Ein Ort in Italien. Emmi Ruprecht

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Ein Ort in Italien - Emmi Ruprecht

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die in der spärlichen Freizeit gerade so Platz finden. So wurde es zu Beginn ihrer Ehe unausgesprochen vereinbart und so wird es seitdem gelebt. Was ist schlimm daran?

      „Dass ihn alles andere nicht interessiert. Dass ihn nichts interessiert, solange die Familie irgendwie funktioniert und er sich bitte, bitte, bitte um keinerlei private Probleme kümmern muss“, schießt es ihr durch den Kopf. Schmerzlich wird ihr einmal wieder bewusst, wie unglaublich leer ihrer beider Zusammenleben geworden ist.

      Vermutlich war das auch der Grund dafür, dass sie ihrem Mann unlängst eröffnet hat, dass sie wieder ganztags arbeiten will, nachdem die Kinder nun mehr oder weniger aus dem Haus sind. Nele hat gerade Abitur gemacht und Felix ist sowieso nur noch am Wochenende da – wenn überhaupt – und ansonsten froh über sein selbstständiges Studentenleben in der eigenen Bude. Deshalb hat sie damit gerechnet, dass Volker ihre Idee gar nicht schlecht finden würde. Was sollte er auch dagegen haben? Er ist sowieso fast nie vor zwanzig Uhr zu Hause und würde es gar nicht bemerken, wenn sie nun auch die Nachmittage in der Stadtverwaltung zubrächte. Also konnte ihr Plan doch nur seine Zustimmung finden, hat sie gedacht.

      Doch kaum hat sie ihm davon erzählt, da war die Sache irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Vielleicht hat ihr Mann gar nicht vorgehabt, ihr Steine in den Weg zu legen oder ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Vielleicht hat er nur wieder einmal überhaupt nicht richtig zugehört und schon gar nicht realisiert, dass es einfach mal um sie, seine Frau, ging. Und genau diese Ignoranz ihr gegenüber hat sie auf die Palme gebracht!

      Volker hat den Fehler gemacht, Monika darauf hinzuweisen, dass ihre Mutter bereits angekündigt hatte, die Unterstützung ihrer Tochter zu benötigen. Sie plante nämlich, ihr Haus zu verkaufen und in eine weniger große Wohnung umzuziehen. Um das zu bewerkstelligen, muss jedoch der gesamte Haushalt durchforstet und entschieden werden, welche Stücke mit in die neue Wohnung kommen sollen, welche nicht und was mit dem Rest passieren soll. Monikas Mutter hatte sie bereits gebeten, ihr dabei zur Hand zu gehen. Ob sie denn dann wirklich Zeit hätte, ganztags zu arbeiten, wenn sie sich um den Hausverkauf und den Umzug ihrer Mutter kümmern müsse, hat Volker gefragt. Da hat Monika Rot gesehen. Von jetzt auf gleich war sie implodiert. Sie hat ihren Mann hasserfüllt angestarrt, der sich schon wieder hinter seinem Tablet verschanzt hat, ohne dem Ganzen weiter Aufmerksamkeit zu schenken. Ohnmächtig vor Wut, aber wortlos, weil sie schon lange eingesehen hatte, dass Diskussionen nichts brachten, hat sie ihre Stiefel angezogen und war aus dem Haus gerannt, um sich bei einem Spaziergang wieder zu fangen.

      Ihre Mutter!

      Oh ja, ihre Mutter kann locker einen ganzen Stall von Bediensteten beschäftigen. Das hat sie auch zeitlebens getan! Schon in Monikas Kindheit hatte sich der Alltag ihres Vaters, ihrer Schwester und ihr eigener ausschließlich nach dem Rhythmus, den Befindlichkeiten und den Launen ihrer Mutter ausgerichtet. Auch heute noch wird jeder, absolut jeder, der nicht schnell genug das Weite sucht, von der mittlerweile älteren Dame und ihren Ansprüchen vereinnahmt.

      Ihre Mutter war Opernsängerin gewesen – eine recht gute und angesehene obendrein. Ihr Vater, Gott hab‘ ihn selig, hatte sie vergöttert. Dieser unselige Umstand der Anbetung durch ihren Vater sowie der angeborene Narzissmus ihrer Mutter in Kombination mit der sensiblen Künstlerin, die sie vorgab zu sein oder vielleicht auch wirklich war, sorgte dafür, dass sich alles im Hause der Familie um ihre Bedürfnisse drehte. Ihre Mutter brauchte absolute Einkehr vor ihren Auftritten, um sich zu konzentrieren und in ihre Rolle einzufühlen. Sie brauchte Ruhe nach ihren Auftritten, weil diese sie emotional sehr erschöpften. Und auch zwischendurch mussten sich alle Familienmitglieder im Haus auf Zehenspitzen fortbewegen, weil ihre Mutter von den meisten Proben in höchster Erregung nach Hause zurückkam. Dann war wieder irgendetwas ganz Furchtbares vorgefallen, was ihre sensible Künstlerseele in Aufruhr versetzt hatte: Mal war es ein zu harter Anschlag des Pianisten gewesen, mal ein vermeintlich kritischer Blick des Intendanten, dann ein falscher Ton ihres Partners beim Duett – der Möglichkeiten gab es unendlich viele. Darüber hinaus hagelte es ununterbrochen Anweisungen, wie um ihre Mutter herum zu verfahren sei: „Jetzt nicht, Kinder, ich brauche Ruhe“, „Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt leise spielen? Ich muss mich konzentrieren“, „Wer hat das Fenster aufgemacht? Soll ich die Tosca heiser singen?“, „Monika, machst du mir bitte einen Tee, Liebes? Ich habe solch ein Kopfweh“, „Ich habe ganz vergessen, dass heute der Dirigent mit seiner Frau zum Essen vorbeikommt, und jetzt muss ich zur Probe. Monika, könntest du bitte …“ und so weiter und so fort. All das und noch viel mehr Dinge, die ihre Mutter betrafen, mussten im Familienleben berücksichtigt werden. Etwas anders zählte nicht, ja es gab gar nichts anderes.

