Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2. Harald Hartmann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2 - Harald Hartmann страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2 - Harald Hartmann

Скачать книгу

zu halten reichte ich ihm einen Becher Kaffee durchs Seitenfenster nach hinten. Er bedankte sich. Ich konzentrierte mich ganz auf die Verfolgung. Der genaue Plan überquerte gerade noch bei Grün die Kreuzung. Dann sprang die Ampel auf Rot. Ich musste eine Vollbremsung machen, die nicht von schlechten Eltern war. So ein Glück für den Rollstuhlfahrer, dachte ich. Jetzt konnte er aussteigen. Aber er wollte nicht mehr.

      „Warum willst du nicht aussteigen?“ fragte ich ihn.

      „Weil der Fahrtwind meine Haare so erotisch wehen lässt“, sagte er, „mit dem Rollstuhl habe ich das noch nie geschafft.“

      „Du kannst mitkommen“, sagte ich zu ihm, „aber ich habe eine Bedingung.“

      „Und die wäre“ fragte er neugierig.

      „Du machst mit in meiner Regierung als Minister für erotisch im Fahrtwind wehende Haare.“

      „Kann ich Bedenkzeit haben?“ fragte er.

      „Nein!“ antwortete ich mit der ganzen Entschlossenheit eines Ministerpräsidenten.

      „Unter diesen Umständen sehe ich mich gezwungen, Ja zu sagen“, gab er auf.

      Nun wusste er, wer der Ministerpräsident war und wer lediglich über erotisch wehende Haare im Fahrtwind verfügte. Er hatte schnell begriffen. Er war ein guter Mann. So mussten meine Minister geschnitzt sein!

      Doch da ging es schon wieder weiter. Die Ampel war auf Grün gesprungen. Ich sah, dass der genaue Plan mit seinem Auto mittleren Alters auf die Zugbrücke zufuhr, um die andere Seite des Flusses zu erreichen. Es durfte ihm nicht gelingen. Sonst hätte ich mich bestimmt geärgert und mir etwas Neues einfallen lassen müssen, etwas ganz Neues vielleicht sogar.

      Es entwickelte sich ein sehr enges und spannendes Finish. Beeilung in jeder Hinsicht konnte da nicht schaden. Denn jeden Tag um diese Zeit wurde die Zugbrücke hochgezogen, und alle mussten warten, bis sie wieder herunter gelassen wurde. Der Rollstuhlfahrer hatte den Ernst der Lage auch begriffen und ganz cool seinen Elektromotor zugeschaltet, um unserem Gefährt einen zusätzlichen Schub zu verleihen und so die nötige Geschwindigkeit zu geben. Die Schranken, die die Zugbrücke abriegeln sollten, waren schon in steilem Sinkflug begriffen. Im nächsten Moment war die Straße dicht. Der genaue Plan hatte es nicht geschafft. Er musste stehen bleiben. Die Schranke war geschlossen und verwehrte ihm strengstens die Weiterfahrt. Ich bremste neben ihm. Er stieg mit erhobenen Händen aus und beglückwünschte mich. Er wusste nun auch Bescheid, genau wie der Rollstuhlfahrer.

      Großzügig lud ich die beiden zum Essen ein. In der Jugendherberge gab es heute wieder etwas Leckeres. Der genaue Plan, der Rollstuhlfahrer und ich hatten natürlich einen Riesenhunger nach der Verfolgungsjagd. Als Ministerpräsident hielt ich mich an das eherne Gesetz meines zünftigen Gewerbes und das hieß damals genau wie damals: Voller Bauch regeneriert sehr gern.

      Danach spielten wir noch ein paar Runden Billard und tranken viele Gläser Wasser, das teilweise sogar aus anderen Gegenden importiert worden war. Später hielten wir uns aneinander fest und tanzten einen engen Tanz. Wir waren uns einig, dass Freundschaft die schönste Nebenabsprache der Welt war.

      6

      Ich sah auf die Uhr. Es war schon zu spät, um mit der Suche nach meinem Personal zu beginnen. Bald war es dunkel, und da hatten alle bekanntlich etwas Privates vor. Es wäre ungehörig gewesen, meine zukünftigen Minister dabei zu stören. Ich überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Da teilte der Geheimdienst mir über die Fernsehnachrichten mit, dass morgen auch noch ein Tag wäre. Ich freute mich über diese überraschend genaue Neuigkeit. Ob mein flüchtiges Personal sich aber darüber freuen würde, bezweifelte ich. Sie wussten ja, wer hinter ihnen her war und dass die Vereidigung im Möbelmuseum ihr Schicksal war. Tot oder lebendig.

