Bodenfrost. Erhart Eller
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Bodenfrost - Erhart Eller страница 9
Die anderen drei Kinder waren dem Wanderer Schaffer verdrießlich, dieses vierte jedoch fand er abscheulich, da es ihm die Binsenweisheit in Erinnerung brachte, dass der Mensch meist früher stirbt, als ihm lieb ist. Ihn verdross sein erbärmliches Leben, dennoch fürchtete er das Ende. Er erfasste, dass diese Furcht womöglich der Hauptgrund seiner Friedfertigkeit war. Um auf andere Gedanken zu kommen, überlegte er, in welchen Verhältnissen die vier verhunzten Kinder leben mochten. Er schätzte ein: Gevatter Tods Eltern: Gruftis. Die des Kronenbürschleins: gehobener Mittelstand, Ärzte vielleicht. Erzeuger des Pappkameraden: Lkw-Kutscher, Scheuerfrau. Des Lumpenkinds: Hartzer wie er, dennoch nicht seinesgleichen. Hündisch die Alten, hündisch das Junge. Wurde denn die Sklavenseele immer weiter vererbt? Jedenfalls: die Kinder ahmten mit diesem üblen Spiel die Welt der Erwachsenen nach.
Wilfried Schaffer stieg den Hang des Tschirnhügels hinauf, von dem er wusste, dass dort einst eine Kultstätte der Sorben gewesen ist. Abergläubigen Menschen mochten hier und jetzt, an der Schwelle zur Walpurgisnacht, Schauder über den Rücken laufen. Ihm nicht. Er hatte nunmehr einen brennenden Durst. Bedächtig leerte er die Weinflasche. Er versicherte sich, dass er es nicht um des Trinkens Willen tat, sondern um seinen Geist zu beflügeln. Er war weiterhin für Wegweisendes aufgeschlossen. Klarheit hoffte er zu erlangen. Zunächst aber kam Müdigkeit. Er legte sich und fiel zweitmalig in Schlaf.
Der letzte Kaiser, der ewige Soldat, das Lumpenmännchen und der Tod
Erwacht, blickte Wilfried Schaffer zur Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Er fühlte sich wohlig beschwingt, grad, als ob er, wenn er seine Flügel ausbreitete, losfliegen könnte. Ein Satz kam ihm in den Sinn: „Erst das sichere Wissen von etwas macht es zur Materie.“ Der Satz war, zumal ohne Bezug zur unmittelbaren Gegenwart, unsinnig, gleichwohl gefiel er ihm. Sein Blick schweifte über die Siedlung im Vordergrund. Die Häuschen hatte man Ende der Vierzigerjahre des vorigen Jahrhunderts gebaut, für Menschen, die durch den Krieg ihre Heimat verloren hatten. Denen hatte man im Zug der Bodenreform Land zugeteilt, auf dem sie sich, notgedrungen, als Landwirte versuchten.
Schaffer erhob sich nicht ohne Mühe –und schon zerstörten bellende Hunde die Stille. Ein Ruf schallte – sofort endete das Gebell. Er bemerkte den rötlichen Schein eines Lagerfeuers, ging hin, obwohl er einschätzte: eine Erscheinung, erzeugt von: Alk im leeren Magen, Zeitpunkt, Geist des Orts. Dem Feuer näher kommend, gewahrte er drei Gestalten. Wissen wollten die, ob er gekommen sei, um Walpurgis mit ihnen zu feiern. Schaffer lachte lautlos. Er wurde belehrt: „Hexen gibt‘s hier nicht. Musst dich auf den Brocken bemühen.“ Worauf er erklärte: „Mir steht nicht der Sinn nach Hexensabbat.“
Die Gestalten waren sozusagen vergrößerte Ausgaben der Kinder von vorhin. Ihre Anzüge waren allerdings aus haltbarerem Stoff. Eine trug eine verbeulte Krone aus vergoldetem Blech, einen von Motten zerfressenen Mantel, der vor dem Ausbleichen, wohl purpurn gewesen war. Die zweite trug bunte Pluderhosen, Pluderwams, einen rostigen Brustharnisch, hatte ein großes schartiges Schwert, das, wie er wusste, Bidenhänder genannt wurde. Ein Landsknecht, wie einem Holzschnitt des Sechzehnten Jahrhunderts entsprungen. Die Gestalt wurde von zahlreichen Narben verunziert. Die dritte, spindeldürre, war in einen groben, durchlöcherten Kittel gehüllt. Die drei Kerle stanken, der im Kittel besonders schlimm. Der Ankömmling bekam dummes Zeug zu hören: „Ich, der Gekrönte, herrsche von Gottes Gnaden von Ewigkeit zu Ewigkeit. - Ich, der ewige Soldat, verhackstücke dich, wenn du es an der schuldigen Ehrfurcht fehlen lässt.“ Schaffer war sicher, dass er es mit Luftgebilden zu tun hatte, gleichwohl erschrak er ein wenig. Das gab sich und er schimpfte drauflos. „Ihr Mumien, fehl am Platz seid ihr, eure Uhr ist längst abgelaufen. Packt euch!“
