Cave Cobaltum. Gerhard Gemke

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zu fragen, ob es sich um einen Auto- oder einen Fahrradreifen handelte. Es würde wohl noch mindestens zwei weitere Stunden dauern, so wurde ihr achselzuckend mitgeteilt, bis die gewünschten Akten einträfen. Ob man Jade ein Stück Kuchen anbieten dürfe?

      Jade lehnte ab und machte sich erneut auf den Weg. Diesmal nicht in die Zuckerbäckeraltstadt, sondern Richtung Problemviertel. Fast beruhigend, dass auch dieses sauber rausgeputze Städtchen eine Kehrseite besaß. Jenseits eines vierspurigen Straßenrings fanden sich die üblichen Siebzigerjahre-Bausünden, inklusive besprayter Mauern und Gestalten, die alles cool fanden, was aus amerikanischen Trash-Serien via TV in die Wohnzimmer schwappte. Manche grienten ihr offen ins Gesicht oder taxierten ihre Brüste, andere erschraken beim Anblick ihrer Narbe. Meistens hasste Jade so ein Spießrutenlaufen, aber manchmal, und in der letzten Zeit häufiger, suchte sie absichtlich diese Situationen. Sie stärkten ihre Leck-mich-Haltung. Jade genoss es, wenn einige vor ihrem Gesicht zurückwichen. Gerade die Coolen.

      Nur einer war ihr unheimlich. Er war lang und dürr, trug schwarze Jeans und schwarze Lederjacke, und lehnte an einer baufälligen Mauer. Das Auffälligste an ihm war sein hervorstehendes unrasiertes Kinn, das ihm etwas Wölfisches verlieh. Seine tiefliegenden Augen starrten Jade ohne zu blinzeln an. Jade versuchte möglichst lange seinem Blick standzuhalten, gab dann aber auf und schaute zu Boden. Und ärgerte sich auf der Stelle über die Unterwerfungsgeste. Fast körperlich spürte sie sein Grinsen, als sie im Abstand von zwei Metern an ihm vorbeiging. Sie beschleunigte ihre Schritte und wagte erst an der nächsten Straßenkreuzung sich umzuschauen. Von dem Wolf war nichts mehr zu sehen.

      Dafür stand sie nun vor einem Wohnblock, der sich erstaunlich von der allgemeinen Tristesse abhob. Wie eine Insel in all dem Grau-in-Grau erhob sich ein fünfgeschossiger Bau mit steil aufragendem, von Gauben mit buntbehängten Fenstern unterteiltem Dach. Über die gesamte Fassade zog sich das Bild eines riesigen Regenbogens, und davor befand sich eine Wiese mit zwei Fußballtoren, umsäumt von geschwungenen Blumenrabatten. Als dann noch lachende Kinderrufe zu hören waren und ihr von einem sonneblumenbestandenen Balkon eine Art Hobbitfrau in schottengemusterter Schürze zuwinkte, war es Jade zu viel der heilen Welt / wurde Jade die Überdosis heile Welt zu viel. Hastig drehte sie sich um und machte sich auf den Weg zurück zur Stadtverwaltung. Der Kurier mit den Akten musste inzwischen eingetroffen sein.

      Dem Wolf begegnete sie nicht wieder. Noch nicht.

      Jade sang während sie fuhr, was ihr so selten passierte, dass sie sich nicht an das letzte Mal erinnern konnte. Gegen halb fünf war der Kurier endlich angekommen, zu Fuß, wie Jade erstaunt feststellte. Sie hatte drei dünne Mappen in Empfang genommen, quittiert und keinen Blick hineingeworfen. Der Inhalt interessierte sie nicht. Eine Angestellte der Stadtverwaltung hatte ihr einen dünnen Kaffee und ein Stück Nusskuchen aufgeschwatzt und Jade hatte diesmal nicht abgelehnt. Während sie das trockene Zeug mit der Kaffeeplörre hinunter spülte, hatte die Angestellte, eine ungesund dürre Vierzigjährige, hektisch telefoniert und gleichzeitig eine Straßenskizze auf ein A4-Blatt gekritzelt. Hatte sie dabei den Namen Meier genuschelt? Aber warum sollte der hier anrufen?

      Die Skizze lag jetzt neben Jade auf dem Beifahrersitz. Wenn sie schon das schöne Fleschbeck besuche, hatte die Dünne nach dem Telefonat gesagt, dann solle sie doch auf dem Rückweg die Südliche Alleenstraße nehmen. Gerade jetzt im Frühling und bei diesem Wetter leuchte das frische Grün an den Straßenrändern einfach bezaubernd.

      „Bezaubernd, kann ich Ihnen sagen, meine Liebe!“

      Jade hatte es noch nie gemocht, meine Liebe genannt zu werden, nicht von Meier noch von sonstwem. Aber gegen die Routenänderung hatte sie nichts einzuwenden, sie hatte ja mehr als genug Zeit.

      Jade schaffte es tatsächlich zum zweiten Mal am heutigen Tag den Peugeot ruckelfrei vom Parkplatz zu bekommen und die Karre erst an der nächsten Ampelkreuzung abzuwürgen, sehr zum Ärger eines eiligen LKW-Fahrers. Eine Viertelstunde später verließ sie die Stadt in südlicher Richtung. Die Wegbeschreibung der Dürren taugte jedenfalls.

