Bodenfrost. Erhart Eller
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Das große Glück begegnete ihm weiterhin nicht. Nicht einmal ein kleines, das in die Hosentasche passte. Er erreichte den Marktplatz, bemerkte dort einen alten, nicht aber guten, Bekannten. Die Bekanntschaft wollte er möglichst nicht aufwärmen. Leider war heute nicht Markttag; es gab keine Buden, zwischen denen er hätte abtauchen können. Es gab kein Entrinnen; der Unerfreuliche hatte ihn erspäht und steuerte ihn zielstrebig an. Schaffer fügte sich ins Unvermeidliche und tröstete sich damit, dass dieser Mensch, gemessen an dem „Schlachtschiff“, das kleinere Übel war.
Einst, bevor er, damals noch mit Familie, in die gemäß dem „sozialistischen Wohnungsbau-Programm“ hastig errichtete Südstadt gezogen war, sind sie Nachbarn gewesen. Seit je hat ihn der Drang dieses Menschen gestört, über alle alles wissen zu wollen. Und natürlich hatte er sich nicht verändert. Ohne Vorrede fragte er in der Art eines Untersuchungsrichters nach Schaffers Befinden, den Eltern, Frau, Kindern. Schaffer argwöhnte, der Fragesteller hoffe auf Lustgewinn durch Schadenfreude, indem er in offene Wunden stach. Er gab sich zugeknöpft: „Selber: will nicht klagen. Eltern: unter der Erde. Frau: im Guten getrennt. Kind: hängt an mir.“
„Hast du noch Arbeit?“
Da war sie wieder, die geschmacklose Frage. Geradezu lügen wollte er nicht. Er entgegnete, die Aussichten seien gut, er habe vielversprechende Bewerbungen laufen, es könnte gut sein, dass er zwischen mehreren Angeboten eine Auswahl würde treffen müssen. Ein unausgegorener Gedankensplitter wurde wörtliche Rede. „Ich werde nebenher in der Redaktion der Heimat-Zeitschrift mitarbeiten. Ich kenne mich in der Heimatgeschichte aus, in der Schulzeit bin ich ein hervorragender Aufsatz-Schreiber gewesen.“ Gewichtig erklärte er: „Ich denke, ich werde dort mitbestimmen, wo’s langgeht.“
Da hatte er etwas angerichtet mit dieser ihm wesensfremden Großspurigkeit. Der Mensch lachte lauthals, fragte, wer ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt habe. Die Blattmacher – ehemalige Lehrer, Referenten und dergleichen, Ruheständler jedenfalls - seien ein geschlossener Kreis, in den sie keinen Fremden eindringen ließen. „Die machen es aus Spaß, ihr Zeug wird gedruckt und gut ist. Denen geht es nicht um Geld; sind alle gut versorgt.“
Schaffer schätzte ein: „so wird es wohl sein“. Doch dumm dastehen wollte er nicht, darum flunkerte er: „Man hat schon bei mir angefragt. Klasse setzt sich durch.“ Der einstige Nachbar blickte ihn schräg an. Schaffer gab zur Kenntnis, gleich habe er Termin in dieser Angelegenheit, Den wolle er nicht versäumen. Er empfahl sich mit knappem Gruß.
Da er es für wahrscheinlich hielt, dass der taktlose Zeitgenosse recht hatte, verwarf er den Einfall, an die Bürotür der Blattmacher zu klopfen. Eine Arbeit ganz ohne Lohn konnte und wollte er sich nicht leisten.
Wilfried Schaffer würde leidlich zufrieden sein, wenn es wenigstens Gelegenheit für gute Gespräche gäbe. Immerhin – es gab eine Begegnung, die seine Stimmung nicht weiter eintrübte. Er traf einen Bekannten, der kein schlechter Kerl, doch ein Schwätzer war. Der ließ sich wortreich darüber aus, wie sehr ihn das Zusammentreffen beglücke, setzte an, sich über Leute und Dinge, die Schaffer gleichgültig waren, weitschweifig zu verbreiten. Schaffer war nicht in Eile, gleichwohl schmeckte ihm diese Art von Unterhaltung nicht. Er eiste sich wieder mit der Ausflucht los, dass er wegen einer wichtigen Besorgung in Eile sei. Leutselig war der Schwätzer, gab ihm ein Taschenfläschchen Kräuterlikör „Erichs Rache“ mit auf den Weg, erklärte dazu: „Der Kerl ist uns damals auf den Magen geschlagen. Nun, wo er tot ist, nützt er gegen Magendrücken, das von ganz anderen Sachen kommt, als damals.“
Der Beschenkte kämpfte gegen die Versuchung, sich den Magentrost auf der Stelle einzuverleiben. Dabei war das Bild auf dem Schildchen hilfreich - ein Zerrbild, doch unverkennbar der trunksüchtige, verbohrte, einstige Generalsekretär, der ihm seinerzeit unausstehlich gewesen ist.
