Laborratten. Niels Wedemeyer
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Auf dem Heimweg redete Weinert laut vor sich hin, sagte sich immer wieder, dass durch dieses Ergebnis alles gut werden würde und Maja Unrecht hatte. Er sollte sich täuschen.
Kapitel 4 – Das Protein
Traubl spürte bereits während der Sitzung, dass Weinerts Entdeckung einen wahren Schatz darstellte. Ein defektes Neuropeptid Y lässt Ratten bis zum Skelett abmagern. Er hatte gerade letztens noch von der sensationellen Entdeckung des Leptins gelesen, dass bei Mäusen gefunden wurde, die fast dreimal fetter waren, als ihre gesunden Artgenossen, mit einem Defekt in einem einzigen Gen. Dieses bis zur Entdeckung unbekannte Gen ist für die Herstellung eines Proteins verantwortlich, dass Leptin genannt wurde, abgeleitet vom griechischem leptos, was schlank oder dünn bedeutet. Es handelt sich hierbei um ein Hormon, das vom Fettgewebe gebildet wird, wenn dieses mit zu großen Fettmengen angefüllt ist. Das Hormon fungiert nun als eine Art Bote, der dem Gehirn signalisieren soll: „Ich bin prallvoll mit Fett. Bau es bitte ab, sonst platz ich!“ Wenn nun dieses Protein durch eine Mutation nicht richtig gebildet werden kann, bekommt das Gehirn folglich nicht mehr mit, wenn der Körper zuviel Fett eingebaut hat und befiehlt daher die weitere Nahrungszunahme und uneingeschränkte Auffüllung der Fettreserven für schlechte Zeiten. Die Firma Hoffmann-LaRoche erkannte den Marktwert dieser Entdeckung sofort und luchste dem Entdecker dieses Phänomens für einige Millionen Dollar die Rechte an diesem Protein ab. Die Idee war, den Leuten Leptin zu spritzen und sie auf diese Weise künstlich zu verschlanken.
Das von Weinert identifizierte Neuropeptid Y war nun der natürliche Gegenspieler des Leptins. Es hat unter anderem die Funktion, das Hungergefühl zu steigern. Schon seit seiner Entdeckung versuchten diverse Pharmakonzerne das Neuropeptid Y oder seine spezielle Andockstelle im Hypothalamus, den Rezeptor Y5, auszuschalten. Ohne durchschlagenden Erfolg. Und nun findet dieser Nichtsnutz von Weinert die mögliche Lösung. Traubl konnte noch nicht sagen, wie dieses kaputte Rattenprotein das Hungerverlangen stoppte, aber entscheidend war im Moment nur, dass das Protein es tatsächlich tat. Frau Schultheiß-Gottlob dachte anscheinend in die gleiche Richtung wie er. Hier lag definitiv eine Sensation in der Luft. Aber konnte ihnen noch jemand zuvor kommen? Arbeitete der englische Kollege, von dem Lamprecht die Tiere bekommen hatte, wirklich nicht mehr an der Entschlüsselung oder hatte er gar die Ratte noch an andere Leute abgegeben?
Die Zeit drängte. Sie mussten feststellen, ob diese Ergebnisse tatsächlich verwertbar waren oder nicht. „Ich werde mich persönlich darum kümmern. Am besten, niemand bekommt etwas von unseren Vermutungen und Aktivitäten mit. Ich werde sofort Weinert von all seinen Aufgaben abziehen, damit er uns nicht zufällig dazwischen funkt“, sagte sie abschließend. Frau Schultheiß-Gottlob arbeitete in den nächsten Wochen wie besessen im Labor, ohne Unterstützung, zumeist nachts, um keine Fragen aufzuwerfen. Nach zwei Wochen hatte sie endlich einige Millionstel Gramm aufgereinigtes Weinert-Protein, wie sie das defekte Neuropeptid Y nannte. Sie spritzte nun das Weinert-Protein täglich ins Hirn von gesunden Tieren und parallel dazu zur Kontrolle das intakte Protein ebenfalls bei gesunden Tieren. Bereits nach einer Woche stellte sie einen deutlichen Gewichtsverlust bei den mit dem Weinert-Protein behandelten Tieren fest.
Die mit dem normalen Protein behandelten Tiere hingegen zeigten ein gleich bleibendes Gewicht. Das war umso erstaunlicher, als das die gesunden Tiere massenweise eigenes funktionelles Neuropeptid Y im Hirn hatten. Wenn es also so etwas wie einen Konkurrenzkampf zwischen beiden Proteinvariation gab, so gewann immer das Weinert-Protein. Selbst bei extrem kleinen Mengen Weinert-Protein war noch ein Effekt zu beobachten. Aber warum? Verstopften die Weinert-Proteine die Andockstellen für das normale Protein?