      Als Monika erwachsen wurde, gelang es ihr nur mit Mühe, sich der allumfassenden Präsenz und Bedürftigkeit ihrer Mutter zu entziehen. Um ihren Eltern keinerlei Gelegenheit zu geben, sie mit finanzieller Abhängigkeit an sich zu binden, hatte Monika nicht studiert, wie sie es gerne getan hätte, sondern eine Ausbildung in einem großen Industrieunternehmen begonnen, wo sie schon in der Lehre relativ gut verdiente. Solange sie noch zu Hause wohnte, legte sie das Geld sorgfältig zurück und sparte, wo sie nur konnte. Als dann die Lehrzeit fast überstanden war und sie ihre Finanzen bis zum Beginn einer fest zugesagten Anstellung gesichert hatte, suchte sie sich zügig eine Wohnung. Wohlweislich informierte sie ihre Eltern erst kurz vor ihrem Auszug über das Vorhaben und den bereits unterzeichneten Mietvertrag. Alles andere wäre grob fahrlässig gewesen! Ihre Mutter schätzte es nicht, wenn sie auf gewohnte Bequemlichkeiten verzichten musste, und hätte sicher und vermutlich auch erfolgreich interveniert.

      Von dem Moment ihres Auszugs an hatte Monika alles vermieden, was sie wieder in riskante Nähe zu ihrem Elternhaus gebracht hätte. Da sie den Kontakt zu ihren Eltern jedoch nicht komplett und rigoros beenden wollte, war das ein ständiger Drahtseilakt gewesen, der bis heute andauert, denn auch jetzt noch muss sie jeden kleinen Finger, den sie ihrer Mutter reicht, schnell mit der ganzen Hand bezahlen.

      Monikas Schwester Ute hatte das Problem sehr viel konsequenter gelöst: Sie hatte sich in einen amerikanischen Soldaten verliebt, der in der Nähe stationiert war. Kaum volljährig war sie ihm in die Staaten gefolgt, als seine Zeit in Deutschland abgelaufen war. Glück für Ute, Pech für Monika: Sie hatte die Liebe zu Volker leider nur bis in die nächste Stadt gebracht – und das war allzu oft eine viel zu geringe Distanz zu den Ansprüchen ihrer Mutter!

      Doch Monika war lernfähig. Mit der Zeit und mit wachsendem Selbstbewusstsein hatte sie es geschafft, sich ihren Freiraum zu erobern und die Trennung der Lebensräume zu konsolidieren. Als dann vor ein paar Jahren ihr Vater unvermittelt starb, schwitzte Monika noch einmal für ein paar Monate Blut und Wasser: Sie befürchtete, dass sie ihr Schicksal nun doch noch ereilen und ihre Mutter in völliger, hochkünstlerischer Lebensuntüchtigkeit auf ihre Unterstützung angewiesen sein würde. Es wäre Monika äußerst schwer gefallen, sich angesichts dieses dramatischen Verlustes dem bedürftigen Zugriff ihrer Mutter zu verweigern. Doch glücklicherweise fand sich schon bald ein neuer, beziehungsweise alter Verehrer der Kunst ihrer Mutter, der sich als erfolgreicher Versicherungsmakler auch fantastisch darauf verstand, ihr bei allem, was Finanzen, Versicherungen und sonstigen Papierkram anging, um den sich bis dahin ihr Vater gekümmert hatte, zur Hand zu gehen. Monika war erleichtert.

      Vor ein paar Monaten jedoch fing ihre Mutter an, mit dem Gedanken zu spielen, gemeinsam mit dem mittlerweile verrenteten Makler zusammenzuziehen. Dazu muss jetzt ihr Haushalt, beziehungsweise Monikas Elternhaus, mit allem, was ein Familienleben lang dort angesammelt wurde, aufgelöst werden. Für solcherlei Aktivitäten ist jedoch der tatkräftige Ex-Makler nicht die richtige Adresse und Monika geriet wieder akut ins Visier ihrer Mutter! Ihr graut davor, die vermutlich ewig andauernden, unseligen Diskussionen mit ihr darüber zu führen, was sie noch braucht und was nicht und was weggeschmissen werden darf. Denn so, wie sie ihre Mutter kennt, wird sie auch dabei wieder alles tun, um ihrem Künstlerinnen-Image entsprechend in Lebensuntüchtigkeit zu glänzen, um sich möglichst ausgiebig den Diensten ihrer Tochter zu versichern! Um alles, was Aufmerksamkeit und einen umfangreichen Stab an Personal verspricht, wird bis zum letzten Atemzug mit Bitten und Betteln, Tränen,

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