Das Doppelkonzert. Arnulf Meyer-Piening

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Das Doppelkonzert - Arnulf Meyer-Piening

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das nicht. Bis zu der Stelle im langsamen Satz war alles in Ordnung. Du hast großartig gespielt, so wie ich dich kenne. Und dann der Abbruch aus heiterem Himmel. Das war vollkommen unnötig. Sicher, ihr wart etwas aus dem Takt gekommen, aber was macht das schon? Es hat wohl keiner außer mir gemerkt. Warum hast du nicht weitergespielt?

      - Ich kann es nicht erklären. Plötzlich war alles weg. Ich wusste nicht mehr, wo ich war. Ich musste an Mutter denken und da war alles aus. Wie weggeblasen.

      - Hinrich, du hast großes Talent, aber du brauchst mehr Konzerterfahrung. Du solltest an die Violinschule nach London gehen. Sie wurde von meinem Lehrer Yehudi Menuhin gegründet. Ihm lag die Förderung talentierter Künstler sehr am Herzen. Dort erhalten junge Musiker die Gelegenheit, sich in der Kunst des Vortragens zu üben und den Kontakt zum Publikum zu finden.

      - Hinrich war noch immer den Tränen nah: Jetzt muss ich erst einmal den Kontakt zu mir selbst finden, sagte er und konnte seinem Lehrer kaum ins Auge blicken.

      - Sein Lehrer wandte sich ab und klopfte ihm freundlich auf die Schulter: Kopf hoch! Du wirst das schon schaffen. Tauche erst einmal dein Gesicht in kaltes Wasser. So darf dich niemand sehen. Du siehst aus wie ein Jammerlappen.

      Damit entfernte er sich und verließ den Raum. Natürlich war auch er von seinem Schüler enttäuscht.

      Das Blaulicht vor der Tür war ausgeschaltet worden, und der Fahrer wartete auf das Zeichen zur Abfahrt. Nun warf das flackernde Licht keine irrlichternden Schatten mehr an die Decke. Mit den tanzenden Figuren schien auch die Hoffnung verschwunden. Das Licht und der Vater waren verschwunden. Würde er jemals wiederkehren? Was würde aus ihm und der Firma werden?

      Der große Saal begann sich allmählich zu leeren. Einige Gäste strömten energisch hinaus, als ob sie frische Luft atmen wollten, andere zögerten, den Raum zu verlassen. Es war ihnen peinlich, so einfach ohne ein Abschiedswort zu gehen. Sie schlichen sich grußlos an dem Krankenwagen vorbei, als hätten sie ihn nicht bemerkt.

      Über sein erneutes Versagen war Hinrich verzweifelt und wollte am liebsten die Stadt und das ganze Land verlassen: Möglichst weit weg! Er spielte sogar mit dem Gedanken an einen spektakulären Freitod auf den Schienen der nahe gelegenen Eisenbahn. Oder ein Sturz aus einem der oberen Fenster des Elternhauses. Auf diese Weise glaubte er, seine verlorene Ehre wiederherstellen zu können. Und außerdem würde dann sein Vater erkennen, was er an ihm gehabt hatte. Bei diesem Gedanken spielte sogar ein gewisser Rachegedanke mit. Immer hatte er hinter Julia zurückstehen müssen. Sie durfte alles, hatte alles erreicht und konnte seit ihrer Geburt bei ihrer Tante leben, die ihr jeden Wunsch erfüllte. Und auch jetzt hatte sie es besser: Sie konnte in die Karibik auf ihre Plantage zurückkehren, wo sie von ihrem Freund erwartet wurde und niemand über den missglückten Abend Bescheid wusste.

      Er hatte niemanden, der sich um ihn kümmerte. Er blieb allein zurück. Und was aus seinem Vater werden würde, das wusste niemand. Das Schlimmste wäre, wenn der Vater nicht zurückkäme. Dann würde die gesamte Verantwortung für die Firma auf seinen Schultern ruhen. Er fühlte sich der Aufgabe nicht gewachsen. Sie schien für ihn zu groß zu sein. Am besten wäre es, wenn der Vater die Firma verkaufen würde, aber sie gehörte ihm nicht alleine. Er bräuchte die Zustimmung der anderen Gesellschafter, die er wohl nicht bekommen würde.

      Hinrich hatte inzwischen einen klaren Kopf bekommen und begann zu rechnen: Sein Vater besaß knapp die Hälfte der Firmenanteile. Seine Tante besaß etwas über einem Drittel, und er und seine Schwester hatten zusammen ein Sechstel. Gemeinsam hätten sie die Kapitalmehrheit. Sie könnten ihn überstimmen, wenn sie sich einig wären. Aber Julia würde nicht verkaufen wollen, denn sie brauchte die Firma im Hintergrund, und wer würde eine Firma mit Verlusten kaufen? Jedenfalls würde er nicht so viel bekommen, dass er künftig davon leben könnte. Nein, das wäre keine Lösung des Problems.

