Bodenfrost. Erhart Eller

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Bodenfrost - Erhart Eller

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die verkommene Truppe an, summte dabei eine Melodie, die aus tiefsten Tiefen seines Gedächtnisses emportauchte, jenen einst in Frankreich entstandenen Kampfgesang: „Auf, auf, Verdammte dieser Erde...“

      Sein Vormarsch stockte. Diese Geruchswolke! Dieses Geschwafel! Dieses feindselige Glotzen! Der fröhliche Gruß, mit dem er hinzu treten wollte, kam nicht über seine Lippen. Denn er wurde prompt angebrüllt: „Glotz nicht so blöd, Brettermaul! Hol ne Bierrunde, zackig, sonst gibt’s auf die Fresse!“

      Die Ernüchterung hätte nicht größer sein können. Um den drohenden Zusammenstoß zu vermeiden, setzte er, der Verträgliche, sich eilig ab. Beleidigungen aus schmutzigen Mündern flogen ihm hinterher. Der Funke der revolutionären Begeisterung verglimmte. Er stand wieder auf dem Boden der Tatsachen. Mit diesen Tagedieben war keine Verständigung möglich. Bitter war ihm die Erkenntnis: Eine festgefügte Unterklasse, die vereint mit der ganzen arbeitenden Bevölkerung, die unguten Verhältnisse umstürzte, lag in nebliger Ferne… Seine erste Maßnahme an diesem Tag war, da gab es nichts zu beschönigen, bevor sie stattfand, gründlich gescheitert.

      Er ließ sich nicht beirren. Nichts und niemand sollte ihm den hoffnungsvollen Tag verderben. Er marschierte drauflos, stadteinwärts. Ein bestimmtes Ziel hatte er nicht vor Augen. Die großen Menschheitsfragen waren ihm jetzt und bis auf weiteres nicht wichtig. Das eigene Glück hatte Vorrang. Ob ihm dieses winken würde? Wenn nicht, durfte er doch wenigstens auf erfreulichere Begegnungen hoffen als die grad eben. Den Einkauf wollte er irgendwann irgendwo nebenbei erledigen. Träfe er Bekannte, mit denen sich gute Gespräche führen ließen, wäre das schon einmal ein kleines Glück. Denn die Einsamkeit drückte ihm augenblicklich schwer aufs Gemüt.

      Er beschritt die ebenso verkehrsreiche wie menschenarme Friedrichstraße, die vormals nach Rudolf Breitscheid, einem Opfer des Faschismus, geheißen hatte. Dann nahm er die Jüdenstraße unter die Füße. Deren voriger Name, Friedrich-Engels-Straße, ist den nach Neunzehnhundertneunundachtzig maßgebenden Leuten ebenfalls unleidlich gewesen. Diese Straße, eigentlich den Fußgängern vorbehalten, von Radfahrern unberechtigt und gefahrbringend genutzt, war von Geschäften gesäumt; neben einigen Bäcker-, Fleischer-, Gemüse- Blumenläden, war die Abteilung Ramsch stark vertreten. Außerdem gab es viel Leerstand. Der Kleinhandel erlebte ja eine Dauerkrise. Schaffer fand es beklemmend, dass er auf dieser Straße so viele Rentner und so wenige Jüngere erblickte. Die Floskel vom „sterbenden Land“ kam ihm ein. Grüppchen von bejahrten Menschen standen schwatzend beisammen, saßen vor den Bäckerläden auf Klappstühlen an Klapptischen in der Sonne, bei Kaffee und Kuchen, Flachsinniges redend, so den Lebensabend genießend. Den Langzeit-Arbeitslosen beschlich ein kleiner hässlicher Neid. Weil er einschätzte, dass diese Alten den Geldmangel nicht kannten, jedenfalls nicht solch heftigen, mit dem er ständig zu kämpfen hatte. Er rief sich zur Ordnung. Er sollte diesen Leutchen ihren kleinen Wohlstand gönnen. Ihnen war schließlich nicht anzulasten, dass ein Großteil der Jüngeren zur Untätigkeit verdammt war, dass die Löhne derer, die ihre Haut zum Arbeitsmarkt tragen durften, sanken und sanken, sodass die Arbeitsfähigen, wenn sie beweglich genug waren, ihr Heil in weniger unwirtlichen Landstrichen oder gleich im Ausland suchten. Die Rentner waren nicht schuld, dass Ihresgleichen das Bild dieser Straße bestimmte. Was Schaffer an jüngeren Menschen erblickte, taugte als Futter für die Meinungsmach-Maschine. Alsda: verkommene Mannspersonen, schlampige Frauen mit verwahrlosten Kindern, gehüllt in Alkoholdunst und Tabakrauch. An zotenreißenden Schwaflern schritt er verdrossen vorüber. Schaffer war es unbegreiflich, wie man so leben konnte, vor allem, wieso diese Leute sich ein solches Lotterleben leisten konnten. Er trank auch gern einen Schluck, doch da ihm nicht einkam, zu stehlen, zu rauben, waren ihm in dieser Hinsicht Grenzen gesetzt. Die wichtigste Grenze war allerdings der gefestigte Charakter, den er sich zubilligte. Er versicherte sich, seine Rechtschaffenheit sei der Grund, dass er nicht süchtig werden könne. Was Wunder, dass er diese schmuddeligen Zeitgenossen, welche die Gesamtheit der Langzeit-Arbeitslosen in Verruf brachten, verwünschte. Er tat es still; laut zu werden, kam ihm nicht ein. Schaffer war einer, der ganz selten aus der Haut fuhr. Und übrigens kam ihm die kürzlich getroffene Feststellung wiederum ein, dass die Feindschaft der Unterklassigen untereinander nur den Herrschenden nützte. Es wäre doch Unfug, sich an diesen armseligen Nichtstuern festzubeißen. Der Schaden für die Gesellschaft, den sie stifteten, ging gegen Null. Der war verkraftbar. Es waren Schädlinge von anderem Kaliber, welche die Erde verwüsteten. Das sollte er sich stets vor Augen halten.

