Wohin mein Weg dich führt. Patrick Osborn
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Mühsam richtete Ben sich auf. Sein Blick wanderte im Zimmer umher. Er lag auf einer Pritsche, die sich in einem kleinen, spärlich eingerichteten Raum befand, der jedoch sauber und freundlich wirkte. In der gegenüberliegenden Ecke stand ein Holzstuhl, auf dem eine Person saß. Erst auf dem zweiten Blick erkannte Ben, dass es sich um den Mönch handelte, dem er zu Hilfe gekommen war.
„Ah, Sie sind wach.“ Der Mönch erhob sich und ging zu einer Anrichte. Er goss eine dampfende Flüssigkeit in ein Schälchen und reichte es Ben. „Hier trinken Sie! Das wird Ihnen gut tun.“ Vorsichtig nahm ihm Ben das Schälchen ab und trank die heiße Flüssigkeit in kleinen Schlucken. Sofort breitete sich eine wohltuende Wärme in seinem Bauch aus.
„Wie fühlen Sie sich?“
„Es ging mir schon besser.“ Ben reichte dem Mönch das Schälchen wieder. „Wie lange bin ich schon hier?“
„Zwei Tage. Sie haben viel geschlafen.“
„Und diese Typen? Haben die Sie wenigstens in Ruhe gelassen?“ Der Mönch lächelte sanft. „Es war sehr mutig von Ihnen, mir zu helfen. Das hätten nur wenige getan.“ Bevor Ben etwas erwidern konnte, wechselte der Mönch das Thema. „Sie haben viel Zeit in Thailand verbracht, nicht wahr?“
„Woher wissen Sie das?“
„Ihre Sprache. Sie sprechen, wie jemand, der hier aufgewachsen ist.“
„Das ist lange her.“ Der Mönch sah Ben eindringlich an.
„Nicht nur Ihr Körper hat Schmerzen.“
„Woher...“
„Ich sehe es in Ihren Augen. Gestatten Sie mir eine Frage: Was ist Ihr größter Wunsch?“ Ben blickte ihn zweifelnd an. „Sie haben mir geholfen, jetzt will ich Ihnen helfen.“
„Das können Sie leider nicht.“
„Und warum nicht?“
„Weil mir niemand helfen kann!“ Bens Stimme klang schärfer als beabsichtigt.
„Trotzdem wiederhole ich meine Frage. Was ist Ihr größter Wunsch?“ Ben seufzte. „Ich möchte meine Tochter finden.”
„Ihre Tochter?“ Ben nickte. „Sie ist vor zehn Jahren spurlos verschwunden. Polizei. Presse, alle haben sie gesucht, aber bis heute gibt es keine Spur von Lily.“
Der Mönch zog seine Stirn in Falten, setzte sich zu Ben und versank in tiefer Meditation. Nach einer Weile erhob er sich und ging zu der kleinen Anrichte. Er kramte in einem Schubfach und entnahm einen Beutel, in dem drei Glasampullen zu sehen waren.
Kapitel 1: Verlorene Heimat
Berlin, Dezember 2014
Der Airbus setzte auf der Landebahn des Otto-Lilienthal-Flughafens auf. Während um ihn herum aufgeregtes Treiben begann, wartete Ben darauf, dass die Maschine ihre endgültige Parkposition erreichte. Er konnte die Hektik der anderen Passagiere nicht verstehen. Kaum stand das Flugzeug, schälte sich sein Nachbar aus dem Sitz und machte sich an der Gepäckklappe zu schaffen. Ben warf in der Zwischenzeit einen Blick aus dem Fenster und ließ die vergangenen Tage und Wochen noch einmal Revue passieren.
