Panoptikum des Grauens. Thomas Riedel
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Читать онлайн книгу Panoptikum des Grauens - Thomas Riedel страница 3
Gleichzeitig sprang in der Mitte des Raumes ein entsetzlich schnurrender Mechanismus an – ein menschlicher Springbrunnen.
In einem spärlich behaarten Schädel, dessen Augen die Besucher traurig anglotzten, endete ein Kupferrohr und ließ aus dem weit aufgerissenen Mund Blut sprudeln. Es wurde von einem freigelegten Herz hochgepumpt und fiel in einem hohen Bogen in eine grüne Schale, von wo der ewige Kreislauf aufs Neue begann. Ein elektrischer Schrittmacher sorgte dafür, dass dem konservierten, lebenswichtigen Organ keine Panne unterlief. Die Plastikschale am Fuß des Brunnens barg in einer klaren Lösung die Lungenflügel des Homunkulus. Beide Teile pulsierten wie faserige Schwämme im Rhythmus der menschlichen Maschine.
»Kein Gefühl, nur Bewusstsein«, feixte Shabistari und deutete auf den Schädel. »Das Gehirn ist mit allen Funktionen erhalten geblieben«, versicherte er. »Der Mann begreift, was mit ihm geschieht. Sein Bewusstsein signalisiert ihm die hoffnungslose Lage, schlägt pausenlos Alarm und zwingt den Torso, ständig nach einem Ausweg aus der Verzweiflung zu suchen.«
Wie als Antwort füllten sich die Augen des Unglücklichen mit Tränen, die langsam über die rosigen Wangen liefen. Seine bläulich verfärbten Lippen zitterten in stummer Qual, bis der nächste Blutsturz erfolgte und die Kinnwinkel auseinanderriss, sodass seine Luftröhre und sein Rachenraum freigelegt wurden.
»Auf dieser Welt ist alles machbar«, dozierte Kayleen Colemans teuflischer Nachbar. »Im Guten wie im Bösen.«
Sie wollte antworten, war aber vor Entsetzen wie gelähmt. Ihr wurde schwindelig, und sie tastete hilfesuchend nach einem Halt.
Kianoush Shabistari fing ihren Sturz ab, hob ihre schlanke Gestalt wie eine Feder auf und trug sie in sein Schlafzimmer.
Der nahe Triumph sprengte ihm fast die Brust, denn ab heute würde der alte, greise Lord Coleman für alles zahlen, was er in der Vergangenheit angerichtet hatte. Seine Enkelin bedeutete für Shabistari nur die erste Rate.
Er warf die junge Frau auf das breite Bett unter dem seidenen Baldachin und fesselte sie mit dünnen Seilen an Händen und Füßen.
Als er sich über sie schob, bäumte sich Kayleen Coleman auf und schrie: »Aber sind wir nicht ...?«
»Da muss ich mich ungenau ausgedrückt haben«, korrigierte er zynisch. »Sicher blieb die Vergewaltigung meiner Urgroßmutter damals nicht ohne Folgen. Das ist richtig. Aber mein Urgroßvater hat das Problem beseitigt und den Bastard gar nicht auswachsen lassen. Er hat ihn ähnlich präpariert wie den Mann, der uns ermorden sollte. Vielleicht sehen wir uns den Abkömmling seiner tugendhaften Lordschaft gelegentlich einmal an. Ich kann mich gar nicht an ihm sattsehen. Es ist wirklich ein phänomenaler Erfolg meines Urgroßvaters, wie gut er den kleinen Burschen präpariert und für die staunende Nachwelt aufgehoben hat.«
»Sie sind ein Teufel«, schluchzte sie hilflos.
Kianoush Shabistari lachte leise. Er wusste, dass er sein Ziel fast ohne Gewalt erreichen und sich dazu sehr viel Zeit lassen würde. Es würde eine spielerische Foltermethode anwenden, bei der es nicht so sehr auf Kraft ankam, sondern mehr auf Nervenstärke und völlige Beherrschung. Und davon besaß er beides in außergewöhnlichem Maß.
Er bewies es innerhalb der nächsten zwölf Stunden und besiegte sie vollkommener als jemals ein Mann eine Frau zuvor besiegt hatte.
