Ein Ort in Italien. Emmi Ruprecht

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Ein Ort in Italien - Emmi Ruprecht

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ist und wo sie sich von der Pieke auf hochgearbeitet hat. Ihr Beruf fordere sie sehr und für ein Privatleben reiche die Zeit nicht. Darüber hinaus müsse sie sich auch um ihre Eltern kümmern, die zwar noch in ihrem Haus am Stadtrand von Köln wohnten, wo Petra jedoch regelmäßig nach dem Rechten sehen müsse. In früheren Jahren hätte sie häufiger in Clubs Urlaub gemacht, doch die ständige Aufforderung der Animateure, irgendwo mitzumachen, sei sehr anstrengend gewesen und außerdem wäre sie nun mal nicht so vergnügungssüchtig. Stattdessen hätte sie dann im letzten Jahr eine Bildungsreise ausprobiert, wo sie sich jedoch selbst mit einundfünfzig noch wie ein junger Hüpfer vorgekommen sei. Deshalb habe sie beschlossen, es in diesem Jahr mit etwas anderem zu versuchen, und so habe sie den Urlaub in Italien gebucht.

      Nachdem Petra mit ihrem kurzen Bericht nicht viel zur Ausgestaltung des Unterhaltungsprogramms beisteuern kann, beginnt Sabrina nun Vermutungen über ihren Urlaubsort, den Kurs und die sonstigen Teilnehmer anzustellen. Beide Frauen wissen nicht mehr, als ein paar Fotos im Internet an Informationen hergeben, und kennen auch keinen der anderen Gäste. Deshalb werden unter der Leitung von Sabrina immer wildere Spekulationen über ihre noch unbekannten Urlaubsgefährten angestellt, in deren Verlauf die hoffentlich vorhandenen Männer – buchen Männer Musikkurse in Italien? – immer attraktiver und interessanter und den teilnehmenden Frauen immer mehr optische und musikalische Fähigkeiten abgesprochen werden.

      Für Sabrina ist klar, dass sie beide unbedingt eine Bereicherung für den Kurs darstellen werden. Dabei ist sie natürlich heimlich so ehrlich, das nur für sich selbst anzunehmen. Schließlich weiß Sabrina, was sie kann! Und jeder, der mehr zu bieten hätte, würde sicherlich mit Musik sein Geld verdienen und wäre nicht zur Inspiration oder Perfektionierung seines Könnens auf einen Kurs ohne qualitative Eignungsvoraussetzungen angewiesen. Petra hingegen mag zwar eine erfolgreiche Managerin sein, aber ein ausgesprochenes musikalisches Talent ist sie nach eigenen Angaben nicht, und Sabrina hat keinen Grund zu vermuten, dass sich ihre Chauffeurin übermäßig bescheiden bei der Beschreibung ihres Könnens gibt.

      Das zeigt sich dann auch kurze Zeit später, als den beiden am frühen Nachmittag der Gesprächsstoff ausgeht. Da sind sie bereits kurz vor Bologna. Kurzerhand beschließt Sabrina zu singen. Schließlich sind sie ja auf dem Weg zu einem Musikurlaub und da kann es nicht schaden, schon mal die Stimmbänder zu trainieren. Wenn es der Platz auf dem Beifahrersitz zugelassen hätte, dann hätte sie auch gerne noch mit ihrer Gitarre eine Begleitung angestimmt. Aber diesen Raum bietet nicht einmal der komfortable Schlitten, in dem sie unterwegs sind, wie sie Petra ein bisschen hämisch wissen lässt. Doch auch ohne Gitarre und Liederbuch ist Sabrina eine schier unerschöpfliche Quelle von Songs, die sie zum Besten gibt. Als dann Petra bei einem ihr bekannten Stück für ihre Verhältnisse fast übermütig mit einsteigt, bestätigt sich Sabrinas Vermutung, dass ihre Mitfahrgelegenheit bei der Beschreibung ihres musikalischen Könnens nicht untertrieben hat – zumindest was den Gesang betrifft.

      Trotz einiger schräger Töne vergeht die Zeit wie im Fluge, bis sie von der Autobahn abfahren. Bald folgen sie einer schmaleren Straße und finden sich schließlich recht unvermittelt auf Serpentinen wieder, die sich unermüdlich die Berge hinauf und manchmal auch wieder hinunter schlängeln. Nachdem sie die ersten Kurven der schmalen Straße genommen hat, macht Petra eine amüsierte Bemerkung: „Huch, sind das jetzt die berühmten italienischen Serpentinen? Großartig! Ich bin noch nie Serpentinen gefahren!“

      Doch spätestens als ihr das erste Auto mit großer Geschwindigkeit unvermutet in einer unübersichtlichen Kurve entgegenkommt, hört Petra auf zu singen und konzentriert sich lieber voll aufs Fahren. Sabrina hingegen scheint gar nicht zu bemerken, dass ihre Mitstreiterin plötzlich still geworden ist. Unermüdlich trällert sie weiter und amüsiert sich großartig. Zwischendurch unterbricht sie ihren Gesang nur, um Petra auf die Besonderheiten der beeindruckenden italienischen Berglandschaft hinzuweisen.

      „Guck dir das an!“, lacht sie und wedelt mit dem Finger vor Petras Gesicht herum, als sie ein Stück voraus eine kaum gesicherte Kurve über einer besonders steil abfallenden Bergwand entdeckt. In diesem Moment nutzt ein wagemutiger Motorradfahrer die Gelegenheit, den die Berge hinaufkriechenden Wagen zu überholen. Petra stößt einen kurzen Schrei aus, weil sie ihn erst im letzten Moment bemerkt. Überrascht schaut Sabrina zu ihr hinüber. Albert Petra herum? Dann aber bemerkt sie die angespannte, nach vorne gebeugte Haltung der Fahrerin, die fast direkt hinter der Windschutzscheibe klebt, und die weiß hervortretenden Fingerknöchel der Hände am Lenkrad. Von diesem Moment an verzichtet auch Sabrina vorsichtshalber auf Ablenkungen der Fahrerin aller Art, die sie bis hierhin für unbedingt nötig gehalten hat. Sie summt nur noch leise vor sich hin, um sich selbst Mut zu machen.

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