Er war nach Bangkok gereist, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. In der Stadt seiner Kindheit wollte er die bösen Gedanken verscheuchen, die ihn seit Lilys Verschwinden quälten. Ein Trugschluss, wie sich schnell herausgestellt hatte. Seinem Schicksal konnte man ebenso wenig entgehen, wie Dinge ungeschehen machen. Und so war er ziellos durch die Straßen und Tempel von Bangkok gezogen, hatte sich in Garküchen verköstigt und versucht, seinen Schmerz in Alkohol zu ertränken. Mehr als einmal hatte er auch den Gedanken gehabt, gar nicht mehr nach Hause zurückzukehren. Es war verlockend, alles hinter sich zu lassen: die Trauer, das Unverständnis. Doch tief in seinem Innersten gab es eine Stimme, die ihm sagte, dass Lily noch am Leben war. Und für diese kleine Flamme lohnte es sich zu kämpfen. Allerdings musste Ben sich eingestehen, dass er dieser Hoffnung sehr viel geopfert hatte.
„Wollen Sie nicht aussteigen?“ Die Stimme der Stewardess holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er streckte nach dem langen Flug seine müden Knochen und sah, dass er zusammen mit einer dreiköpfigen Familie der letzte Passagier an Bord war.
Im Terminal wartete er auf sein Gepäck. Ben hatte Glück, dass sein Koffer einer der ersten war, der auf dem Förderband erschien. Mit Koffer und Rucksack bepackt begab er sich zum Taxistand. Seit seinem Abflug in Bangkok hatte er nichts mehr gegessen. Da sein Kühlschrank leer war, beschloss er, sich zu stärken, bevor er in seine einsame Wohnung ging. Der Verkehr war am frühen Abend mörderisch, so dass das Taxi fast eine Stunde bis zum Richardplatz nach Neukölln brauchte. Unterwegs sah er die geschmückten Fenster, hinter denen sich Familien auf den Weihnachtsabend vorbereiteten. Immerhin hatten die Kinder heute bereits das vierte Türchen öffnen können. Der Taxifahrer versuchte, Ben in ein Gespräch zu verwickeln, merkte aber sehr schnell, dass sein Fahrgast nicht an einer Konversation interessiert war.
Ben zahlte und registrierte beim Aussteigen die Aufbauarbeiten für den jährlichen Weihnachtsmarkt. Er betrat das Luis, ein österreichisches Restaurant, das ihm nach der asiatischen Küche den Einstieg in die Heimat erleichtern sollte. Er setzte sich an einen Zweiertisch ans Fenster und bestellte ein Schnitzel, wobei er sich nicht für den Klassiker entschied. Wer schaffte schon ein Schnitzel in der Größe eines A3-Blattes? Ben wählte die kleine Variante und dazu ein großes Bier.
Müde rieb er sich die Augen und griff nach seinem Handy. In den Kontakten suchte er nach Shannons Nummer, starrte auf die Zahlenfolge und überlegte, ob er sie anrufen sollte. Doch was konnte er ihr sagen? Er wusste, das Shannon kein Verständnis für seine Reise gehabt hatte. Überhaupt gab es viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. Ben spürte, wie er sich einer Panikattacke näherte. Immer wieder wurde er davon heimgesucht. Er sprang auf und suchte den Weg nach draußen. In Gedanken sagte er das Alphabet rückwärts auf.
Z, Y, X, W, V, U, T, S ...
Sein Adoptivbruder Liem hatte ihm diesen Tipp gegeben, als er nach einem schrecklichen Überfall in seiner Jugend erstmals von einer solchen Attacke heimgesucht wurde.
R, Q, P, O, N, M ...
Seit seinem Abflug nach Bangkok war er von diesen heimtückischen Überfällen verschont geblieben. Vielleicht hätte er doch nicht nach Hause kommen sollen.
L, K, J, I, H, G, F ...
Ben atmete tief durch. Dabei schloss er die Augen und versuchte, nicht an Lily zu denken.
E, D, C, B, A ...
Vorsichtig öffnete er die Augen. Neben ihm stand der Kellner und blickte ihn etwas unbeholfen an.
„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“
„Danke. Es geht schon.“ Ben sah, dass seine Worte den Kellner nicht wirklich beruhigten. „Das muss der Jetlag sein. Ich bin gerade von einem längeren Auslandsaufenthalt zurückgekommen.“ Diese Erklärung schien dem Mann zu genügen, denn Ben sah, wie sich seine Gesichtszüge entspannten.
Zurück im Restaurant ließ sich Ben sein Essen schmecken und