Ein Ort in Italien. Emmi Ruprecht
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Читать онлайн книгу Ein Ort in Italien - Emmi Ruprecht страница 6
Monika bemerkt, dass sie immer noch auf die Dunstabzugshaube starrt. In ihrem Bauch ballt sich schon wieder diese tief sitzende Wut zusammen. Sie findet einfach keine Erlösung, weil sie schon vor langer Zeit eine unauflösliche Allianz eingegangen ist mit einem schlechten Gewissen und dem Wissen darum, dass ihre Mutter in ihrem hohen Alter tatsächlich kaum in der Lage sein wird, auch nur das Geringste an ihrem Anspruchsverhalten zu ändern. Sie weiß, dass sie letztlich nichts tun kann, um diese Situation, die sie seit ihrer Kindheit verfolgt, zu ändern – außer, sie brächte ihre Mutter um. Doch das kommt bei Monika nur als rein hypothetische Lösung infrage, genauso wie der Plan, es ihrer Schwester gleichzutun und auszuwandern. Schließlich müsste sie dann auch ihr eigenes Leben zurücklassen.
Doch damals, vor ein paar Monaten, als sie nach dem kurzen Wortwechsel mit ihrem Mann in die Feldmark hinausgestürmt war, hatte sich plötzlich die Frage aufgedrängt, was sie denn genau zurücklassen würde, wenn sie tatsächlich ihr altes Leben aufgäbe: ein Leben, das aus einem erträglichen, aber nie erfüllenden Halbtagsjob besteht, aus Kindern, die sie sehr liebt, die jedoch längst auf dem Sprung sind, ihr eigenes Leben zu leben, und einem Mann, der eigentlich längst dasselbe tut. Reicht das aus um zu bleiben?
Damals hatte ihr dieses ganze Konglomerat an fragwürdigen Details, die ihr Leben bestimmen, fast den Atem geraubt. Ihr war klar geworden, dass sich etwas ändern muss, wenn sie nicht sehenden Auges in eine aussichtslos deprimierende Situation hineinschlittern will, in der ihre eigenen Bedürfnisse keine Bedeutung mehr haben. Auch wurde ihr klar, dass sie sich dieser Zukunft nur durch eine Flucht entziehen könnte, die zumindest kurzzeitig Erleichterung und die Möglichkeit bringen würde, in Ruhe über ihr weiteres Leben nachzudenken.
Doch wohin sollte sie schon fliehen?
Noch am selben Abend hatte sie eine Frauenzeitschrift zur Hand genommen, nur um sich von ihrer Wut und der frustrierenden Zwickmühle, in der sie sich befand, abzulenken. Dort hatte sie von diesem „Sehnsuchtsort“ in Italien gelesen, wo man in reizvoller Landschaft auf einem liebevoll restaurierten Gutshof eine Auszeit vom Alltag nehmen kann. Das gute Essen wurde gelobt und die Abgeschiedenheit weitab von dem nächsten Dorf und erst recht von der nächsten Stadt betont. Wer der Allgegenwärtigkeit der Medien entkommen wolle, sei dort genau richtig, denn vor allem eines sei an diesem Ort nur selten zu bekommen – ein Netz. Und mehr als alles andere erschien Monika in diesem Moment genau dieser Hinweis das beste Argument dafür zu sein, einen Urlaub an diesem Ort in Italien zu buchen!
Es klingelt an der Tür. Das Taxi. Oh je – sie wollte doch noch ein paar Bücher für die Reise aussuchen. Sie läuft ins Wohnzimmer und fischt nach schneller Durchsicht zwei Romane aus dem Regal und ein Sachbuch, das sie zum Geburtstag bekommen hat. Schließlich muss sie sich auch in reizvollster Landschaft irgendwie beschäftigen. Das bisschen Singen und Gitarre spielen, wovon in der Anmeldung die Rede war, würde ja nicht viel Zeit beanspruchen. Außerdem hat sie darauf sowieso keine Lust und wird derlei Aktivitäten den anderen Gästen überlassen. Sie will einfach nur in Ruhe nachdenken und dabei nicht ganz einsam sein.
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Carola und Maik
Carola und Maik haben kein Auge für die beeindruckende Kulisse um sie herum. Seit Stunden fahren sie schon durch die Alpentäler Norditaliens, die sich mit der Reise nach Süden immer weiter öffnen, vorbei an beeindruckenden Bergformationen, romantischen, an atemberaubend steilen Hängen gebauten Burgen und entzückenden kleinen Ortschaften. Doch keiner von beiden scheint die Schönheit der immer neuen Aussichten wahrnehmen zu können, obwohl sie in einem Cabriolet sitzen, welches die besten Voraussetzungen für den Genuss dieser einzigartigen Region bietet.
