Flammenreiter. Thomas Riedel
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Nach seinem kurzen, intensiven Rundumblick, zog er sein speckiges Notizbuch aus der verbeulten Tasche seiner Jacke. Dann ließ er einen Bleistift in seiner rechten Pranke verschwinden. Der Sergeant wusste noch nicht, was es zu notieren gab, aber er war bereit.
Inspektor Blake hatte einige Fragen und McGinnis ließ seinen Bleistift über den Block huschen. Edward Cavanaugh erwähnte auch Graham Hamilton und dessen Auftraggeber Abercrombie.
»Es gibt leider keine Verbindung zwischen diesem Graham Hamilton und dem entsetzlichen Ende der Familie O‘Sullivan«, stellte Blake fest. »Zumindest keinen aktuell sichtbaren Zusammenhang. Ich werde der Sache aber nachgehen, darauf können Sie sich verlassen.«
Hollie Cavanaugh sah ihn dankbar an.
»Und was ist mit Hannah? Der Tochter der O’Sullivans?«, fragte sie mit sorgenvollen Augen. »Das arme Mädchen!«
»Wir haben sie bisher noch nicht finden können, Madam«, antwortete Blake. »Seitens des Yards wurde ein Suchkommando zusammengestellt. Die gesamte Gegend wird durchkämmt. Ich kann Ihnen versichern, dass wir tun was in unserer Macht steht. Sollte sie noch leben, werden wir sie finden.«
»Und wenn sie tot ist, dann nicht?«, warf Callum sarkastisch ein.
Der Inspektor warf ihm einen verständnisvollen Blick zu. Anscheinend lag dem jungen Mann sehr viel an der Tochter der O’Sullivans. Blake wusste noch nicht, ob das für den weiteren Verlauf seiner Ermittlungen von Bedeutung sein würde, beschloss aber, diese Tatsache nicht aus dem Auge zu lassen.
»Ich kann Ihre Verzweiflung und Ihre Wut gut verstehen. Aber Ihr bitterer Spott hilft uns nicht weiter. Und ich möchte Sie bitten, trotz all des Grauens, das sie gesehen haben, nicht gleich vom Schlimmsten auszugehen.«
»Vielleicht hat sie auch nur einen Schock und ist weggelaufen«, warf McGinnis ein.
»Ja, mag sein!«, meinte Callum Cavanaugh. »Entschuldigen Sie, Inspektor.«
»Falls Hannah gesehen hat, wie ihre Familie ums Leben gekommen ist, wäre es sehr verständlich, wenn sie panisch weggelaufen wäre.« Hollie Cavanaugh stand im Türrahmen zur Küche. »Möchten die Herren vielleicht eine Tasse heißen Kaffee?«
Inspektor Blake nickte ihr freundlich zu.
»Kaffee klingt gut.«
»Für mich bitte einen schwarzen Tee, wenn es möglich ist«, schmunzelte Sergeant McGinnis.
»Aber gern, Sergeant.« Sie verschwand. Gleich darauf hörte man sie in der Küche hantieren.
»Sie wäre jedenfalls unsere wichtigste Zeugin.« Blake nahm den Gesprächsfaden wieder auf. »Bislang können wir uns diese mysteriösen Morde überhaupt nicht erklären. Und auch mit einem Orkan sind die Schäden an den Gebäuden, die wir vorgefunden haben, kaum zu erklären.« Der Inspektor sah die beiden Cavanaughs an. »Haben Sie, abgesehen von Ihrem Verdacht gegen Hamilton, irgendeine Vorstellung wer das getan hat?«
Callum Cavanaugh öffnete schon den Mund, um dem Inspektor die Sache von den Flammenreitern zu erzählen, als er einen warnenden Blick seiner Mutter auffing, die gerade ins Wohnzimmer zurückkehrte, um Kaffee und Tee zu bringen.
»Wollten Sie gerade etwas sagen?« Blake, der Callum Cavanaugh genau beobachtet hatte, sah ihn interessiert an.
Der junge Mann schüttelte den Kopf.