      Er nahm sich einen Sessel, rückte ihn ans Fenster und blickte gedankenverloren hinaus: Die Gewitterwolken hatten sich zusammengezogen und schütteten den Regen in Kübeln auf die Landschaft. Nach dem Regen zeigten sich erste Silberstreifen am Horizont. Gab es noch eine Rettung? Erst müsste die Firma neu geordnet werden und wieder Gewinne machen. Dann könnte man sie verkaufen, vielleicht sogar an einen Wettbewerber oder an einen Lieferanten. Warum nicht? Aber Vater würde nie zustimmen.

      Man müsste einen Berater haben, der sich mit der Reorganisation von Firmen auskennt. Vielleicht könnte sogar Isabelle eine Lösung bringen? Sie kannte viele einflussreiche Leute und besaß gute Kontakte zu vermögenden Leuten im In- und Ausland. Ja, er müsste sie ansprechen. Genau das war seine schicksalhafte Bestimmung, der er sich stellen würde. Er selbst müsste die Firma retten. Diese Frau, dies raffinierte Weib im Bunde mit finsteren Mächten, könnte vielleicht die Rettung bringen. Das müsste er arrangieren. Wer sonst, wenn nicht sie? Und vielleicht könnte sie Einfluss auf seinen Vater nehmen. Sie könnte den Vater bewegen, die Firmenleitung abzugeben.

      Das war seine Idee. War es die rettende Idee?

      Vor der Abfahrt des Krankenwagens trafen sich die Familienmitglieder in der Vorhalle des Hauses. Isabelle hatte angeboten, ihn ins Krankenhaus zu begleiten. Das Ansinnen aber wurde von Ingrid ziemlich schroff abgelehnt, weil sie nicht mit ihm verwandt sei. Außerdem machte ihr Ingrid den Vorwurf, für das Unglück mit verantwortlich zu sein. Vor allem wollte sie nicht, dass Isabelle sich in die internen Angelegenheiten der Familie einmischte. Zu allem Überfluss sagte Ingrid, wenn Isabelle nicht gewesen wäre, dann wäre das Unglück nicht passiert.

      - Den Vorwurf verstehe ich nicht, gab Isabelle ziemlich heftig zurück: Sie sollten mir dankbar sein. Sie jedenfalls haben sich nicht um ihn bemüht, als er hilflos am Boden lag. Was habe ich mit seinem Anfall zu tun? Ihr Bruder ist während des Konzerts ohnmächtig geworden, und ich habe mich um ihn gekümmert. Das ist alles.

      - Nein, das ist nicht alles, entgegnete Ingrid mit kaum unterdrückter Aggressivität. Ich habe Sie beobachtet und ich weiß mehr über Sie, als Sie ahnen. Seit einiger Zeit haben Sie sich systematisch an meinen Bruder herangemacht, suchten seine Nähe und Ihren persönlichen Vorteil. Sie haben ihm ganz ungeniert vor allen Leuten einen Kuss gegeben, und Hinrich hat das beobachtet. Glauben Sie, ich hätte nicht gemerkt, wie Sie die Hand meines Bruders auf ihren Oberschenkel gelegt und sie gestreichelt haben?

      Isabelle blickte zur Decke und zuckte mit den Schultern, als ob sie sagen wollte: Sind Sie nun endlich fertig?

      - Ingrid ließ sich nicht beirren und fuhr fort: Tun Sie nicht so scheinheilig. Ihr unwürdiges Schauspiel hat Hinrich aus dem Takt gebracht. Wenn Sie nicht gewesen wären, dann wäre alles gut gelaufen. Ohne Ihre peinlichen Annäherungsversuche hätten wir einen erfolgreichen Abend erlebt. Hinrich hätte das Vertrauen seines Vaters gewonnen, wäre sein Nachfolger geworden, aber jetzt ist alles verloren. Und Sie tragen daran maßgeblich die Schuld.

      - Feindselig sah Isabelle sie an. Ihre Augen blitzten vor Zorn: Frau Sämann, Sie machen sich die Sache zu leicht. Sie suchen einen Schuldigen für das heutige Desaster, aber die Ursachen liegen weit zurück: Ihr Bruder hat seinen Sohn nie richtig verstanden, hat nie begriffen, was er wirklich wollte. Er hat ihn von früh an zu etwas gezwungen, was er nicht wollte und auch nicht konnte. Er wollte aus ihm sein Ebenbild machen. Aber das gelang ihm nicht. Ihr Bruder fühlte sich für Hinrichs Versagen mitverantwortlich. Schließlich war Hinrich sein Sohn. Er wollte so einen Sohn, wie er es früher selbst gewesen war.

      - Das müssen Sie mir nicht erzählen. Das weiß ich selber. Wollen Sie mir etwa erklären, wer Hinrich ist? Was wissen Sie schon von ihm? Sie kennen ihn überhaupt nicht.

      - Vielleicht verstehe ich ihn viel besser als Sie, entgegnete Isabelle, denn Sie sehen nur sich selbst und sonst niemanden. Hinrich hat die wahre Liebe nie kennengelernt, weder von seiner Mutter noch von seinem Vater, und wahrscheinlich auch von Ihnen nicht. Aber das können wir ein anderes Mal besprechen,

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