Bodenfrost. Erhart Eller

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Bodenfrost - Erhart Eller

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als dass er sie mit sich ins Verderben zog? Sie war gewiss eine achtbare Frau, die ein unglückliches Leben mit einem Langzeit-Arbeitslosen namens Wilfried Schaffer nicht verdiente. Ja, wenn er besser dastünde, dann… Leider war die Wahrscheinlichkeit dieser Besserung so gering wie die, dass der Kriegsverbrecher Bush guten Endes vor ein Gericht gestellt würde. Er grollte. Unhaltbar war doch dieser Zustand, der ihm Enthaltsamkeit aufzwang. Keine Liebe möglich, aber auch nicht der Notbehelf, Verkehr gegen Geld. Leistete er sich diesen, müsste er tagelang hungern. Wie aber war der Zustand zu ändern?

      Da war nichts als ein großes Fragezeichen.

      Ein alter, hinfällig ausschauender, Mann, dem der linke Arm fehlte, nahm neben ihm Platz. Warum? Leere Bänke gab es genug. Der Mann kam ihm irgendwie bekannt vor; er kramte in seinem Gedächtnis, doch dieser Alte steckte in keiner Schublade. Der Einarmige überfiel ihn mit einer Frage: „Sind Sie für den Frieden?“ Was sollte das? „Selbstverständlich“ antwortete Schaffer mürrisch. Der Einarmige belehrte ihn: „Der Frieden ist das Wichtigste.“ Das wollte Schaffer durchaus nicht bestreiten. Doch das Nachfolgende fand er zweifelhaft. „Der Frieden muss um jeden Preis erkämpft werden.“

      Das einst gängige Gerede vom Friedenskampf hatte ihn immer gestört. Kampf und Frieden, wie passte denn das zusammen? Dazu um jeden Preis! Der friedfertige Schaffer hatte Lust auf Widerspruch. Pazifismus in Reinkultur bedeutete doch, im Fall des Falls ließ man sich widerstandslos abschlachten. Gleichwohl schwieg er, aus Ehrfurcht vor dem Alter. Der Einarmige hingegen gab sich redselig wie zu einem guten alten Bekannten. Man hatte ihn im Zweiten Weltkrieg, kurz vor dem Zusammenbruch, zur Wehrmacht eingezogen. Er hatte Glück, geriet unversehrt in Gefangenschaft. Die ist ihm unerträglich gewesen. Darum war er in die französische Fremdenlegion eingetreten. Die Legion als Ersatzmutter. Er hatte wieder Krieg spielen müssen. Auf einem Flugzeugträger wurde er über die Weltmeere geschippert. Die Wechsel zwischen den Klima- und Zeitzonen hatten ihn zermürbt. Auf der Insel Madagaskar wurde die Truppe angelandet, mit dem Auftrag, den Aufruhr in dieser Kolonie zu bekämpfen. Dort hatte er seinen linken Arm eingebüßt.

      In Wilfried Schaffers Kopf klickte es. Ja, klar, vor vielen Jahren hatte er die Geschichte schon einmal gehört. Man hatte beim Bier zusammengesessen. Er hatte eine Arbeit und einigermaßen guten Verdienst gehabt, das Bier ist billig gewesen, wenn auch nicht schmackhaft. Die Erzählung dieses bemerkenswerten, nicht beneidenswerten, Schicksals hatte ihn beeindruckt. Und er hatte damals den nicht Beneidenswerten beneidet, weil der vom französischen Staat eine monatliche Rente erhielt. Die war nicht hoch, doch wurde in Franc gezahlt. Wie gern hätte auch der junge Werktätige „frei konvertierbare Währung“ in Händen gehabt. Ein blödsinniger Neid ist das gewesen. Blut und Körperteil gegen Geld, in welcher Währung auch immer – was für ein schlechtes Geschäft!

      Der Alte sprach, seinen Kernsatz bekräftigend: „Ihr Jungen solltet das Glück schätzen, euer Lebtag in Frieden zu verbringen. Der Friede muss erhalten bleiben, koste es, was es wolle.“ Schaffer hielt nun doch Widerspruch für nötig. Er merkte an: „Von Frieden kann man eigentlich nicht reden. Denken Sie an Afghanistan, zum Beispiel. Auch unsere Landsleute sind dort zugange, freiwillig zwar, für auskömmliche Bezahlung …“ Der Einarmige fiel ihm erzürnt ins Wort: „Die sich dafür hergeben, sind Verbrecher. Diejenigen, die die jungen Männer dorthin schicken, sind Erzverbrecher.“ Schaffer nickte, obwohl er den ersten Teil der Aussage übertrieben fand. Er hatte Weiteres zu sagen: „Mit dem Frieden im Land ist es nicht weit her. Die Schikanen der Behörden gegen die Arbeitslosen – recht bedacht ist es ein Krieg der Reichen gegen die Armen. Unter solchen Bedingungen kann man doch nicht Pazifist sein. Dagegen muss man doch kämpfen. Nicht Amboss, sondern Hammer sein.“ Schaffer, der Friedfertige, wunderte sich nicht wenig über sich selbst, dass er sich so kämpferisch gab, dass ihm ein abgedroschener Spruch aus der Zeit des real existierenden Sozialismus über die Lippen kam. Er setzte sogar eins drauf: „Wir haben nichts zu verlieren, als unsere Ketten. Wir fürchten den Tod, aber noch mehr fürchten wir unser elendes Leben.“ Das kam nicht aus seinem Inneren. Das hatte er irgendwo aufgeschnappt. Überhaupt war es, das wusste er selber, nur leeres Gerede, aus Widerspenstigkeit gegen diesen Oberlehrer, der meinte, die Wahrheit gepachtet zu haben.