      Ärmlich gekleidet, doch blitzsauber war eine junge Frau, auf die nun sein Auge fiel. Er durfte annehmen, dass sie von den gegenwärtigen Verhältnissen noch härter als er betroffen war. „Ein besonders unschuldiges Opfer“, meinte er. Diese Frau, die sich rührend um das kleine Kind kümmerte, das sie im Wagen schob , war sicherlich keine, die darauf erpicht war, in einer Hängematte abzuschlaffen. Doch wurden Mütter mit Kleinkindern in dieser Gesellschaft erbarmungslos vom „Arbeitsmarkt“ abgeschnitten. Er schätzte ein: „Tatkraft hat sie, beweglich ist sie, in Gegenden, wo bessere Umstände herrschen, würde sie eine anständige Arbeit finden. Doch was würde dann aus dem Kind?“ Schaffer vermerkte, wie übel es doch um ein Land bestellt war, in der das Wichtigste, die Kinder, oft genug zu einem wirtschaftlichen Unglücksfall wurden. Er erwog, der Frau Mut zuzusprechen. Allein - was konnte ihr das bringen? Womöglich würde sie glauben, dass er sie verspotten wolle, beziehungsweise sich eine dümmliche Anbaggerei erlaube. Also ließ er es bleiben.

      Doch bedachte er auf seinem weiteren Weg, dass man grad im Hinblick auf solche Menschen einen Umbruch erzwingen müsste. Man müsste… und wie?

      Seine Erwägungen endeten jäh, da er bemerkte: „Gefahr im Anmarsch!“ Eine Dame von der Arge, jener Behörde, die Befugnis hatte, ihm das Leben schwer zu machen, kam bedrohlich nahe. Flugs huschte er ums Eck. Wenigstens dieses kleine Glück widerfuhr ihm, dass er den Zusammenstoß mit der ihm widerwärtigen Person vermeiden konnte. Er seufzte erleichtert. Doch kam ihm unwillkürlich üble Erinnerung hoch, wie Säure aus überreiztem Magen:

      Vor Tagen hatte er die Arge aufgesucht, obschon man ihn nicht einbestellt hatte. Ein Kobold musste ihn dazu verleitet und ihm die alberne Frage eingetrichtert haben, ob nicht eine Stelle, wenigstens für einige Tage... Er hatte erwartet, dass er mit „seiner“ Betreuerin würde sprechen können, die zwar keine Wunder vollbringen konnte, doch mit der immerhin gut zu reden war. Leider hatte man ihn stattdessen zu jener Beamtin gelotst. Bereits beim ersten Augenschein hatte er sie so eingeordnet: „Die ist bedrohlich wie ein Schlachtschiff.“

      Er hatte den Namen seiner Zuständigen genannt, war ins Stottern gekommen „… hat sie Urlaub …ist sie krank …“ Die Entgegnung lautete: „Das geht Sie nichts an.“ Dann hatte ihn das Schlachtschiff mit einer Breitseite beschossen: „Eure Sorte, die stellt immer bloß Forderungen. Eine Vollzeit-Arbeit, wenns geht fürstlich bezahlt. Sie sind ein Problemfall, Mensch! Sie sind nachrangig. Erst kommen die Arbeitslosengeldempfänger, dann lange, lange nichts und dann erst eure Sorte.“

      Er, der von Natur Ruhige, hatte sich durch tiefes Durchatmen abkühlen müssen, hatte dann die Bemerkung gewagt, mit etwas Befristetem wäre er zunächst zufrieden, nur sollte der Lohn nicht sittenwidrig niedrig... Notfalls eine Arbeits-Beschaffungs… Da war er aber an der Falschen. „ABM? Sie sind wohl größenwahnsinnig! Belästigen Sie mich nicht länger!“ Er war zwar nicht brüllend an die Decke gesprungen, doch gefährlich fauchend hatte er entgegnet: „Für Sie bin ich Müll, was!“ Da hat die Abgebrühte frech gehöhnt: „Leute wie Sie würden, wenn Sie so was wie sie Ehre im Leib hätten, für ihr sozialverträgliches Ableben sorgen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber nein - sowas untersteht sich, uns hart arbeitenden Arbeitsvermittlern zur Last zu fallen. Ohne Zeugen darf ich das schon mal sagen.“ Er ist sprachlos gewesen. Die Hexe hatte nachgeschoben. „Demnächst werden wir Ihre persönlichen Verhältnisse durchleuchten. Ihre Erreichbarkeit werden wir auch überprüfen.“ Er hatte der Person dann, in für ihn unüblicher Lautstärke, geraten, sie solle, anstatt ihre Nase in Sachen zu stecken, die sie nichts angingen, endlich ihre Aufgabe erledigen, nämlich anständige Arbeit für Arbeitslose besorgen. Worauf sie gekräht

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