Gerade haben sie sich wieder in den Verkehr der Autobahn eingefädelt, nachdem sie an einer „area di servizio“ kurz hinter Bozen getankt und einen Espresso sowie ein Panini zu sich genommen haben. Carola hat nun das Steuer übernommen. Maik versucht, sich damit abzufinden und auf dem Beifahrersitz zu entspannen. Das fällt ihm schwer, da er sich am Lenkrad als Herr der Lage wohler fühlt. Aber Carola hat darauf bestanden, dass sie sich abwechseln, weil sie „leichte Ermüdungserscheinungen“ beim Fahrer festzustellen meinte. Maik konnte das zwar nicht erkennen, denn schließlich hatte das Wohnwagengespann vor ihm wirklich völlig unvorhergesehen gebremst. Aber Carola ist nach der Rast, als er noch kurz die Örtlichkeiten aufsuchte, einfach auf den Fahrersitz gerutscht und sieht nicht so aus, als würde sie diesen Umstand zur Diskussion stellen wollen.
Und jetzt hängen sie schon seit einem Kilometer hinter demselben LKW!
“Du kannst überholen“, ermutigt Maik seine Frau. Doch Carola schaut nur kurz in seine Richtung und er ist sicher, er würde hören, dass sie gerade geräuschvoll die Luft durch die Nase einzieht, wenn sie nicht im Cabriolet säßen und die Fahrgeräusche solche Dinge übertönten.
Er rollt mit den Augen und wendet sich ab. Missmutig starrt er zur Seite, um sich nicht länger darüber aufregen zu müssen, dass Carola dem behäbigen Laster hinterherdackelt.
In letzter Zeit fragt er sich manchmal, ob es damals, vor fast 15 Jahren, wirklich so eine gute Idee war, sich in Carola zu verlieben. Sein bester Freund hatte ihn gewarnt und seine Eltern sowieso. „Die ist nichts für dich, das gibt nur Ärger“, hatte André gesagt. Und seine Mutter hatte gemeint, er solle sich doch ein Mädchen „aus seinem Umfeld“ suchen, eine, die nicht studiert und aus einer Akademikerfamilie kommt wie Carola.
Aber über solche Sprüche hatte Maik sich nur amüsiert. Gerade Carolas „Klasse“, wie er es nannte, hatte ihn gereizt. Sie war so ganz anders als die Mädchen, mit denen er sonst zu tun hatte: Sie sprach viel melodiöser und gewählter, obwohl sie manchmal mit Vorliebe recht derbe Ausdrücke gebrauchte. Sie bewegte sich auch anders: weder so trampelig wie die einen, noch so affektiert wie die anderen Freundinnen seiner Kumpel. Ihr ganzes Wesen strahlte Eleganz aus und ihr Ausdruck war stets eloquent – auch ein Wort, welches er durch sie gelernt hat. Außerdem war sie bildschön und früher für ihn unwiderstehlich gewesen mit ihren langen blonden Haaren und dem ausgeprägten runden Hinterteil unter der extrem schmalen Taille. Niemals hätte er diese Frau ziehen lassen, die alles verkörperte, was er bewunderte und begehrte. Er war monatelang stolz wie ein Pfau neben ihr her spaziert, als er sie endlich ganz für sich erobern konnte.
Anfangs hatte ihm der Verlauf ihrer Beziehung bestätigt, dass es richtig war, sich nicht beirren zu lassen, sondern um diese Frau zu werben. Er war neunundzwanzig und sie zweiundzwanzig, als sie sich kennenlernten. Sie war noch ein junges Mädchen und kaum der behüteten Umgebung ihres Elternhauses entwachsen. Er dagegen war bereits ein gestandener Mann, der nicht schlecht verdiente im Betrieb seines Vaters, von dem er bereits wusste, dass er ihn eines Tages übernehmen würde. Er hatte etwas zu bieten, jedenfalls mehr als diese Studenten, die – noch feucht hinter den Ohren – von Papa und Mama lebten und wilde Weltverbesserungstheorien diskutierten, weil sie noch keine Ahnung von Verantwortung und der rauen Wirklichkeit hatten. Das gab ihm das nötige Selbstbewusstsein, sich neben dieser Frau nicht unwohl zu fühlen und darüber hinaus auch einiges anzunehmen, was sie ihm an Stil und Umgangsformen vorlebte.
Darüber hinaus fühlte er sich auch sehr wohl in ihrer Familie, die ihn vorbehaltlos in ihrer Mitte akzeptierte – jedenfalls ließ sie ihn nie etwas anderes spüren. Er hatte das Gefühl, das ganz große Los gezogen zu haben. Mit Carola hatte er die richtige Frau an seiner Seite, um sich aus den ihn schon immer einengenden Verhältnissen, in denen er lebte, herauszuentwickeln. Dabei musste er nicht einmal seine Wurzeln aufgeben, denn Carola hatte keinerlei Berührungsängste mit seiner Familie und seinen Freunden. Sie schien gerne in „seiner“