Es ging auf Mittag. Gab Schaffer den Tag verloren? Nein, noch lange nicht. In seine Wohnung, die er für unwohnlich hielt, wollte er so bald nicht zurückkehren. Er hielt es für besser, Stadtstreicher zu bleiben. Nicht zuletzt hatte er einzukaufen. Ihn beschäftigte stark das Fläschchen in seiner Tasche, gemeinhin Spaßmacher, Taschenwärmer und anderswie liebevoll, in früherer Zeit auch Sputnik geheißen. Wie es ihm die Tasche beschwerte! Er bekämpfte die Versuchung, sich den Magentrost einzufüllen, indem er sich mittels Geschichts-Betrachtung ablenkte. In der Klosterstraße, an der Rückwand des einstigen Gasthofs „Zu den dreyen Schwanen“, hing eine gusseiserne Tafel, die darauf hinwies, dass sich in diesem Haus im Jahr Siebzehnhundertvierundneunzig die Herren Friedrich Schiller, Christian Gottfried Körner und Jakob Grimm getroffen hatten. Er stellte fest: „Weißenfels ist einst nicht ohne Bedeutung gewesen.“ Unweit, auf der anderen Straßenseite, gab es eine weitere Tafel mit dem Vermerk, dass der einst geschätzte, inzwischen vergessene, Dramatiker Adolph Müllner, dort gewohnt hatte. Der dichtende Anwalt, kein großes Genie, war in wirtschaftlicher Hinsicht freilich das genaue Gegenteil des Langzeit-Arbeitslosen Wilfried Schaffer. Ein mit Geld und Gut wohl versehener Rappelkopf; vielleicht war sein hitziges Wesen Ursache, dass er kein langes Leben hatte. Immerhin, er ist weit älter geworden, als sein ruhmreicher Kollege Hardenberg, der sich Novalis nannte, auch in dieser Straße wohnte und starb. Sich dem Novalishaus nähernd, erinnerte sich Schaffer, dass es in diesem Haus, außer der städtischen Leihbücherei und einigen Büros der Stadtverwaltung, eine kleine Gedenkstätte gab, wo der Literatur-Verein mit dem Namen des Dichters seinen Sitz hatte. Wie, wenn er dort anklopfte, sich als einen Geschichts- und Literatur-Begeisterten vorstellte, willens und in der Lage, für den Verein zu arbeiten? Er trat auf den Hof, dann durch die Hintertür des Vorderhauses, setzte den Fuß auf die Treppe, da nahmen die Zweifel überhand. Falls das Vereinsbüro überhaupt besetzt war – wie würde man ihn empfangen? Üblicherweise schaute man ihn an, wie man Leute anschaut, denen ihre Nachrangigkeit auf die Stirn geschrieben ist. Nein, grad jetzt hatte er kein Verlangen, sich der Verachtung der Bessergestellten preiszugeben.
Glücks-Schimmer zur Mittagszeit
Wilfried Schaffer kam darauf, das Grabmal des Namensgebers von Verein und Haus aufzusuchen, das sich in der Nähe, am Rand des Stadtparks, in einem mit Gitterwerk aus Schmiede-Eisen eingezäunten Bereich befand. Grad nebenan lag das Grab des verloschenen Sterns Müllner. Schaffer schätzte ein, dass der Novalis sich diese Nachbarschaft verbeten hätte, wäre ihm Einspruch möglich gewesen. Es gab im Hag, an einem Rest der einstigen Stadtmauer befestigt, eine riesige Steinplatte mit den Lebensdaten der Familie des Novalis, den Hardenbergs, einer adligen, wohlhabenden, gleichwohl unglücklichen, Sippe. Novalis und seinen Geschwistern war gemeinsam, dass sie jung starben. Der Dichter, mit seinen Siebenundzwanzig, ist vergleichsweise langlebig gewesen. Mit der ewigen Ruhe war es auch nichts. Man hatte den einstigen Totenacker im Stadtgraben im Lauf der Zeit um und umgestaltet, Gebeine umgebettet; ob das Skelett des Dichters unter seiner steinernen Büste lag oder woanders, war nicht gewiss.
Der unermüdliche Fußgänger fühlte Schwäche, die ihn zum Niedersetzen zwang. Sein Magen ließ ein Knurren vernehmen. Er hatte nichts Essbares dabei, nur ein Getränk, das Fläschchen. Sollte er oder besser nicht? Er rang nicht lange mit sich, gab der Versuchung nach. Wozu das Zeug noch länger spazieren tragen. Hinein!
Das Knurren hörte auf. Ein wohliges Gefühl durchrann ihn. Leider hielt es nicht vor. Müde fühlte er sich und mutlos. Wieder wurde ihm scharf bewusst, dass er in einer Sackgasse war, in die eine feindselige Gesellschaft ihn abgeschoben hatte. Im Augenblick fühlte er sich so schwach, dass er meinte, sich von der Parkbank nie wieder erheben zu können.
Plötzlich blitzte ein sonnenheller Funke auf. Unten, auf der Nikolaistraße, schritt, sehr weiblich, eine Kellnerin namens Birgit Frey, seine heimliche Flamme. Ihr Anblick verjagte seine Schwäche. Sollte er ihr nachgehen? Er unterließ