      Der Alte schüttelte seinen fast kahlen Kopf. „Ihr jungen Leute habt kein Recht, euch zu beklagen. Ihr habt es doch gut getroffen, auch wenn ihr nicht in Saus und Braus lebt. Wir Alten haben das Kriegs-Elend bis zur Neige ausgekostet.“ Wilfried Schaffer verkniff sich weiteren Widerspruch. Zu seiner Erleichterung kam ein Mensch heran, ungefähr seines Alters, an dem die große Hornbrille sowie das in Wirbeln stehende Kopfhaar auffiel. Der führte den Alten hinweg.

      Gedanklich noch mit dem Vorkommnis beschäftigt, bekam Schaffer neue Gesellschaft. Einen Mann, den er auf Mitte Fünfzig schätzte. Ihm schien Misstrauen angebracht, denn dieser Mensch sah nach „Besserverdiener“ aus und roch auch so. Wahrscheinlich war er vom Westen. Der Mann sprach ihn an, wollte wissen, ob er in dieser Stadt wohne. Die Frage beantwortete er einsilbig. Der Besserverdiener nickte erfreut. Er kam sogleich mit einem Anliegen, das immerhin verriet, dass er sich für keinen Besserwisser hielt: „Ich tät gern dies und jenes über meine frühere Heimatstadt und das Drum und Dran erfahren. Bin fremd geworden mittlerweile. Meine Familie ist, kurz vor dem Mauerbau, nach Westen geflüchtet.“ Schaffer erwiderte: „Da waren Sie in zahlreicher Gesellschaft.“ Der Westler nickte. Er schlug vor: „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, könnten Sie mich herumführen, bissel was zeigen, erklären. Sie schauen mir aus, als ob Sie Bescheid wüssten.“

      Das konnte Lob sein oder Spott. Dass Schaffer schwieg, deutete der Westler offenbar als Geldfrage. Er kündigte an: „Es soll Ihr Schaden nicht sein.“ Schaffer, der kein Blender war, gab zu bedenken: „Ein geprüfter Fremdenführer bin ich nicht.“

      Der Fremde winkte ab. „Wichtig ist nicht das Diplom, sondern der gesunde Menschenverstand. Also, wie ist es. Zeit werden Sie wohl über haben.“ Zeit über, so, so. Das war wohl Spott und hieß: „Wär ich nicht gekommen, tätst du dich den ganzen Tag in der sozialen Hängematte suhlen.“ Ein so verziertes Angebot misshagte ihm. Rundweg abschlagen wollte er es gleichwohl nicht. Argwöhnisch erkundigte er sich: „Wie viel Zeit haben Sie mitgebracht und an welches Geld dachten Sie?“ – „Würd sagen, eine halbe Stunde, zwanzig Euro – Leider bin ich etwas unter Zeitdruck.“

      Das war Musik für den gebeutelten Arbeitslosen. Mit einem Nicken besiegelte er den Vertrag. Der Fremde sagte munter: „Na dann, frisch fromm fröhlich frei. Lage, Aussichten, Geschichtliches und so.“

      Schaffer hielt einen kleinen Seitenhieb für nötig. Er streckte die Hand aus und sagte: „Einen Fünfer als Vorschuss bitte. Man hat seine Erfahrungen.“

      Der Westler schien Misstrauen gewohnt zu sein. Er lachte: „Sie sind ein Schlitzohr“ und reichte den kleinen Schein. Der Langzeit-Arbeitslose Wilfried Schaffer stellte froh fest, dass nun also ein kleines Glück über ihn gekommen war. Er konnte mit jemand reden. Und er war ein Wichtiger geworden, wenigstens für kurze Zeit. Er setzte eine Zielvorgabe: „Machen wir also einen Rundgang entlang der einstigen Stadtmauer.“ Los ging‘s, zunächst durch den leicht ansteigenden Park, der einst Stadtgraben war, mit den Resten der Stadtmauer zur Linken, entlang dieser bog man links ab. Der Führer verwies auf die beiden Türme, die von der einstigen Befestigung übrig waren, ließ wissen, dass deren einer „Pulverturm“ hieß. Dann lotste er seinen Mann ein Stück die Zeitzer Straße aufwärts, sagte dies und jenes zum links aufragenden Schloss, auf welche Weisen man es in der Vergangenheit genutzt hatte, über den gegenwärtigen Zustand und die Pläne, es aufzuhübschen. Anschließend schritt er ums Eck, die steile Schlossgasse abwärts, das Schloss zur Linken. Der einstige Verlauf der Stadtmauer war hier gut sichtbar. Obwohl der Führer, innerlich grinsend, immerzu zügig ausschritt, hielt der Geführte Schritt, mühelos, wie es schien, jedenfalls maulte er nicht. Schaffer fühlte sich frisch, trotz seines leeren Magens. Das Gefühl, eine Aufgabe zu haben, stärkte ihn. Er breitete unentwegt Tatsachen aus, gab Erklärungen, teilte auch Strittiges mit, Ungeklärtes, das er als ernsthafter Geleitsmann auch als unklar benannte.

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