      Jade sang jetzt aus voller Kehle. Dieser Tag hatte ihr gut getan, er war weit besser verlaufen, als sie nach der durchwachten Nacht befürchtet hatte. Die Sonne strahlte verschwenderisch und tatsächlich schien es, als ob die frischen Farben der Alleebäume das Auto, ihr Gesicht und sogar ihre Seele in Frühlingsgrün tauchten. Einmal kreuzte ein Reh die Fahrbahn, weit genug entfernt, dass Jade problemlos die Geschwindigkeit verringern konnte, auch wenn es ihr dabei wieder merkwürdig vorkam, wie tief sie das Bremspedal herunterdrücken musste.

      Weiter, jetzt weiterfahren bis in den Süden, über die Alpen, übers Meer fliegen und tief im Herzen von Afrika landen. Tunesien, Sambia, Nigeria, Kongo. Sehnsuchtsnamen.

      Jade sang. Und als es eine Steigung hinaufging, konnte sie sich einbilden, dass dahinter das Meer auftauchte. Jade gab Gas. Sie flog über den Gipfel und riss die Augen weit auf.

      Vor ihr fiel die Straße steil bergab, etwa einen Kilometer schnurgerade, und dann, sie konnte es von weitem schon an den Warnschildern erkennen, ging es in eine scharfe Rechtskurve. Jade presste den Fuß mit aller Kraft auf das mittlere Pedal, aber die Bremse fasste nicht. Jade sang nicht mehr, sie schrie. Erst kurz vor der Kurve fiel ihr die Handbremse ein, viel zu spät und jetzt ein tödlicher Fehler. Jade riss den Hebel nach oben und hörte die Reifen quietschen als die Räder blockierten. Sie sah die frühlingsgrüne Wand auf sich zurasen. Im letzten Augenblick glaubte sie inmitten des Grüns ein grinsendes Wolfsgesicht zu sehen. Kurz bevor es im Schwarz versank.

      Schwarz.

      Formen werden erkennbar, etwas glänzt in der Dunkelheit, rollt auf sie zu. Es ist riesig, gläsern, durchzogen von dunkelblauen Fäden. Jade sieht es mit weitgeöffneten Augen. Die Kugel kommt näher. Jade gleitet ins Innere. Sie atmet nicht. Die blauen Fäden schlingen sich um ihre Arme und Beine, über ihre Hüften, ihre Schultern, den Hals. Und bilden vor ihr einen Tunnel. Sie wird hineingesogen, weiter, tiefer. Plötzlich weiß sie, wo sie ist.

      Pass gut auf mein Kind, sagt die Frau, und Jade erkennt die vertraute Stimme. Komm ihnen nicht zu nah, warnt sie. Jade lacht. Achte auf die Unterirdischen. Nachts kriechen sie aus dem Berg, wenn die Menschen schlafen. Schon sind sie unter uns, mehr von ihnen als du glaubst. Und sie schauen in deine Augen, versenken dich in den Schlaf, nehmen dich mit auf die Reise ins Innere der Erde, sie schleppen dich in die Tiefe, wo sich die Menschen verirren, wo niemand dich retten kann. Doch wehe, wenn du fliehen willst. Dann sprechen sie das Wort, das uralte, das in der gläsernen Kugel verschlossen liegt. Dann wirst du zu Stein, wie der Schlafende Jäger, die Steinerne Agnes, der Watzmann und die Heulende Hex! Und wie die Croggs. Also hüte dich vor dem Wort, das verschlossen liegt unter blauer Flut an rundem gläsernen Ort. Sag es und alles wird Stein, dreh es und totes Gebein wird dein Diener sein.

      Jade schlug die Augen auf. Es war merkwürdig hell im Zimmer und es dröhnte in ihrem Kopf. Eine grellrote Wolke aus Schmerz flutete ihr Hirn. Und inmitten der Wolke verhallte das Wort und verschwand, bevor Jade es fassen konnte. Wieder hatte sie es gehört, und doch nicht gehört. Jade atmete schnell und starrte in ein verschleiertes Nichts. Lauschte dem verklingenden Echo, bis nur noch die Erinnerung an diese Frauenstimme blieb, an Katarina, ihre Urgroßmutter. Sie hatte zu ihr gesprochen wie damals, als Jade ein kleines Mädchen war. Von den Unterirdischen, den Kobolden im Salzberg, von der Steinernen Agnes und der Heulenden Hex. Von den Croggs. All das, womit man Kinder erschreckte. Und von der Kugel hatte Katarina gesprochen, dem Wort, das verschlossen liegt unter blauer Flut an rundem gläsernen Ort.

      Jade richtete sich ruckartig auf. Augenblicklich durchzuckte wieder ein stechender Schmerz ihre Schläfen. Sie schloss die Augen und wartete bis er nachließ. Die Glaskugel! Wo war sie? Im Bauch des Bären Bramabas. Jade holte tief Luft und ließ sich zurück in die Kissen fallen.

      Sobald sie die Augen wieder schloss, überfiel sie mit elementarer

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