Ein Ort in Italien. Emmi Ruprecht
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Innerlich schüttelt Sabrina den Kopf: Immer wieder schneien solche Kundinnen in ihren Laden, die wie Petra meinen, mit Gewalt etwas aus ihrem farblosen Typ machen zu müssen. Solche Frauen kleiden sich mit auffälligen, aber unpassenden Farben und wollen dazu von ihr mit einer auffälligen, aber leider auch unpassenden Frisur versorgt werden. Das Ergebnis fällt dann erwartungsgemäß regelmäßig so aus, dass man denken könnte, ein Spatz würde sich als Paradiesvogel verkleiden! Kaum jemals ist es Sabrina gelungen, solche Kundinnen davon zu überzeugen, ihrem Typ entsprechende Veränderungen ihres Äußeren vorzunehmen. Immer wieder bestanden sie am Ende doch auf irgendwelchen unpassenden Modefarben und ebenso unpassenden, auffälligen Schnitten. Irgendwann hat sie es aufgegeben, solche Diskussionen zu führen und lässt ihren Klienten ihren Willen – auch wenn sie oft kurz davor ist sie zu bitten, nach der Behandlung den Laden durch den Hinterausgang zu verlassen.
Doch was spielt das hier schon für eine Rolle? Sabrina ist froh, mit Petra eine Mitfahrgelegenheit gefunden zu haben, die es ihr ermöglicht, auf äußerst komfortable Weise nach Italien zu reisen. Und komfortabel ist dieser großräumige Wagen allemal! Mit ihrem eigenen Auto, einem sehr betagten Kleinwagen mit nur 45 PS, hätte sie sich äußerst ungern auf die lange Strecke und diverse für ein Vehikel wie ihres sehr anspruchsvolle Steigungen eingelassen. Deshalb war sie angenehm überrascht, als dieses in ihren Augen nahezu luxuriöse Gefährt am frühen Morgen vor ihrem Haus in einem kleinen Dorf in der Nähe des Siebengebirges gehalten hat, um sie mitzunehmen.
Bis zu diesem Morgen – eigentlich war es noch mitten in der Nacht – kannten die beiden Frauen sich nicht. Der Veranstalter des Musik-Workshops hatte es vor ein paar Wochen übernommen, Fahrgemeinschaften unter den Teilnehmern zu initiieren. Petra hatte einen Platz in ihrem Wagen angeboten und Sabrina hatte gerne angenommen. Als dann die schwarz glänzende Limousine vor ihrem Häuschen in der engen Straße gehalten hatte und Petra ausgestiegen war, hatte sie ganz überrascht gefragt, ob das der Wagen ihres Mannes sei und ob der wüsste, dass sie damit unterwegs wäre. Eine Frau und so ein großes, PS-starkes Auto – das passte für Sabrina bis dahin überhaupt nicht zusammen. Aber Petra hatte nur geschmeichelt gelächelt und gemeint, als Führungskraft eines international erfolgreichen Unternehmens stände ihr ein Dienstwagen zu.
In Sabrinas Augen stieg Petras Ansehen in diesem Moment ins Unermessliche. Führungskraft und Dienstwagen. Als Frau. In Deutschland. Beinahe unglaublich!
Sie schluckte. Das musste sie erst mal verdauen. Ein Anflug von Neid kroch in ihr hoch: So muss das wohl sein, wenn man „es zu etwas gebracht“ hat, wie ihre Eltern immer sagen.
Sabrina unterdrückte eine bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, aber sie wollte sich auch ihre Bewunderung nicht anmerken lassen. Ohne einen weiteren Kommentar hatte sie ihre umfangreiche Ausrüstung im Wagen verstaut: einen Koffer, eine mittelgroße Reisetasche, die Gitarre im gepolsterten Rucksack und noch ein paar kleine Taschen und Beutel. Für ein weniger geräumiges Auto wäre diese Menge an Gepäck, zusätzlich zu Petras Ausstattung, tatsächlich ein Problem gewesen. Doch mit diesem Wagen konnten die beiden, ohne Platzprobleme diskutieren zu müssen, sogleich in Richtung Süden starten.
Schon bald merkte Sabrina, dass Petra eine unsichere Fahrerin ist. Anfangs zerrte das ein bisschen an ihren Nerven, jedoch fährt Sabrina selbst nur ungern fremde Autos. Deshalb war sie eifrig bemüht, einen Fahrerwechsel zu vermeiden und lehnte zu Beginn der Fahrt ein entsprechendes Angebot dankend ab. Petra quittierte das mit einem Achselzucken und fing nicht mehr davon an. Sabrina revanchierte sich stattdessen damit, während der Fahrt für Unterhaltung zu sorgen und die Fahrerin bei Laune zu halten.
