Laborratten. Niels Wedemeyer

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Laborratten - Niels Wedemeyer

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stellte Eva mit Tränen in den Augen fest. Kein Tag verging, ohne dass sie ihren Frust nicht lauthals herausschrie. Zum ersten Mal seit zwei Jahren hatte sie brauchbare publizierbare Ergebnisse erhalten und hoffte auf eine Fortführung des Projekts, wenn möglich sogar mit personeller Verstärkung. Als sie jedoch Traubl ihre Ideen vorstellte, gab der ihr unmissverständlich zu verstehen, dass das Institut (er setzte üblicherweise sich und das Institut gleich, um weniger angreifbar bei unangenehmen Entscheidungen zu sein) seine Schwerpunkte der nächsten Jahre bereits festgelegt hatte. Ihr Projekt spielte dabei keine Rolle. Auf ihre Frage, wie er mit ihrem in 6 Monaten auslaufenden Vertrag verfahren würde, meinte Traubl nur vage, dass es zu früh für eine Entscheidung wäre. Falls sie in der Lage wäre, ihre Leistungen noch merklich zu steigern, wäre eine Vertragsverlängerung durchaus im Bereich des Möglichen.

      Costas hingegen wurde ganz ohne weitere Begründungen von Frau Dr. Schultheiß-Gottlob mitgeteilt, dass sein Vertrag, der in 3 Monaten auslief, auf keinen Fall verlängert werden würde. Sein Laborplatz sowie seine Technische Assistentin Maja würden bereits jetzt von den neuen Mitarbeitern benötigt werden. Im Gegensatz zu Eva nahm er das Ganze ohne Regung zur Kenntnis. Er schien von nun an noch mehr als sonst seine eigenen Pläne zu verfolgen.

      Nicolas Weinert tat es gut, wieder mit seinen alten Kameraden zusammen das Labor zu teilen. Sie flachsten herum, wie zu Beginn ihrer Doktorarbeiten, wenn auch mit einer Spur mehr Zynismus, und alle machten das Beste aus ihrer Situation. Trotz Verbotes von Traubl wurde eine ausrangierte Stereoanlage von Costas im Labor installiert, die den ganzen Tag mit moderater Lautstärke lief. Nach einigen Wochen lähmender Resignation begann Eva bereits wieder, sich in die Arbeit zu stürzen. Sie würde es Traubl schon zeigen, waren ihre Worte an jedem Morgen. Sie würde ihn mit guten Daten nur so zuschütten, dass er schließlich keine Möglichkeit mehr hatte, ihre Arbeit zu ignorieren. Weinert und Costas schüttelten ob dieser naiven Sichtweise nur den Kopf. Costas saß den ganzen Tag am Computer, nachdem er im Institut provokativ seine komplette Laborausrüstung verschenkt hatte. Was er dort so die ganze Zeit schrieb und arbeitete, wussten Eva und Weinert nicht.

      Allmählich lernten sie auch die neuen Kollegen besser kennen. Da waren zum Beispiel „die Zwillinge“, zwei verblüffend ähnlich aussehende Doktorandinnen mit Namen Sybille und Sibylle, die an einem der vielen neuen Projekte arbeiteten, die Traubl aus den USA importiert hatte. Nicht nur ihre äußere Ähnlichkeit war frappierend, beide sprachen auch mit dem gleichen starken, fränkischen Dialekt und konnten mit fug und recht als arbeitswütig bezeichnet werden. Sie sahen ihren 15 Stunden-Job und das halbe Gehalt als wahres Gottes Geschenk an und himmelten Traubl geradezu an. Sie nannten ihn auch in seinem Beisein „Boss“, was ihm durchaus nicht unangenehm zu sein schien, und stürzten sich mit Begeisterung in jede ihnen angetragene Sonderaufgabe. Nachdem sie die hierarchischen Strukturen des Instituts durchblickt hatten, sprachen sie kaum mehr mit den Kellerforschern und legten auch eine durch nichts zu begründende Arroganz gegenüber den restlichen Wissenschaftlern und vor allem dem Technischen Personal an den Tag.

      Ein ganz besonderer Fall war Gregor Winzlshammer. Er war wie Traubl Österreicher, klein, rundlich und mit schütterem roten Haar bestraft. Hinter seiner zentimeterdicken Hornbrille beobachteten zwei auf eine Winzigkeit verkleinerte Schweinchenaugen wachsam alles um ihn herum. Besonders das weibliche Personal wurde gewöhnlich minutenlang abgescannt. Von den Kollegen wurde er meist nur das „Alien“ genannt. Er unterhielt sich für gewöhnlich mit niemandem und beteiligte sich weder am gemeinsamen Gang zum Mittag noch an allgemeinen Laborpflichten wie Aufräumen oder Putzen. Weinert konnte sich noch gut an das erste Gespräch erinnern, dass er mit Gregor geführt hatte.

