr gesund. Es sah ganz so aus, als wäre ich in eine Win-Win-Situationen geraten. Aber als Ministerpräsident wusste ich, dass alles zwei Seiten hat, konservativ gerechnet und ohne die ganzen Dunkelziffern. Deshalb würde ich auch nicht auf jeden schönen Schein herein fallen, sondern nur auf den schönsten.

      Mit dem Lächeln eines Siegers streckte ich meine Beine aus bis ans Mittelmeer und sah wehmütig ein letztes Mal hinüber aus meinem diesseitigen Sänftenfenster zu meinem guten, alten Sarg. Was würde er jetzt machen ohne mich? Doch es sah aus, als hätte sich seine Zukunft schon geklärt. Er weinte mir offenbar keine Träne nach. Schnell war man vergessen, gerade in der Optik, aber auch im Sport und in der Liebe und in der Familie undsoweiter, undsoweiter. Denn was ich erblickte, bestätigte meine Meinung. Dicht an den Sarg geschmiegt stand das schöne Tier mit der dicken Rippe und umgriff schamlos seinen Deckel. Dann klappte es ihn hoch, so hoch es ging und dann noch ein Stück höher. Der Sarg ließ die Sau herein und klappte den Deckel eifersüchtig schnell wieder zu. Er hatte, was er wollte und die Sau auch. Sie wollte nie mehr heraus. Ich hatte genug gesehen. Außerdem erwartete mich das Wahlvolk schon ungeduldig wegen der Vereidigung im Möbelmuseum. Ich musste los.

      In der Sänfte erwartete mich aber nicht nur das Mittelmeer sondern eine weitere Überraschung. Ich war der einzige Passagier. Kein uralter Guru und keine aufgetakelte junge Gespielin waren zu sehen. Mein erster Gedanke war, dass wahrscheinlich etwas Furchtbares passiert war, aber dann merkte ich, dass ich fast auf den erstbesten Gedanken herein reingefallen wäre. Ich vergaß ihn ganz schnell wieder. Er weinte. Aber als Ministerpräsident musste ich Prioritäten setzen. Eine klare Linie war sehr wichtig. Sie war mehr oder weniger das Non-Plus-Ultra der reinen Lehre.

      Natürlich war nichts Furchtbares geschehen mit dem Guru und seiner Dame. Es war etwas anderes. Die starken Burschen hatten sich im Laufe der Zeit in einen Kostenfaktor verwandelt. Jetzt, wo sie älter und undynamischer geworden waren, war es deutlich zu sehen. Nur deshalb hatten sich die beiden Turteltauben von ihnen und ihren Dienstleistungen getrennt und sich für ihre Zwecke vier starke Roboter mit luftigen Baströckchen angeschafft. Also alles normal. Ein Grund zur Beruhigung war das aber natürlich nicht, wie immer, wenn alles normal läuft. Mein Geheimdienst würde sich darum kümmern und mir alle geheimen Erkenntnisse über diese kritische Normalsituation unverschlüsselt mitteilen. So hatte jeder was davon. Offene Geheimnisse waren mir immer noch die liebsten. Dieses Mal würde ich als Ministerpräsident meine ganze taktische Raffinesse ausspielen und mindestens für die Dauer von vierundzwanzig Wahlperioden regieren, bis sich die Balkone verbogen oder die vierundzwanzig gut gelaunten Putzfrauen dem Chor der tausend Pferde beitraten.

      Die Sänfte wurde angehoben, und los ging´s. Nächster Halt war das Möbelmuseum. Es dauerte lange, bis die starken Burschen es geschafft hatten. Sie keuchten und schwitzten. Ihr Schweiß roch wie der heiße Atem des alten Dinosauriers aus dem Rat der fünf Weisen. Es war mir egal. Ich dachte lieber mit einem anerkennenden Respekt an den uralten Guru und seine Gespielin, meine einstmaligen Sänftennachbarn. Dann hörte ich auf, daran zu denken, denn die Vereidigung wartete schon, und keiner wusste, wie lange sie es noch tun würde.

      Sanft und weich setzten die vier starken Burschen die Sänfte in der harten Realität ab. Mit einer eingeübten Präsidentengeste schob ich den geschlossenen Vorhang vor dem Sänftenfenster zur Seite. Meine Fußpflegerin hatte diese Bewegung in nicht enden wollenden Nächten mit mir pädagogisch korrekt einstudiert.

      Ich erblickte das Unerwartete.

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