Und bis jetzt gelingt ihr das in ihren Augen recht gut! Denn wenn Sabrina in einer Sache wirklich unschlagbar ist, dann darin, andere zu bespaßen. Sie kann unzählige Anekdoten aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz zum Besten geben. Auch ihre Schlagfertigkeit kennt keine Grenzen – zu allem und jedem fällt ihr sofort ein passender Kommentar ein. "So hat doch jeder in dieser Fahrgemeinschaft seine Aufgabe", denkt Sabrina. Besser so als andersrum, denn Petra scheint in ihren Augen zwar ganz nett zu sein, aber auch ein wenig verkrampft und vor allem gar kein bisschen schlagfertig. Aber da kann sie ja von Sabrina noch etwas lernen!
Mit dieser Arbeitsteilung gelingt es den beiden, den ersten Teil ihrer Reise über Basel und dann durch die Schweizer Alpen in angenehm klimatisierter Umgebung zügig hinter sich zu bringen. Kurz vor der italienischen Grenze ist Petra bereits bestens über das aufregende Leben einer Friseurin mit eigenem Studio informiert. Sie weiß, dass die einundvierzigjährige Sabrina neben dem Aufbau ihres Friseurgeschäfts eine Tochter ganz allein großgezogen hat, die jetzt siebzehn ist. Anastasia, so heißt sie, hätte ihre Mutter zu diesem Urlaub überredet, weil sie so viel gearbeitet hätte und sich unbedingt einmal etwas gönnen sollte. Ein Musikurlaub sei da genau das Richtige, fanden beide. Schließlich gibt es kaum eine Feier im Freundes- und Bekanntenkreis, wo Sabrina nicht inständig gebeten wird, ihre Gitarre mitzubringen und die Gesellschaft mit ihrer Kunst zu unterhalten. Die Stimmung sei immer bombig, wenn sie loslege, berichtet sie stolz, und außerdem gäbe es kaum einen Song, den sie nicht kenne.
Wenn Petra ihre Beifahrerin so ansieht, dann kann sie sich deren Alleinunterhaltungsqualitäten auch bestens vorstellen. Sabrina ist eine sehr auffällige Gestalt, allein schon durch ihre körperlichen Merkmale: Sie ist groß, verfügt über üppige Rundungen und weiß diese durch auffällige Kleidung in Szene zu setzen. Ihre schulterlangen, blonden Haare mit schwarzen und roten Strähnen und ihre sorgfältig lackierten und mit Strasssteinchen besetzten Fingernägel tun ein Übriges, ihr imposantes Äußeres zu unterstreichen.
Petra ist dankbar, mit ihrer Begleiterin eine Stimmungskanone erwischt zu haben, mit der sie sich auch noch gut versteht. Sie weiß von sich selbst, wie schwer es ihr fällt, aus sich heraus und vor allem auf andere zuzugehen, und in Gesellschaft lebhafter Menschen fühlt sie sich oft noch gehemmter. Aber nun hat sie mit Sabrina eine sehr extrovertierte Persönlichkeit an ihrer Seite, die sich schnell in ihrer italienischen Urlaubsstätte zurechtfinden wird. Wenn sie sich also an Sabrina hält, dann ist sie in dieser Woche in bester Begleitung und kann ihr die Führung überlassen, ohne den Anschluss an die Gruppe zu verlieren.
Auch wenn Petra es als Führungskraft gewohnt ist, sich in einem oft unwirtlichen Umfeld durchzusetzen, sich Gehör zu verschaffen und schon seit vielen Jahren auf ihrem Posten zu überleben, so ist die Woche in Italien doch eine komplett andere Herausforderung als ihr Beruf. Es gilt, in völlig unbekannter Umgebung und ohne sich auf einen hierarchischen Status verlassen zu können, zu bestehen. Außerdem geht es dort, in diesem Musikkurs, nicht um Zahlen, Daten und Fakten, sondern sie wird ein eher fremdes Terrain betreten, wo sie nicht versiert mit ihren beruflichen Kompetenzen glänzen kann. Dort wird sie nicht mehr vorzuweisen haben als ein paar Stunden Gitarrenunterricht, die bereits einige Jahre zurückliegen, und ein paar Übungseinheiten zur Entspannung nach einem langen Arbeitstag. Das verunsichert sie sehr! Schließlich lebt sie in einem Umfeld, in dem es fast ausschließlich darum geht, „wer den längsten hat“, um mal den Kollegen aus dem Vertrieb zu zitieren, der ihr damit bei einem Führungskräftetreffen nach einigen Gläsern Wein seine Philosophie des Karrieremachens offenbarte. Für eine Frau ist es nicht immer einfach, bei diesem Wettbewerb mit männerspezifischen Regeln mitzumachen. Doch Petra wusste stets ihre fachliche Kompetenz, ihre Anpassungsfähigkeit und kräftige Ellbogen einzusetzen, um ein gutes Plätzchen in der Hierarchie zu ergattern. An ihrem Urlaubsort werden diese Qualifikationen jedoch kaum eine Bedeutung haben. Umso besser, wenn sie mit Sabrina, der im musikalischen Bereich nichts fremd zu sein scheint, jemanden an ihrer Seite hat, der dafür sorgt, dass sie nicht untergehen wird!
Nachdem Sabrina bis kurz vor der italienischen Grenze über ihr Leben