      Ohne dass sie sich vorgestellt worden wären, saß Gregor Winzlshammer unangekündigt in einem der oberen Labore und hämmerte stoisch auf die Tastatur eines Computers. Weinert, der ihn für einen Praktikanten hielt, der ohne Erlaubnis Institutscomputer benutzte, fragte ihn:

      „Dürfte ich wissen, was Du hier machst?“. Gregor starrte ihn minutenlang an.

      „I sitz oam Computa.“, entgegnete er mit dem breitesten Wienerisch, dass Weinert je gehört hatte.

      „Das sehe ich. Bis Du dazu befugt?“. Nach einer Weile.

      „I oarbeite seeit heut hia.“. Weinert war verblüfft.

      „I heeiß Gregoar Winzlshomma und biin dea nee Postdoac.“

      „Ach so. Na dann nichts für ungut.“, brachte Weinert irritiert hervor, „Ich bin übrigens Nicolas Weinert und bin ebenfalls Postdoc. Woran sollst Du arbeiten?“ Weinert sah, wie die Worte langsam zu Gregor vordrangen.

      „I oarbeite oam Magersuchtprojääkt. I soll oan eeinm Roattenmodöll foarschn.“ Jetzt war es an Weinert ihn anzuglotzen. Konnte das stimmen? Hatte er jetzt sein Projekt endgültig verloren? Weinert verließ langsam ohne noch Weiteres von sich zu geben das Labor, während Gregor ihm ohne Regung nachstarrte.

      Als er sein Kellerlabor erreicht hatte, explodierte Weinert. Es kam extrem selten vor, dass sich Nicolas Weinert zu Gefühlsausbrüchen hinreißen ließ. Doch dieses Mal war eine unsichtbare Grenze überschritten worden. Weinert hatte einen sehr strikten Kodex, der sich auf Respekt und Toleranz begründete. Er stellte sich nie über die Gefühle, Eigenarten und Ansichten anderer. Gleiches verlangte er aber auch von anderen ihm gegenüber. Er wusste, dass er kein Weltklasseforscher war, wie sollte er auch mit so wenig Berufserfahrung, aber er hatte aus seiner komplexen und schwierigen Aufgabe das Maximale herausgeholt, und hatte es nicht verdient, jetzt so mit Füßen getreten zu werden. Weinert schrie alle Schimpfwörter heraus, die ihm gerade in den Sinn kamen und riss die Schubladen seines Kühlschranks auf. Er kippte alle Probenröhrchen geräuschvoll in den großen Mülleimer in der Mitte des Labors. Costas schaute nur kurz von seinem Computer auf und grinste breit. Nachdem Weinert die letzten Röhrchen weggeschmissen hatte und jetzt nach neuen Opfern seiner Zerstörungswut Ausschau hielt, fragte Costas ihn ruhig:

      „Muss ja ein ziemlicher Hammer sein, den Du da gerade erfahren hast. Lässt Du mich an Deinem Wissen teilhaben?“. Weinert, der erst jetzt merkte, dass er nicht allein im Labor war, schaute ihn überrascht mit hochrotem Kopf an und stammelte:

      „Sie haben so einem österreichischen Schweinchen mein Projekt übergeben, ohne mich vorher informiert zu haben.“

      „Mann, das wundert Dich noch? Ich dachte, Du hättest den Laden hier mittlerweile durchschaut.“ Weinert starrte Costas verblüfft an.

      „Soll das heißen, Du wusstest von dem Scheiß?“

      „Nö. Aber es überrascht mich auch nicht sonderlich. Traubl hatte von Anfang an vor, uns auszutauschen. Ob mit Ergebnissen oder ohne. Dein Superergebnis ist für ihn nichts anderes als ein kleines Antrittsgeschenk und jetzt kannst Du Dich gefälligst verziehen.“

      „Aber ich habe fast 6 Jahre meines Lebens daran geschuftet. Und jetzt soll ich das alles einfach so hinnehmen. Niemals!“ Weinerts Stimme zitterte.

      „Was kannst Du denn dagegen ausrichten? Nichts. Kapier das endlich“, entgegnete Costas energisch.

      „So? Und was machst Du bitte schön den ganzen Tag?“

      „Ich arbeite hier nur noch für mich. Schreibe meine Veröffentlichung und meine Bewerbungen. Für dieses Institut mache ich nichts mehr.“ Weinert war erstaunt, dass es ihm jetzt erst auffiel, dass Costas sich seit ein paar Wochen nicht mehr am Laborbetrieb beteiligte.

      „Und was bitte schön präsentierst Du da die ganze Zeit auf den Arbeitsgruppensitzungen?“

      „Meine alten Kamellen aus der Doktorarbeit. Oder glaubst Du, Traubl setzt sich hin und liest in seiner Freizeit die Dissertationen seiner Mitarbeiter?“. Nun musste

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