Bodenfrost. Erhart Eller

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Bodenfrost - Erhart Eller

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solange die Welt besteht.“ Schaffer antwortete darauf nicht. Er hatte gesagt, was zu sagen war. Rasch entfernte er sich von dem Feuer, das nicht wärmte. Doch war die Walpurgis-Gaukelei natürlich nicht zuende. Plötzlich stand eine vierte Gestalt vor ihm. Er erschrak nicht sehr, da er sie längst erwartet hatte. Die Gestalt krächzte: „Das sind mir schöne Witzgebilde da drüben, besonders der eine. Von wegen ewiger Soldat und solange die Welt besteht. Es gibt nur eine unumstößliche Tatsache, die bin ich.“ Die tiefschwarze Gestalt hob sich gegen den nicht völlig dunklen Himmel ab wie ein Scherenschnitt. Sie öffnete ihre Hülle und zum Vorschein kam das übliche grell weiße Gerippe. Auch sie grinste, natürlich. Das breite Grinsen, welches seit je ihr Markenzeichen war. Das alles fand der unwillige Betrachter ganz unerotisch. Er stellte unwirsch fest: „Die drei da sind begrifflich, wurzeln in der Wirklichkeit. Du aber wurzelst in gar nichts. Du bist nicht vorhanden.“

      „Oha, für ein Nichts habe ich aber eine gewaltige Macht. Gib doch zu, auch du zitterst vor mir. Gewaltig schlottern wirst du spätestens dann, wenn ich dich ergreife.“

      Schaffer gab sich, wie er nicht war: ganz kühl. „Du schreckst mich nicht, du lächerliche Vogelscheuche. Immer im selben Kostüm, kriegst du das nicht satt?“

      „Aber nicht doch. Gestaltwechsel ist eine meiner leichtesten Übungen.“ Flugs verwandelte sich das Gerippe in ein dralles Kind mit rosigem Gesichtchen, dann in eine blonde Frau mit lockenden Augen, Kussmund, Lockenpracht. Schaffer winkte ab. „Zugegeben, du verstehst es, tam-tam zu machen um deine Nichtigkeit. Gleichwohl bist und bleibst du nichts als eine Gedankenkrücke, womit ein schwer fasslicher Zustand anschaulich gemacht werden soll.“

      Flugs wieder als Knochenmann gestaltet, plusterte sich die Gedankenkrücke auf. „Ich bin die einzige ewige Tatsache.“ Schaffer motzte: „Du bist eine größenwahnsinnige Null.“ Mit starkem Verwesungsgeruch tat die Gestalt kund, dass sie schwer beleidigt war. Schaffer sammelte seinen Willen, auf dass die Gestalt sich auflöse. Das tat sie nicht. Vielmehr gab sie eine Erklärung ab. „Du meinst, die Sonne geht jeden Morgen auf, jeden Abend unter? Falsch! Irgendwann wird es keine Sonne, keinen Morgen, keinen Abend noch geben. Hingegen ist unwandelbare Tatsache: Alles Lebendige muss sterben.“ Schaffer, mit tiefgehendem Unwillen, legte fest: „ Ich erkläre ich deinen Auftritt für beendet. Abflug!“

      Der mit geballtem Willen unterfütterten Abneigung konnte die Gestalt nicht länger widerstehen. Sie zappelte, verschwand dann mit einem unanständigen Geräusch, eine Wolke von übelstem Arom hinterlassend. „Erledigt!“ stellte Wilfried Schaffer fest, war gleichwohl nicht zufrieden, sondern fühlte sich unbehaglich, denn er ahnte: der letzte Auftritt der Gedankenkrücke war das nicht. Überhaupt argwöhnte er, dass die Akte „Walpurgis-Gestalten“ noch nicht geschlossen war.

      Tages-Abrechnung

      Der Tag war gelaufen, nicht wie gewünscht, gleichwohl nicht ganz erfolglos. Schaffers Magen knurrte vernehmlich. Da nun ein neues Datum galt, aß er Brot, Wurst, Käse. Zu trinken hatte er nichts mehr, brauchte auch nichts, denn er versicherte sich: „Ich bin kein Trinker.“ Es war schließlich nicht zu bestreiten, dass es Tage ohne Alkohol gab und nicht nur, wenn Geldmangel ihn zur Enthaltsamkeit zwang.

      Einen Wegweiser ins bessere Leben hatte er nicht gefunden, nur eine seltsame Vorspiegelung war ihm widerfahren, von der er nicht, noch nicht, wusste, was davon zu halten sei. Zugeben musste er, ganz verloren ist der vergangene Tag nicht gewesen; immerhin hatte er etwas Geld erarbeitet. Doch dieser unsinnige Abschluss! Der womöglich noch nicht erledigt war. Insbesondere traute er Nummer vier, der Gedankenkrücke, der Nichtgestalt, eine erhebliche Belästigungs-Fähigkeit zu. Er bat sich aus: „Dergleichen Ungesundes bitte nicht mehr. Wenn Vorspiegelung, dann nutzbringend, bitte sehr.“

