Wohin mein Weg dich führt. Patrick Osborn
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„Um Gottes willen, nein! Wie kommen Sie darauf?“ Dutzmann deutete auf das Bild. Erst jetzt kam Ben dazu, es sich anzusehen. Er erschrak, denn es entsprach nicht den Bildern, die Lily gewöhnlich malte. Im Zentrum war eine riesige blaue Welle zu sehen, die auf zwei Menschen zurollte. Ein kleines Mädchen und eine Frau. Ben erkannte seine Frau an den langen schwarzen Haaren und dem roten Kleid, das Shannon so gerne trug. Lily war blond und trug ebenfalls ein rotes Kleid. Im ersten Moment fragte sich Ben, wo er auf dem Bild war. Einen Lidschlag später bekam er die schreckliche Gewissheit. Ben befand sich über der Welle, was an sich nicht erwähnenswert war. Jedoch hatte er den Mund aufgerissen und wirkte so überaus bedrohlich. Was hatte Lily mit diesem Bild ausdrücken wollen?
„Finden Sie nicht auch, dass dies nicht unbedingt das Bild ist, was eine Enkelin ihren Großeltern zu Weihnachten schenkt?“ Ben schluckte trocken und war nicht fähig zu antworten.
„Mit Lily ist alles in Ordnung, Dieter.“ Jeffery trat auf seinen Freund zu. „Sie ist ein liebes Mädchen, und wenn es Ärger gibt, dann in der Form, wie ihn alle Eltern mit ihren Kindern haben.“ Doch der Kommissar ließ nicht locker. „Und bei Ihnen und Ihrer Frau? Hatten Sie vielleicht einen Streit, den Ihre Tochter mitbekommen haben kann?“ Bens Puls beschleunigte sich.
„Nein. Es ist wirklich alles in Ordnung.“ In dem Moment, in dem er die Lüge ausgesprochen hatte, fragte sich Ben, warum er das tat. Doch er bekam keine Gelegenheit mehr, seine Aussage zu revidieren. Einer der Polizisten stand plötzlich im Flur.
„Herr Kommissar, können Sie bitte einmal kommen?“ Dutzmann wandte sich ab. Ben sah, wie dieser mit seinem Kollegen sprach und der immer wieder auf einen vor der Haustür stehenden Mann deutete. Das Gesicht des Mannes kam Ben bekannt vor, doch er konnte es in dieser Sekunde nicht einordnen. Dutzmann hörte aufmerksam zu und Ben sah, wie er bestätigend nickte.
„Es wird sich alles aufklären, Ben. Sie finden Lily.“ Kathy hatte sich zu ihm gesetzt und legte ihre Hand in seine. Anders als Shannons Vater hatte sie Ben vom ersten Tag an gemocht und ihn als den Sohn aufgenommen, den sie nach Shannons Geburt nicht mehr hatte bekommen können.
„Herr Herzfeld“, wandte sich der Kommissar wieder Ben zu. „Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?“ Ben verstand die Frage nicht.
„Das habe ich Ihnen doch gesagt. Nach dem Frühstück ist sie zu meinen Schwiegereltern gegangen. Ich habe an der Haustür gestanden und ihr nachgewunken, bis sie um die Ecke gebogen ist.“
„Sind Sie ganz sicher?“ Ben glaubte, einen etwas schärferen Ton in der Frage zu hören.
„Natürlich bin ich mir sicher.“ Kommissar Dutzmann atmete tief durch. „Jensen!“, rief er einem der Polizisten zu. „Können Sie bitte Herrn Regner ins Wohnzimmer bitten.“ Ben sah, dass Manfred Regner ins Wohnzimmer trat. Jetzt erkannte er den Nachbarn seiner Schwiegereltern.
„Manfred, was hat das zu bedeuten?“ Bens Schwiegervater sah seinen Nachbarn überrascht an.
„Herr Regner“, antwortete Kommissar Dutzmann, „hat Lily kurz vor ihrem Verschwinden gesehen.“
„Ist das wahr, Manfred?“, wollte Jeffery wissen. Sein Nachbar nickte.