Die Daten waren noch zu roh, um etwas mit dem Ergebnis anfangen zu können. Auch auf die Gefahr hin, sich unliebsame Mitwisser mit ins Boot zu holen, brauchten sie die Unterstützung von einem Neurologen, der die seltsamen Eigenschaften dieses Proteins richtig einschätzen konnte. Bei sehr vielen Veröffentlichungen über das Neuropeptid Y tauchte wiederholt ein und derselbe Name auf. Karl-Heinz Schütte, Direktor des Instituts für Neurobiologie (Nervenkunde) am hiesigen Klinikum.
Traubl hätte gut daran getan, sich vorher eingehend über die Eigenarten dieses Mannes zu erkundigen, bevor er sich ihm anvertraute. So aber rief Traubl bei Schüttes Sekretärin an und ließ sich einen Termin für ein Abtastgespräch geben, wie er es nannte. Er hätte wissen müssen, dass Schüttes Sinn nicht nach Abtasten stand.
Traubl erschien pünktlich zu dem Gespräch in Schüttes Institut, wurde aber von der mit Headset-Telefon ausgerüsteten Sekretärin aufgefordert, erstmal im Vorraum Platz zu nehmen. So musste er mit ansehen, wie Massen von Leuten Schüttes Büro zumeist im Laufschritt erstürmten und wieder verließen. Nach einer nicht enden wollenden halben Stunde erschall eine sonore Stimme aus der Freisprechanlage: „Jetzt kann er kommen.“ Traubl stand ermutigt durch das Kopfnicken der Sekretärin auf und öffnete die Bürotür. Der Raum war ungewöhnlich groß, aber nahezu kahl. Bis auf einen mit Dokumenten und Aktenordnern übersäten Schreibtisch und einen nicht weniger in Beschlag genommenen kleinen Seminartisch samt Sitzgelegenheiten stand nichts in diesem Raum. Kein Bücherregal. Kein Computer. Nichts. Traubl kam ein 1 Meter 90 großer elegant gekleideter älterer Herr mit streng zurückgekämmten grauen Haaren entgegen.
„Tut mir Leid für die Verzögerung, aber hier ist derzeit die Hölle los. Setzen Sie sich doch.“ Schütte schüttelte Traubl kraftvoll die Hand und deutete auf die relativ alten Sessel, die um den Seminartisch standen. Die Sekretärin brachte schweigend Kaffee herein und verließ schleunigst wieder den Raum. Schütte sah Traubl scharf über seine halbe Goldrandbrille an.
„Werter Kollege, wie kann ich Ihnen helfen?“ Traubl fiel plötzlich auf, dass er für dieses Gespräch vielleicht etwas zu leger gekleidet war.
„An meinem Institut ist eine Entdeckung gemacht worden, die sie interessieren könnte.“ Traubl holte einen Stapel Unterlagen aus der abgenutzten Aktentasche und erzählte Schütte in aller Kürze die aktuellen Ergebnisse, denn er spürte die Ungeduld dieses Mannes. Aber je mehr er erzählte, desto interessierter wurde Schütte. Das bereits schon zu Beginn des Gesprächs stark gerötete Gesicht nahm noch an Farbe zu. Ein typischer Schlaganfallkandidat, dachte Traubl.
„Wir wissen also, dass es wirkt, aber nicht wie. Um etwas mit den Daten anfangen zu können, müssen wir den Wirkmechanismus kennen. Ich dachte mir nun, dass Sie als ausgewiesener Experte für das Neuropeptid Y uns da vielleicht weiterhelfen können“, beendete Traubl seine Ausführungen. Schütte ignorierte vorerst die zarte Anfrage und frage postwendend „Was meinen sie mit `… anfangen können´?“
„Nun. Sie kennen ja sicherlich die Geschichte des Leptins und seine kommerzielle Bedeutung. Gleichzeitig ist mir bekannt, wie sehr sich die pharmazeutische Industrie für das Neuropeptid Y interessiert.“
„Aha. Sie haben also bereits die Dollarzeichen in den Augen. Ich hoffte, Ihnen ginge es um rein wissenschaftliche Ziele und nicht um möglichen Reichtum. Ihr jungen Kollegen könnt den Hals nicht voll kriegen und vernachlässigt eure eigentliche Aufgabe: Erkenntnisse über diese Welt zu gewinnen.“ Was für ein Heuchler, dachte Traubl, der von Schüttes kleiner florierender Pharmafirma wusste. Die Antidepressiva, die in den 70er-Jahren in Schüttes Labor wohlgemerkt auf Staatskosten entwickelt wurden, landeten alle samt in Schüttes Firma und hatten ihn in der Zwischenzeit reich gemacht. Offiziell wurde diese Firma von seiner Familie geleitet. Er selbst besaß keine Anteile an der Firma und bezog auch kein Gehalt, aber für alle Kenner der Branche war klar, dass er die graue Eminenz in der Firma war und dort auch ein eigenes Büro mit eigener Sekretärin unterhielt.
„Mich interessiert im Moment einzig und allein der Wirkmechanismus“, log Traubl. Schütte sah ihn scharf an.
„Nun gut, das Ganze hört sich gar nicht mal so uninteressant an. Ich frage mal in meiner Abteilung