»Nein, nicht wirklich, Inspektor«, murmelte er. »Ist nicht wichtig!«
Blake hakte nicht weiter nach. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, Druck aufzubauen. Wenn jemand etwas zu sagen hatte, dann würde er es früher oder später ganz von allein tun.
Kapitel 8
D
er junge Cavanaugh war so erschöpft, dass er bereits kurz nach dem Gespräch mit den Beamten des New Scotland Yard auf sein Zimmer ging, sich auf das Bett legte und direkt einschlief. Er bekam Albträume. Sie plagten ihn für den Rest der Nacht. Dennoch erwachte er erst gegen neun Uhr am nächsten Tag.
Er trat ans Fenster und sah hinaus.
Der neue Morgen war in wolkenloser Klarheit angebrochen. Nichts, aber auch gar nichts, erinnerte mehr an den wütenden Sturm der vergangenen Nacht. Die Rauchwolken über dem Hof der O’Sullivans hatten sich verzogen. Das Blattwerk des kleinen Wäldchens leuchtete in einem satten Gemisch aus Grün, Gelb und Rot. Die Sonne stand noch nicht weit über dem Horizont und es sah aus, als ob es ein friedlicher Tag wie so viele zuvor werden würde. Unter normalen Bedingungen wäre es ein wundervoller Morgen gewesen, wäre nicht Hannah immer noch verschwunden. Vielleicht wussten seine Eltern schon etwas Neues. Er nahm sich vor, sie gleich danach zu fragen.
Nachdem er sich frisch gemacht und angekleidet hatte, erschien er in der Küche. Er begrüßte seine Mutter mit einem Kuss auf die Wange.
»Du musst Hunger haben, meine Junge«, stellte seine Mutter fürsorglich fest. »Und ganz sicher möchtest Du einen starken schwarzen Kaffee, so wie immer, oder?«
Er nickte ihr zu.
»Hat sich die Polizei schon gemeldet?« Er nahm die Tasse entgegen, die ihm seine Mutter reichte. »Hat man schon Hannah gefunden?«
Seine Mutter schüttelte den Kopf.
»Magst Du Eier und Speck?«, versuchte sie ihn abzulenken. Callum Cavanaugh warf ihr einen prüfenden Blick zu. Seine Mutter wirkte blass.
»Ich habe etwas zu erledigen.« Er nahm einen Schluck Kaffee und wartete darauf, dass ihn seine Mutter fragen würde, was er zu tun hätte. Aber sie fragte ihn nicht danach und er war froh darum. Er hätte es ihr nicht sagen wollen, lügen aber auch nicht.
»Du musst aber frühstücken, Callum!«, verlangte seine Mutter.
Er fügte sich ihrem Wunsch, auch wenn er erwachsen war und für sich selbst entscheiden konnte. Er wusste, dass sie es nur gut mit ihm meinte.
»Du hast recht«, gab er zu und nahm sie in den Arm. »Nach dieser Nacht ... Eier und Speck wären genau richtig.«
»Kommt sofort«, erwiderte sie schmunzelnd.
Nachdem er ausgiebig gefrühstückt hatte verließ er das Farmhaus und ging zum naheliegenden Schuppen. Dort hatte er sein Motorrad untergestellt. Es handelte sich um ein Erbstück von seinem Großvater, der im 2. Weltkrieg in Afrika als Motorradkurier eingesetzt war. Er hatte in der berühmten 8. Armee unter Oberbefehlshaber General Bernard Law Montgomery gedient. Immer wieder hatte ihm sein Großvater ausführlich von den Kabinettstückchen ›Montys‹ erzählt, wie der General von seinen Soldaten anerkennend genannt wurde. Großvater hatte die alte robuste und immer zuverlässige Triumph 3HW nach dem Krieg behalten dürfen. Auch wenn es ihm schwergefallen war, war er in seinen letzten Lebensjahren dem Wunsch Callums nachgekommen und sie hatten der Maschine mit einem satten Mattschwarz zu neuem Glanz verholfen.
Während