„Herr Regner, erzählen Sie uns doch einfach, was Sie meinen Kollegen gerade berichtet haben.“
Regner räusperte sich. „Ich stand am Küchenfenster und sah, wie Lily die Straße einbog. Ich ging kurz zum Herd, um Kartoffeln aufzusetzen. Als ich mich wieder dem Fenster zuwandte, hatte Lily fast euer Gartentor erreicht. Doch dann kam ein Mann auf sie zu und sprach sie an.“ Ben schloss die Augen. Also doch. Seine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten.
„Um Gottes Willen, Manfred! Warum hast du nicht das Fenster aufgerissen, um ihn zu verscheuchen?“, fragte Jeffery aufgebracht.
„Aber warum sollte ich das? Es war doch euer Schwiegersohn!“
Für einen Augenblick herrschte Totenstille im Zimmer. Ben glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
„Warum erzählen Sie so etwas?“ Er hörte, wie brüchig seine Stimme klang. Es fiel Ben schwer, das eben Gehörte mit seinen Gedanken in Einklang zu bringen.
„Weil es die Wahrheit ist.“
„Herr Regner“, schaltete sich Kommissar Dutzmann ein, „sind Sie absolut sicher, dass Herr Herzfeld der Mann war, der Lily vor dem Gartentor angesprochen hat?“
„Selbstverständlich. Ich kann von meinem Fenster aus genau auf das Tor blicken. Daher bin ich mir ja auch so sicher. Schließlich kenne ich Herrn Herzfeld.“
„Und was ist dann passiert?“, wollte der Kommissar wissen.
„Das weiß ich nicht, da ich mich wieder ums Essen gekümmert habe.“
„Konnten Sie sehen, ob Herr Herzfeld und seine Tochter sich gestritten haben?“
„Nein. Jedenfalls habe ich nichts bemerkt.“ Regners Blick wanderte unruhig von Ben zu Kommissar Dutzmann. Es war ihm anzumerken, wie aufgeregt er war. „Herr Herzfeld hatte sich zu Lily hinuntergebeugt und schien ihr etwas zu sagen. Das war das Letzte, was ich von den beiden gesehen habe. Als ich mich das nächste Mal umgedreht habe, waren beide nicht mehr da. Ich dachte, dass sie ins Haus gegangen sind.“
„Und Sie haben keinen Zweifel daran, dass es Ben Herzfeld war?“
„Nein, Herr Kommissar! Ich habe sein Gesicht erkannt. Deshalb bin ich mir ja auch so sicher.“
„Oh mein Gott, Ben“, mischte sich Kathy ein. „Wo ist Lily denn?“
„Ganz ruhig, Kathy.“ Dutzmann trat einen Schritt auf Ben zu. „Was haben Sie dazu zu sagen, Herr Herzfeld?“
„Nichts! Hören Sie, Herr Kommissar. Ich weiß nicht, was der alte Mann gesehen haben will, aber ich schwöre Ihnen, dass ich mit meiner Tochter nicht mehr gesprochen habe, seit sie unser Haus verlassen hat!“
„Nun gut, wir werden sehen.“ Dutzmanns Stimme war anzuhören, dass er Ben nicht glaubte.
„Dieter“, mischte sich Jeffery ein, „ich kenne meinen Schwiegersohn. Welchen Grund sollte er haben, zu lügen? Wie ich dir schon gesagt habe, war zwischen Lily, Ben und Shannon alles in Ordnung.“ Bei dieser Aussage zuckte Ben für einen Augenblick zusammen. Dutzmann schien die Reaktion zu bemerken.
In diesem Moment erklang die aufgeregte Stimme einer Frau im Flur und Shannon trat ein. Ohne auf ihre Eltern oder Kommissar Dutzmann zu achten, stürmte sie auf Ben zu.
„Wo ist unsere Tochter? Was hast du mit ihr gemacht?“
„Shannon ...“ Ben kam nicht dazu, zu antworten, da Shannon wie eine Furie auf ihn losging.
„Ist es wegen Liem? Herrgott, ich habe dir doch gesagt, dass da nichts ist.“
„Shannon“, versuchte es Ben noch einmal. „Ich weiß nicht, was Herr Regner gesehen hat, aber ich habe mit Lilys Verschwinden nichts zu tun! Was denkst du denn? Dass ich meine Tochter verschwinden lasse, weil sie dich mit einem