Obwohl er völlig passiv, bewegungslos dalag, verwandelte er das junge Mädchen in ein wimmerndes Nervenbündel – hysterisch, zerschlagen und aufgelöst. Nur ein grausames Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Immer wieder lenkte er sich bewusst ab, dachte an etwas Anderes. Er malte sich bereits seinen nächsten Sieg über Lord Coleman aus, genoss im Voraus seine Rache, derweil er überlegte, wie er den alten Sir Winston in seine Gewalt bringen konnte.
Kapitel 3
R
oger Whitemoore hatte Kayleen Coleman in der vergangenen Ballsaison kennengelernt, und soweit es ihm sein Beruf erlaubte, die Verbindung zu ihr aufrecht erhalten. Er war leitender Mitarbeiter eines renommierten britischen Architekturbüros, das in zahlreiche ausländische Bauprojekte involviert war. Entsprechend selten verbrachte er seine wenigen freien Tage in London. Auch jetzt kam er gerade von einer Großbaustelle aus dem fernen Abu Dhabi zurück.
Sein erster Weg vom Flugplatz in ›Heathrow‹ führte ihn in der Regel direkt zu ihr, nachdem er sich zuvor per ›WhatsApp‹ anmeldete, um sie vorzuwarnen, wie er sich auszudrücken pflegte. Doch dieses Mal kreuzte er unangemeldet bei ihr auf.
Er ließ sein cremeweißes Jaguar Cabriolet vor dem Haus Nummer 7, ›Southwell Gardens‹, im Londoner Stadtteil ›Kensington‹, ausrollen, schnappte sich den Strauß gelber Teerosen, der auf dem schmalen Rücksitz lag, und eilte durch den Park zum Herrensitz im Tudorstil.
Whitemoore war ein breitschultriger, Fünfunddreißigjähriger, zu dessen zahlreichen Hobbys so ausgefallene Betätigungen wie Fallschirmspringen, Tiefseetauchen und Rallyefahren zählte. Er war der Typ des erfolgsverwöhnten, nüchternen Mannes, für den Hindernisse auf dem Weg nur einen zusätzlichen Ansporn bedeuteten. Als Architekt überließ er wenig dem Gefühl und fast alles dem Verstand.
Unter den Briten bedeutete er insofern eine Ausnahme, als dass er weder an irgendwelche Schlossgeister noch an das sagenumwobene Ungeheuer von ›Loch Ness‹ glaubte und all diese Dinge für wissenschaftlich erklärbar hielt.
Er wurde vom Butler in den Salon geführt, wo der inzwischen siebenundneunzigjährige Sir Winston über einer Partie Schach grübelte und seine Tochter, Lady Sarah Coleman, eine Patience legte.
Es war die Zeit kurz vor dem Mittagessen.
»Ah, wie nett von Ihnen, dass Sie uns wieder einmal besuchen, mein Junge«, rief ihm seine Lordschaft erfreut zu.
Unwillkürlich sandte Whitemoore ein stummes Gebet nach oben, der greise Knabe möge nicht wieder mit seinen endlosen, abenteuerlichen Geschichten über seine lang zurückliegende Militärzeit in Indien anfangen. »Meine Freude ist so groß, dass sie vom Kummer Tränen borgt, sich zu entladen«, zitierte er Shakespeare, gefolgt von der Frage: »Wo ist Kayleen? … Ich war in Abu Dhabi und habe ihr ein entzückendes Collier mitgebracht. Es dürfte ihr sicher gefallen.«
»Von wem sprechen Sie, Roger?«, erkundigte sich Lady Sarah. Sie blickte von ihren Karten auf, lächelte milde.
Lady Sarah war eine kurzbeinige, dickliche, kleine Frau mit rastlosen Vogelaugen und einer immerwährenden streitsüchtigen Kopfhaltung. Ihre Kleidung war aus schwarzer Seide, die sie seit dem Tod ihres Mannes vor neun Jahren als Zeichen ihrer Trauer nicht mehr abgelegt hatte. Auf ihrem Haar, dass noch immer frei von jeglichem Grau war, trug sie ein kleines weißes Spitzenhäubchen, und dies, in Verbindung mit ihrem Alter, ihrer ganzen Erscheinung und ihrem Gebaren – besonders der kleinen Hängebacken, in die ihre Wangen ausliefen, trugen dazu bei, ihr eine merkwürdige Ähnlichkeit mit der alten Queen Victoria zu verleihen, dessen sie sich sehr wohl bewusst war und worauf