      Als die Nachtigall endlich aufhörte mit ihrem rücksichtslosen, nächtlichen Radau, brach ich auf, um meine Mission zu erfüllen, so wie es geschrieben stand in meinem Wahlprogramm. Doch ich kam nicht weit, denn der einbeinige Briefträger hielt mich an. Er trug einen Brief in seinem Schnabel. Er war an den Ministerpräsidenten persönlich gerichtet, und der war ja ich. Ich öffnete also den Umschlag. Er roch deutlich und unüberhörbar nach Wahlvolk. Ich zog eine Unterschriftenliste hervor. Sie war ziemlich lang, und Namen wie Unterschriften waren alle unleserlich. Formal stimmte also alles. Was ich aber immer schon bedauert hatte und auch in diesem Fall wieder bedauern musste, war der leidige Umstand, dass man Unterschriftenlisten nicht als Klopapier benutzen konnte wegen ihrer glatten und somit für diesen Zweck ungeeigneten Materialbeschaffenheit. Das musste ein Ende haben, allein schon wegen der ganzen Umwelt aber auch sonst rein menschlich gesehen. Sobald meine Regierung regierte, würde ich mich sogleich um eine Gesetzesänderung in dieser Angelegenheit kümmern. Unterschriftenlisten mussten dann grundsätzlich auf Klopapier geschrieben werden. Weil ich im Augenblick wegen meiner Mission wenig Zeit zu verlieren hatte, trat ich in aller Kürze auf meinen Balkon und verkündete die frohe Botschaft. Das Wahlvolk überlegte lange, in welcher Art und Weise es seiner Freude Ausdruck verleihen sollte. Für mich war es eindeutig zu lange. Überlegen konnte man ja vor der Wahl, aber hinterher war das einfach kontrapositiv. Ich winkte der Regie zu. Sofort griff sie zu einer bekannten Geheimwaffe. Sie spielte eine original muttersprachliche Musik ein, so dass alle bald in ihre Einzelteile zerlegt waren. Zufrieden verließ ich den Ort. Ich hatte ein wichtiges Zeichen gesetzt. Auf mich konnte ich mich verlassen.

      Der mir vom Geheimdienst geweissagte neue Tag war nun da, und ich dachte unwillkürlich an die unzähligen Tage, die nicht da waren und vielleicht sogar niemals da sein würden. Aber ich wischte diese Gedanken einfach beiseite wie eine lästige Schmeißfliege von einem Wurstbrot. Natürlich war das für sie nicht schön, ebenso wenig wie für die Schmeißfliege, aber zum Wohle des Großen und Ganzen mussten sie sich daran gewöhnen. Der Wind wehte nun mal aus meiner Richtung, und am Ende hatte ich schließlich die Verantwortung ebenso für alle unzähligen Schmeißfliegen wie für alle unzähligen Tage. Und die Verantwortung hieß: Regieren. Für einen Ministerpräsidenten wie mich war das ohne Zweifel nach der Freundschaft die zweitschönste Nebenabsprache der Welt.

      7

      Bevor ich mich nun aufmachte, um mein weiterhin flüchtiges Regierungspersonal zu suchen, nahm ich noch schnell zur Stärkung eine geheime, flüssige Mixtur zu mir, die sogar Spuren von Erdmännchen enthalten konnte. Im Volksmund wurde sie salopp als Ministerpräsidentendoping bezeichnet. Es war das einzige legale Doping weit und breit. Dafür hatte ich mit meiner ersten Amtshandlung, dem sogenannten präsidentialen Federstrich, auf Anraten eines bekannten Fahrradmechanikers, längst gesorgt. Die Sterberate war im praktischen Gebrauch von überzeugender Höhe. Das Dopingmittel sah aus wie ein preisgünstiger Industriepudding, schmeckte deswegen auch sehr lecker und war ausschließlich aktiven wie passiven Ministerpräsidenten vorbehalten, weil nur sie diese hochkarätigen Inhaltsstoffe überhaupt verantwortlich aushalten konnten. Das neidische Wahlvolk hatte mal wieder keine Ahnung von Verantwortung und verlangte stumpfsinnig und ohne jeden Faktencheck nach Pudding. Keine Ahnung haben, aber Pudding wollen! Ich versorgte es stattdessen großzügig mit neuen, ungebrauchten Zahnbürsten. Ich legte sogar noch zwei Bananen und einen fetten, geräucherten Aal obendrauf. Dieses unwiderstehliche Angebot riss, wie ich erwartet hatte, seine Hemmschwellen nieder wie Feuer das Wasser. Das Wahlvolk rottete sich in laut lärmenden Rotten zusammen vor dem Großen Grünen Fertighaus des Wahlvolkes und rief immer denselben Satz:

      „Wir wollen Pudding! Wir wollen Pudding! Wir wollen Pudding!“

      Nicht einmal die kleinste Variation, wie zum Beispiel: „Wir wollen Schokoladenpudding“ oder „Wir wollen Vanillepudding“, hatte eine Chance. Ich kannte natürlich die genaue Formel für das Dopingmittel, hinter

Скачать книгу