Der Kronenkerl atmete schwer, griff sich ans Herz, als erlitte er einen Infarkt. Der Landsknecht hieb drauflos. Schaffer zuckte zusammen, als ihn das Luftschwert durchfuhr. Der Zerlumpte tadelte ihn. Untertanen hätten zu kuschen und Maul zu halten. Das und nichts sonst sei Untertanen-Bestimmung. Schaffer fauchte ihn an: „Ich bin niemands Untertan, merk dir das, Knechtsseele.“ Der Landsknecht ging den Lumpigen an: „Zwar stimmt, was du sagst, aber du hast nichts zu sagen.“ Er schlug den Dürren mit der flachen Klinge. Dem luftigen Kerl schien die luftige Waffe echte Pein zu bereiten. Er heulte auf, fiel um, stand sogleich wieder auf den Beinen, erklärte frohgemut: „Man zwickt, zwackt, prügelt mich, doch ich bin unverwüstlich. Man haut mich um, doch stehe ich immer wieder auf. Ich bin nicht totzukriegen, ein richtiges Stehaufmännchen. Drauf bin ich stolz.“ Schaffer erboste sich. „Solltest dich was schämen. Anstatt wirklich aufzustehen, nämlich gegen diese beiden Menschheitsfeinde da, machst du den krummen Hund.“ Schief grinsend sprach der Zerlumpte: „Du hast’s grad nötig, eine dicke Lippe zu wagen. Bist doch ganz wie ich, du Feigling.“ Die behauptete Verwandtschaft bestritt Schaffer entschieden. Trotzig schmetterte er den aus Frankreich stammenden Kampfgesang: „Es rettet uns kein höh‘res Wesen, nicht Gott, noch Kaiser…“
Am Morgen war Wilfried Schaffer aufgebrochen mit der Hoffnung, den Ausweg aus seiner Lage zu finden. Die Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Er war enttäuscht, allerdings nicht sehr. Die Hoffnung ist ja nur vag gewesen. Ein Gaukelspiel erlebte er, das so gar nicht zielführend war. Ja hatte er denn besseres erwarten dürfen als zum Beispiel dieses unsägliche Geschwätz der Figur mit der verbeulten Krone? Der Kerl schwafelte, er, der Kaiser, Herr der Welt nach göttlichem Gesetz, sei aus seiner Welt schnöde verjagt worden, nur eine lächerliche Verkörperung seiner gebe es noch, den Tenno, diese machtlose Gliederpuppe auf dem japanischen Tron. Ansonsten maßten sich allüberall unwürdige Leute die Macht an, befleckt mit dem Makel niederer Herkunft. Ach und Weh und Weh und Ach!
Der in der Landsknechtskluft höhnte, der Kronenkerl sei immer nur eine Kostümpuppe und also auf ihn, den Mann des Schwerts, angewiesen gewesen. „Herrscher von Gottes Gnaden? Von meinen Gnaden, du Sack. Ich bin der eigentliche Welten-Herrscher, das war so, das ist so, das wird immer so sein.“ Er grinste den Zuschauer selbstgefällig an. „Zuweilen, in Sternstunden, hab ich den da in den Dreck geschmissen und mich selber auf den Tron gesetzt.“ Sein grobes Gesicht leuchtete auf. „Ich bin der, der zeigt wo’s langgeht. Ich bin unverzichtbar, denn Kriege wird es immer geben.“ Erbärmlich zeterte der mit der verbeulten Krone. Wie anmaßend sein Waffenknecht doch allzu oft sei. Des Waffenknechts Bestimmung sei, die Feinde seines Herrn in Schach zu halten und nicht, nach dem Tron zu gieren; nur ein Übermensch von edelstem Blut dürfe darauf sitzen, sonst sei der Tron entweiht. „Den da sollst du niederhalten, dass er nicht aufmuckt gegen mich, das ist deine Haupt-Aufgabe.“ Der da, das war der Zerlumpte. Der Geharnischte kitzelte den Kronenkerl mit dem Schwert an der Nase und stellte fest: „Edles Blut? Sieh an, es ist nicht blau, sondern auch bloß rot.“ Der Zerlumpte freute sich. „Das hast du gut gemacht, ja, zeig ihm seine Grenzen. „Da prügelte ihn der Söldner derb und brüllte dazu: „Was mischst du dich ein! Halts Maul!“ Der Zerlumpte stürzte heulend nieder, erhob sich hurtig, aus Wunden blutend. Zuschauer Schaffer wetterte: „Schämst du dich nicht, als Schwerbewaffneter einen Waffenlosen niederzuhauen!“ Der Geharnischte winkte ab: „Der braucht das immer mal, sonst wird er zu üppig. Dem macht das auch nichts aus. Der rappelt sich immer wieder hoch. Ein Stehaufmännchen, sagt er ja selber.“ Er musterte Schaffern verächtlich. „Was hast du überhaupt reinzureden, du Sack. Fünfundvierzig Jahre, Kerl und niemals im Kampfgetümmel gestanden und kein bisschen Kriegs-Erfahrung. Das ist ja abartig.“ Schaffer sprach. „Eins will ich klarstellen: Wären alle Menschen wie ich, gäbs keinen Krieg und wenig Zank und Streit.“ Im Stillen gab er zu: „Es gäbe keinen Krieg, aber auch keinen Widerstand.“ Weiter sprach er: „Was seid ihr doch alle drei für abscheuliche Zerrbilder. Du da mit der Schrottkrone nennst dich gottbegnadet und stinkst nach Verwesung, weil du schon lange auf dem Müllhaufen der Geschichte liegst. Und du da, lumpiges Stehaufmännchen, in milliardenfacher Ausführung vorhanden, könntest deine Unterdrücker erdrücken allein durch deine ungeheure Zahl, wenn du nur etwas Kampfgeist hättest. – Nun zu dir, du Säbelrassler. Du bist von euch Widerlingen der widerlichste. Man muss dich unschädlich machen, sonst hat die Menschheit keine Zukunft.“