      Seine Blase drückte. Er erleichterte sich an einen Pfahl des angrenzenden Weidezauns. Dann machte er sich auf den Heimweg. Er marschierte, von Hunden angekläfft, rund um die Siedlung. Das war leichtsinnig. Die Bewohner mochten den Schluss ziehen: „Wer zu solcher Zeit hier entlang streift, hat ein Verbrechen vor.“ Zum Glück schliefen sie alle fest genug. Nein, nicht alle. Ein Fenster eines etwas verkommenen Häuschens war erleuchtet. Da keine Gardine vorhanden war, hatte Schaffer vollen Einblick. Die dürftige Einrichtung, die er sah, legte den Schluss nahe, dass da ein Abgehängter der „Globalisierung“ wohnte. Einen Bildschirm gab es natürlich, auf dem ein Hartporno lief. Eine Gestalt hockte davor und stöhnte. Der Beobachter sah nur den Umriss, konnte sich gleichwohl ausmalen, welche Leibesübung da ablief. Schaffer schüttelte und fragte sich: „Wie kann man, Armut hin und her, so ein Leben führen. Aber so sind sie, die Lumpenmännchen.“ Und versicherte sich: „Ich bin nicht so und will nicht so sein. Wer erbärmlich lebt, hat nicht Grund, vor dem Ende zu zittern. Mir wird schon noch Kampfgeist erwachsen.“

      Nachher, in seiner dürftigen Wohnung, setzte er sein altes Tonbandgerät in Betrieb, lauschte alten Liedern der verstorbenen Sänger Ernst Busch und Gerhard Gundermann, die er schätzte und die in den Programmen der Dudelsender nicht vorkamen. „Es ist Sonntag in Schwarze Pumpe…Pumpe…Pumpe“, sang der einstige Braunkohle-Kumpel, immer noch, beinahe zehn Jahre nach seinem Ende. Von den Bergleuten, hohläugig und zerfetzt, Leich und Totengräber zugleich, sang der Ältere, den seinerzeit die faschistische Mordmaschine eingesaugt hatte und die er mit Glück fünfunddreißig Jahre überlebt hat. Auch er war eine Unperson im gegenwärtigen Kulturbetrieb, der, nach Wilfried Schaffers Ansicht, besser Unkultur-Betrieb heißen sollte. Und doch sang er, der Barrikaden-Tauber, noch siebenunddreißig Jahre nach seinem Tod, für ihn und sicherlich eine Anzahl anderer Menschen, die sich nicht vom Dudelfunk hatten verblöden lassen.

      Beim Klang der kämpferischen Weisen zog Wilfried Schaffer den Schluss-Strich unter den dreißigsten April. Ganz alltäglich ist der also nicht gewesen. Ein Herr Plattner war ihm begegnet, der ihm einen Arbeits-Auftrag erteilt hatte. Eine zweifelhafte Sache, doch immerhin eine, in die er sich knien konnte. Und er hatte Birgit erblickt, die Erstrebenswerte. Leider, bekräftigte er, wäre es nicht anständig, ihr nachzustellen. Sie hatte Besseres verdient, als ihn, den Besitz- und Arbeitslosen. Er stellte Mutmaßungen betreffs der Zukunft an. Vom kommenden Tag durfte er auch keine Wunder erwarten. Und dann? Die Aussicht war trüb.

      Andere Menschen in dieser Nacht

      In Weißenfels, dieser Kleinstadt in der Mitte Mitteldeutschlands, lag zur selben Zeit die Serviererin Birgit Frey schlaflos in ihrem Bett, ihre Einsamkeit bedauernd. Auch sie hörte Musik. Schmusimusi. Sie versuchte, ihre drängenden Alltagssorgen, vor allem die um den Arbeitsplatz, wegzuschieben. In dieser sagenumwobenen Nacht hätte sie nichts dagegen gehabt, eine Hexe zu sein, nur mal so auf gesalbtem Besen wie ein geölter Blitz hinauf zum Brocken zu fahren. Mit einem Teufel sich zu vereinen war indessen nicht ihr Verlangen. Sondern nach einem Menschenmann stand ihr der Sinn. Nicht irgendeinem. Einem namens Wilfried. Sie hatte vor, ihn anzulocken. Zwar nicht heute, nicht morgen, gut Ding musste Weile haben. Sie seufzte. Ein Kind von Traurigkeit ist sie nie gewesen, sondern, in jungen Jahren, ein Feger. Längst vorbei das, doch natürlich war noch Feuer drinnen. Tja, der Wilfried. Man hatte bislang nur ein paar Worte gewechselt. Grad am vergangenen Tag hatte sie ihn von fern erblickt. Und sie wusste, er hatte ihr sehnsuchtsvoll nachgeschaut. Sie kannte ihn kaum, doch sie, die Erfahrene, hatte beschlossen: „Dieser soll es sein.“ Er war spröde, ziemlich albern war das, in seinem Alter. Er war ein bisschen spinnert; einmal, als sie ihn heimlich gemustert hatte, hatte sie den Eindruck gehabt, er stünde neben sich. Das fand sie eher lustig als befremdlich. Das Wichtigste: ein Liederjan war der Willi nicht. Er war arbeitslos und schämte sich deswegen. Es war vielleicht das Bewusstsein, ganz unten zu sein, das ihn abhielt, sich ihr zu nähern. Ein blödsinniges Verhalten. Er ganz unten, sie nicht weit drüber - der Unterschied war winzig. Mochte sein, ruck zuck käme es anders herum. Sie saß auf einem Schleudersitz. Wenn der Alte mal in übler Laune war, ein paar Stammgäste wegblieben, dann – „…wünsche viel Erfolg auf dem weiteren Lebensweg.“

      Grade in der Armut musste man doch zusammenstehen. Man konnte sich zu zweit besser vor der Kälte schützen,

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